Corporate Governance

Mehr Transparenz über die Kompetenzen im Aufsichtsrat

ESG und Digitalisierung sind keine Themen, die nur Spezialisten im Aufsichtsrat angehen. Sie sollten auf mehrere Schultern verteilt werden.

Mehr Transparenz über die Kompetenzen im Aufsichtsrat

Die Regierungskommission hat mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) 2022 eine Reihe von Neuerungen auf den Weg gebracht. Im Fokus der Überarbeitung lag vor allem die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit als wichtigem Bestandteil der Arbeit von Vorstand und Aufsichtsrat, im internationalen Kontext vor allem unter dem Begriff ESG bekannt. In kaum einem Bereich ist die Flut an regulatorischen Veränderungen so umfassend wie hier. Es ist also dringend geboten, ESG-Expertise in den Gremien aufzubauen und zu entwickeln. Kein Unternehmen kann sich zukünftig dem Thema mehr verschließen. Perspektivisch wird die nichtfinanzielle Berichterstattung den gleichen Stellenwert einnehmen, wie die heutige klassische Bilanz. Eigenkapitalquote und Verschuldungsgrad werden in einem Atemzug mit CO2-Emissionen oder dem Anteil an Frauen in Führungspositionen zu nennen sein.

ESG als Querschnittsaufgabe

Der Kodex operationalisiert nun diese Anforderung konkret am Instrument des Kompetenzprofils des Aufsichtsrats, in dem auch Nachhaltigkeitsexpertise abzubilden ist. Das Kompetenzprofil wurde bis dato vorrangig für Besetzungen im Aufsichtsrat herangezogen. Neu ist nun, dass es veröffentlicht werden soll. Begründet wird dies mit der besseren Beurteilbarkeit der Kompetenzen im Aufsichtsrat für Aktionäre und weitere Stakeholder. Die Kompetenzen werden also transparent für die Außenwelt und das Kompetenzprofil entfaltet dadurch eine völlig neue Wirkungskraft.

Das Interesse an den Kompetenzen des Aufsichtsrats ist nachvollziehbar und durchaus begründet. Denn die Herausforderungen für Unternehmen sind deutlich komplexer geworden. In diesem Umfeld ist ein komplementäres und breites Kompetenz-Set gefordert und vielfältige Perspektiven müssen sich wie in einem Team ergänzen. So wird das Business Judgement im Gremium gestärkt und der Aufsichtsrat wird zum Sparringspartner des Vorstands. Unternehmen sollten daher ein eigenes Interesse an hoch ausgebildeten und informierten Aufsichtsräten haben, die neue Perspektiven einbringen und für die Interessen der verschiedenen Stakeholder sensibilisieren.

ESG galt lange Zeit als Nischenthema. Heute erfordert das Thema eine völlig neue Art der Befassung, nicht zuletzt durch die stark gestiegene Regulierung. Aufgrund der vielen Facetten empfehlen wir, ESG als Querschnittsaufgabe zu betrachten. Unternehmen sind gefordert, die einzelnen Bestandteile von ESG für sich zu definieren und in der Organisation zu verankern. Nichtfinanzielle Kennzahlen (KPIs) und deren Operationalisierung in der Organisation sind nicht zwangsläufig einer Person oder Funktion zuzuordnen. Als Beispiel ist die Steuerung der CO2-Emissionen im Unternehmen zu nennen. Hier müssen die Nachhaltigkeitsexperten in den Unternehmen zum Beispiel mit den Funktionen Operations, Finance und HR zusammenarbeiten.

Dieser Ansatz ist auch auf die Arbeit des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse zu spiegeln. Der Prüfungsausschuss ist gefordert, wenn es um die Verlässlichkeit und Prüfbarkeit nichtfinanzieller Kennzahlen geht oder um die Berücksichtigung nichtfinanzieller Risiken im Risikomanagement und der Personal- oder Vergütungsausschuss bei der Definition ambitionierter nichtfinanzieller Ziele im Rahmen der Vorstandsvergütung. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Nachhaltigkeit auch im Aufsichtsrat auf mehrere Schultern verteilt werden kann.

Auch die Digitalisierung ist in der Praxis häufig eine Herausforderung für Unternehmen und ihre Gremien, da sich deren Facetten genau wie beim Thema ESG als komplex und unternehmensspezifisch darstellen. Aus Sicht des Aufsichtsrats kann sie zum Beispiel für die Digitalisierung der Finanzorganisation (Thema für CFO), den Umgang mit Cyber-Risiken (Thema für CTO) oder die Begleitung der digitalen Transformation der Gesamtorganisation (Thema für CHRO) stehen. Entsprechend sollte auch hier die Expertise im Aufsichtsrat auf mehrere Experten kaskadiert werden, um insbesondere der Kontrollfunktion gegenüber dem Vorstand gerecht zu werden.

Chance statt Pflicht

Der DCGK sieht die Veröffentlichung des Kompetenzprofils in einer Qualifikationsmatrix vor. Bei der Erstellung und Überarbeitung von Kompetenzprofilen achten wir in erster Linie darauf, die Auswahl zunächst mit den Schwerpunkten der (zukünftigen) Gremienarbeit und konkreten Anforderungen aus der Unternehmensstrategie abzugleichen. Diese ermitteln wir im Rahmen der regelmäßigen Selbstbeurteilung oder im Zuge eines „Expectation Setting“. Neben einer Selbsteinschätzung durch den Aufsichtsrat ist eine neutrale Bewertung durch Interviews mit einem unabhängigen Interview-Partner möglich, um die Erfüllung der Kompetenzen zu validieren. Auch ist zu definieren, wann ein Experte ein Experte ist und wie weit eine zu beurteilende Kompetenz gefasst werden soll. Unser Ansatz der Visualisierung von Kompetenzen stellt wichtige Zusammenhänge dar und integriert neben den fachlichen Kompetenzen auch weitere Aspekte wie zum Beispiel Diversität oder bereits vorhandene Gremienerfahrung. Wir empfehlen unseren Mandanten, konkrete Entwicklungsbereiche für das Gremium zu identifizieren und zum Beispiel Weiterbildungen des Aufsichtsrats gezielt dahingehend auszurichten.

Fazit: Durch die nun vorgenommene Neupositionierung des Kompetenzprofils in der deutschen Corporate Governance erhält dieses eine nach innen und außen gerichtete neue Qualität. Diese Entwicklung sollte als Chance gesehen werden und dem Aufsichtsrat ist zu empfehlen, sich systematisch und in einer neuen Intensität mit den Kompetenzen im Gremium und deren Erfüllungsgrad zu befassen.

Sabrina Biedenbach ist geschäftsführende Gesellschafterin der auf Gremienarbeit spezialisierten Beratungsgesellschaft Board Office Biedenbach GmbH & Co. KG.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.