Bundesregierung

Krisenmodus als Normalfall

Es wird Zeit, dass die Ampel der Krise als Normalfall ins Auge blickt. Solide Finanzpolitik wird nicht gelingen, wenn alle so weitermachen wie bisher.

Krisenmodus als Normalfall

Fast genau 100 Tage nach Amtsantritt hat die Ampel-Regierung den Entwurf ihres ersten Etats und die Finanzplanung für diese Legislaturperiode vorgelegt. Der Bundeshaushalt 2022 wird ausnahmsweise erst im Sommer vom Parlament beschlossen werden. Dies ist nach einem Wahljahr, besonders nach einem Regierungswechsel, üblich und sinnvoll. Die neue Führung baut auf dem Entwurf der Vorgänger auf und setzt eigene politische Akzente. Doch dieses Mal ist alles ganz anders. Die Ampel aus SPD, Grünen und FDP ist im Dezember in der noch nicht ausgestandenen Coronakrise gestartet. Noch bevor sich die Hoffnung erfüllen konnte, aus dem Krisenmodus in den Normalfall zu wechseln, stand schon die nächste Krise vor der Tür: der Krieg in der Ukraine nach dem Überfall Russlands. Die Corona-Pandemie bleibt zugleich allem Anschein nach präsent. Das Virus grassiert weiter und sogar in verschärfter Form. Nur in der medialen Wahrnehmung ist die Corona-Pandemie durch die noch größere Krise in der Ukraine gerade in den Hintergrund gedrängt. Die Ampel steht vor dem Problem, Politik unter Unsicherheit machen zu müssen. Dies gilt auch für den Haushalt. Die Folgekosten des Ukraine-Krieges sind noch nicht bezifferbar. Humanitäre Hilfe und Waffenlieferungen müssen finanziert werden. Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet sind hierzulande zu versorgen. Heimische Unternehmen leiden unter Sanktionsfolgen, dem Einbruch ihres Russland-Geschäfts, gestörten Lieferketten und explodierenden Energiepreisen. Ärmere Teile der Bevölkerung können eine staatliche Kompensation für den Kostenanstieg erwarten. Noch ist unklar, ob das Wirtschaftswachstum durch den Krieg nur gedämpft wird oder sogar einbricht. Der Staat spürt dies durch geringere Steuereinnahmen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) trennt in seiner Finanzplanung gedanklich die neuen Krisenaufgaben von den politischen Ampel-Vorhaben. Dies hat Vorteile, weil er zwischen Krise und Normalfall unterscheidet. Typischerweise explodieren in Krisenzeiten auch die Wünsch-dir-was-Forderungen der Ressorts, weil Sparsamkeit ohnehin flöten geht. Lindner sorgt so für Disziplin. Das Konzept hat aber auch gravierende Nachteile. Die Ampel tut so, als könne alles weitergehen wie geplant und die Krise liefe außerhalb des sonstigen Geschehens. Konkret heißt es für die aktuelle Finanzplanung: Im Kernhaushalt des Bundes bleibt die Nettokreditaufnahme für 2022 bei der Marke der schwarz-roten Vorgängerregierung. Mit 99,7 Mrd. Euro kratzt diese nur am optisch unschönen dreistelligen Milliardenbetrag. Es ist allerdings ein unrealistischer Hoffnungswert. Schon die Steuerschätzung im Mai dürfte die Zahl wieder mit einem großen Fragezeichen versehen. Noch nicht berücksichtigt sind zudem die bislang unbekannten Kriegskosten, die mit einem angekündigten Ergänzungshaushalt kommen. Sie dürften sich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag summieren. Spätestens dann wir die 100-Mrd.-Euro-Latte gerissen. Die Folgen der geänderten sicherheitspolitischen Lage plant die Ampel indessen, komplett über den Kapitalmarkt mit Krediten zu finanzieren. Das neue Sondervermögen „Bundeswehr“ – Schulden von 100 Mrd. Euro neben dem Kernhaushalt – wird für die bessere Ausstattung der Bundeswehr sorgen. Die Nato-Quote von 2% des Bruttoinlandsprodukts wird, entgegen der Annahme mancher, nicht zusätzlich erfüllt. Die erforderlichen Mittel fließen vielmehr sukzessive aus dem Sondervermögen. Der Topf reicht somit für fünf Jahre. Verteidigungsausgaben auf Pump – an der Schuldenbremse vorbei – sind die Antwort der Ampel auf die neue Risikolage in der Nato. Erhöhte militärische Sicherheit bleibt allem Anschein nach aber eine Daueraufgabe. Sie muss aus dem Kernhaushalt finanziert werden.

Es wird Zeit, dass die Ampel der Krise als Normalfall ins Auge blickt. Die Schuldenbremse will Lindner von 2023 an wieder einhalten. Dies sei keine Option, sondern eine grundgesetzlich verankerte Pflicht, betont der Liberale. Gerade die FDP wird bei der nächsten – wenn auch noch entfernten Bundestagswahl – an der Qualität der Finanzpolitik gemessen werden. Die Schuldenbremse erlaubt dem Bund 2023 eine Nettokreditaufnahme von nur noch 7,5 Mrd. Euro. Der Weg zu solider Finanzpolitik ist weit. Er wird nicht mit Rechentricks gelingen, wie sie die Ampel zum Auftakt ihrer Amtszeit für Klimaschutzausgaben unter Interpretation der Schuldenbremse etabliert hat. Er wird auch nicht gelingen, wenn alle so weitermachen wie bisher. Die Bedrohung der Nato wird bleiben und das Coronavirus mit seinen Mutanten auch. Es ist höchste Zeit, die neue Normalität anzuerkennen.

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