Volkswagen

Es geht um mehr als Diess

VW-Chef Herbert Diess bleibt nach wochenlangen Debatten wohl im Amt. Die Diskussion um seinen Verbleib zeugt indes von einem grundlegenderen Problem.

Es geht um mehr als Diess

Am Mittwoch ist es fünf Monate her, dass der Vertrag des VW-Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess vorzeitig bis 2025 verlängert worden ist. Dennoch scheinen die Tage des 63-Jährigen an der Spitze des größten deutschen Autobauers gezählt, selbst wenn der Aufsichtsrat ihn nach wochenlanger Diskussion wohl noch einmal stützen wird. Angezählt war Diess schon mehrfach. Und mit jedem Tag mehr, den sich der Aufsichtsrat Zeit lässt, nehmen der Konzernchef und Volkswagen größeren Schaden. Nun deutet sich eine Lösung an, bei der Diess Macht abgeben muss, aber bleiben darf. Ein Kompromiss, der den CEO schwächt, – in einer Zeit, in der Volkswagen mehr denn je eine klare Führung bräuchte. Doch wer trägt Schuld an der steten Unruhe in der VW-Zentrale? Und wer kann den Konzern wieder in konstruktivere Bahnen lenken?

Die Schuldfrage ist nur für jene eindeutig, die einer der zankenden Parteien nahestehen. Natürlich war es maximal ungeschickt von Diess, Überlegungen zum Wegfall zehntausender Stellen in Wolfsburg in einer Aufsichtsratssitzung aufs Tableau zu heben, ohne vorher bei Politik und Arbeitnehmerseite vorzufühlen. Zwar bleibt die Frage, ob dieses Thema überhaupt ohne Indiskretionen hätte besprochen werden können. Diess muss sich aber vorwerfen, dass er hier die Chance vertan hat, die ihm durch die (kostspielige) Auswechslung des langjährigen Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh gegeben wurde. Denn statt mit dessen Nachfolgerin Daniela Cavallo die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu legen, hat er diese mit seiner Einlassung gleich vor den Kopf gestoßen.

Allerdings gibt es womöglich auch ein grundsätzliches Einsichtsproblem auf Seiten der Arbeitnehmer. Denn die Analyse von Diess bezüglich der Herausforderungen für VW bestreitet kaum ein Experte. Auch die Familien Porsche und Piëch ventilieren keinen Dissens zur strategischen Ausrichtung des Konzerns. Unglücklich ist man nur über die immer wieder spürbaren Defizite in der Teamfähigkeit des Konzernlenkers, der schon beim vormaligen Arbeitgeber BMW angeeckt war. Nun müssen sich die Familien, die treibende Kraft hinter der Vertragsverlängerung waren, fragen, ob sie Diess ausreichend Hilfestellung leisten. Denn um den Rückhalt der Arbeitnehmerseite und der Politik wird nicht nur dieser, sondern jede(r) VW-CEO nach ihm immer wieder ringen müssen. Dass das VW-Gesetz gekippt werden könnte, das Niedersachsen im Aufsichtsrat stets zum Zünglein an der Waage macht, ist eine rein theoretische Überlegung, die politisch keine Unterstützung findet.

Zudem darf man bezweifeln, dass Niedersachsen die Machtposition zehn Monate vor der Landtagswahl immer verantwortungsvoll ausübt. Ministerpräsident und Aufsichtsratsmitglied Stephan Weil soll sich beschwert haben, Diess sei unvernünftiger als Vorvorgänger Martin Winterkorn. Eine steile These, lenkte Letzterer den Konzern doch auf eine Krise zu, die zu Mittelabflüssen in mittlerer zweistelliger Milliardenhöhe führte. Aber auch unabhängig von dem – vielleicht nicht ganz ernst gemeinten – Vergleich lässt die Politik in Hannover nicht erkennen, die Dringlichkeit zum Umbau erfasst zu haben.

Denn in der Causa Diess steht nicht nur der Manager selbst und sein Führungsstil, sondern der industriepolitische Reformwille hierzulande insgesamt auf dem Prüfstand. Die deutschen Autobauer planen langfristig und handeln dabei rasant. Die Politik hat derweil meist einen mittelfristigen Planungs- und Handlungshorizont. Diese divergierenden Blickwinkel zusammenzubringen, ist kaum möglich. Und doch wird dies für Wolfsburg spielentscheidend. Der Branchenverband VDA hat eine Studie veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass ein reiner Elektrofahrzeug-Ansatz in der EU zu einem Verlust von einer halben Million Arbeitsplätzen führen dürfte. Ein Festhalten an Verbrennertechnologie um der Arbeitsplätze willen mag vor diesem Hintergrund politisch opportun sein. Unternehmerisch wäre es fatal. Denn die Entscheidung pro oder kontra Elektromobilität fällt am Ende nicht in Brüssel oder Berlin, sondern in den Köpfen der Autofahrer – und die steuern erstaunlich schnell um. Für VW geht es darum, in einem deutlich veränderten Wettbewerbsumfeld bestehen zu können. Sonst finden sich schnell noch mehr Arbeitsplätze im Feuer als die von Diess ins Spiel gebrachten. Man kann darüber debattieren, ob der VW-Chef die richtige Strategie hat. Dass sich Politik und IG Metall primär an Stilfragen abarbeiten, wird dem Ernst der Herausforderung aber nicht gerecht.

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