IPOs

Fintech-Party in Grau

Fintech-Börsengänge haben sich fürchterlich entwickelt, das strahlt auch auf private Finanzierungen aus. Die Zahl der Deals sinkt schon.

Fintech-Party in Grau

Vor knapp zehn Jahren wurde der Begriff des „Einhorn“ als Bezeichnung für Start-ups mit einer Milliardenbewertung erfunden. Was damals noch eine seltene Rasse war, ist heute eine alltägliche Erscheinung. Denn den gängigen Datenbanken zufolge wurde Anfang Februar die Marke von global 1000 Einhörnern gerissen und täglich kommen zwei neue hinzu. Waren es zum Beginn des Zyklus noch primär Start-ups aus dem breiten Bereich Software-as-a-Service, so verdichtet sich die Einhorn-Produktion seit zwei, drei Jahren zunehmend auf die Bereiche Fintech und Krypto. Der Grund: Das Innovationspotenzial mündet zunehmend in Erlösströme und neben immer dickeren Venture-Capital-Töpfen hat auch Private Equity das reifere Fintech-Segment als Investitionsziel identifiziert. Die Folge: In privaten Finanzierungsrunden steigen die Bewertungen, da immer mehr Kapital um einen Platz im „Cap Table“ ringt. Bleibt die Frage, ob Fintechs diese Bewertungen dann auch in dem einem öffentlichen Listing folgenden Handel bestätigen können.

Die Antwort darauf fällt deutlich aus: Nein, das können sie nicht. Die im vergangenen Jahr erfolgten Listings befinden sich in der Regel mit einer Spannbreite von −40% bis −90% tief unter Wasser. Das betrifft Neobroker wie Robinhood, die ganze „Buy now, pay later“-Kohorte, die in London gelistete Wise, die Kryptoplattform Coinbase und auch Paypal als Urgestein von Fintech. Nun erfolgen solche Listings naturgemäß opportunistisch, wenn das Marktumfeld möglichst hohe Bewertungen zulässt – aber der Abverkauf der Fintech-Werte erfolgt vor dem Hintergrund des allgemeinen Risk-off-Modus mit einer solchen Heftigkeit, dass da offenbar bei einem Hype mal so richtig die Luft rausgelassen wird.

Dieses Sentiment hat auch Spacs ergriffen, die als Vehikel für ein beschleunigtes Listing weniger kritische Fragen nach Bewertung und Geschäftsmodell zulassen. Bestes Beispiel dafür ist die Kryptogurke Bakkt, die zwar am ersten Handelstag um 234% auf 56 Dollar zulegte, mittlerweile aber auf 6,80 Dollar abgerutscht ist. Die von Trump-Unterstützerin Kelly Loeffler über einen Spac-Deal an den Markt geführte ICE-Ausgründung hat ihr Geschäft von institutioneller Kryptoverwahrung auf eine Retail-App ausgeweitet und dabei Stand heute Schiffbruch erlitten: Bei steigenden Verlusten dürfte das für Ende 2021 angestrebte Ziel von neun Millionen aktiven Kunden meilenweit verfehlt werden, denn per Ende Oktober waren es erst 1,7 Millionen. Das zeigt, mit welchen Exekutionsrisiken hohe Bewertungen behaftet sein können.

Der Markt registriert das: Das Spac-Listing von Etoro ist bald ein Jahr überfällig, zuletzt wurde von 10,4 Mrd. auf 8,4 Mrd. Dollar abgewertet. Damit wurde eine Fristverlängerung über das Jahresende hinaus erreicht und der Prospekt gerettet – allerdings pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass erneut abgewertet werden muss. Dass das alles nicht so einfach ist, musste auch Ex-Commerzbank-Chef Martin Blessing erfahren, als er versuchte, für den Spac „European Fintech IPO Company“ (EFIC1) ein Zielunternehmen aus der Einhorn-Liga zu finden. Was dann stattfand, war ein Merger mit dem Gaming- und Adtech-Spezialisten Azerion Group – mitnichten ein Fintech. Und es war schon ein wenig verstörend, dass sich ein EFIC1-Manager am Tag der Transaktion auf einer „Digital Finance Konferenz“ darüber freuen konnte, ohne auf den Etikettenschwindel auch nur hingewiesen zu werden. Im Fintech-Ökosystem fahren alle gut damit, sich gegenseitig als erfolgreich darzustellen, auch wenn Teile der Fassade sichtbar bröckeln.

Aber es ist der Punkt gekommen, wo das Selbstmarketing angesichts der grausigen Kursentwicklung von „Listed Fintech“ ein wenig hohl wirken kann. Denn jeder weiß, dass es in den Finanzierungsrunden zum Benchmarking kommt und das in zumindest moderaten Abschlägen berücksichtigt werden muss. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: In Payment und Krypto geht eine Menge, selbst die von den lieben Banken blockierten Open-Banking-Fintechs können reüssieren und so hineinwachsen in hohe Bewertungen – aber dafür sollten dann mehr die in 12 bis 24 Monaten erreichbaren Kennzahlen maßgeblich sein und nicht Mondbewertungen, wie sie Softbank für ihre Portfoliounternehmen künstlich konstruiert. Außerdem ist es ein Warnzeichen, dass sich das Volumen immer mehr auf Megadeals konzentriert bei sinkender Anzahl der Transaktionen. Das deutet darauf hin, dass es zu einer Auslese bei den Anschlussfinanzierungen kommt. (Börsen-Zeitung,

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