Unterm StrichForderung nach Konzernentflechtung

Realiter ein Deutschland-Malus

Die Forderung nach Konzernentflechtung passt nicht zum Ziel der Resilienz. Und der von Investoren behauptete Konglomeratsabschlag ist im Falle Siemens ein Deutschland-Abschlag.

Realiter ein Deutschland-Malus

Realiter ein Deutschland-Malus

Von Claus Döring

Die Forderung nach Konzernentflechtung passt nicht zum Ziel der Resilienz. Und der von Investoren behauptete Konglomeratsabschlag ist im Falle Siemens ein Deutschland-Abschlag.

Es ist noch nicht lange her, da stand die Frage der Resilienz im Zentrum der Debatte über die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft und auch von Unternehmen. Die Pandemie, die geopolitischen Konflikte und die disruptiven Veränderungen in Technologie, Lieferketten und Umweltbedingungen müssten zu veränderten Risikobewertungen und besserem Management führen, hieß es. Unternehmen sollten in der Lage sein, externe Schocks oder Verwerfungen der sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Rahmenbedingungen auszuhalten und sich anzupassen. Zu große Abhängigkeit von einzelnen Märkten und Technologien sollte vermieden werden.

Am Kapitalmarkt scheint diese Lehre aus den Krisen entweder nicht angekommen oder schon wieder vergessen zu sein. Oder wie ist es zu interpretieren, wenn institutionelle Investoren von den Unternehmen, wie jetzt in der Siemens-Hauptversammlung, die weitere Entflechtung und noch stärkere Fokussierung fordern, um den angeblichen Konglomeratsabschlag im Aktienkurs loszuwerden  (vgl. BZ vom 9. Februar)? Ist nicht ein breites Portfolio gut laufender und durch Synergien verbundener Geschäfte in einem Unternehmen die beste Absicherung gegen Risiken aus Marktverwerfungen, Missmanagement und auch externen Schocks in einzelnen Sparten? Dass Siemens, um beim Beispiel zu bleiben, trotz des Desasters bei Siemens Energy beziehungsweise Gamesa mit ihren Ertrags- und Cashflowkennziffern zur Spitze in Europa zählt, beweist die Resilienz des Konzerns. Wenn schwankungsanfällige Geschäfte wie Anlagenbau und Industrieautomatisierung und weniger konjunkturabhängige Geschäfte wie die Medizintechnik zum Konzernportfolio gehören, dann ist das unabhängig von möglichen Synergien konzerninterner Risikoausgleich. Dass dennoch der Elektrokonzern seit Jahrzehnten das Portfolio seines Geschäfts überprüft und auch immer wieder beherzt und bis an die Wurzeln des Unternehmens gehend bereinigt, scheint den Anhängern des Pure Play nicht zu reichen.

Wenn Hedgefonds und andere aktivistische Aktionäre Forderungen nach Aufspaltung bei vermeintlich unterbewerteten Konzernen erheben, entspricht das ihrem Ziel kurzfristiger Ertragsmaximierung als Investor. Denn allein die Forderung und mehr noch der öffentlichkeitswirksame Einstieg als aktivistischer Aktionär lässt in der Regel den Aktienkurs steigen – freilich selten nachhaltig. Wenn nun auch große deutsche institutionelle Investoren wie DWS, Union Investment oder Deka die Entflechtung von geschäftlich erfolgreichen Konzernen fordern, dann zeigt das die inzwischen fließenden Grenzen zwischen aktiven und aktivistischen Investoren. Das Pure Play mag im Interesse großer Investoren liegen, die ihre Aktienportfolios nach eigenen Risikovorstellungen gestalten wollen und können – bekanntlich mit wechselhaftem Erfolg. Im Interesse von Klein- und Streubesitzaktionären ist das Pure Play nicht. Denn für sie ist aufgrund ihrer Portfoliogrößen ein Risikoausgleich viel schwieriger. Nicht zuletzt deshalb greifen diese Anleger immer häufiger zu breit aufgestellten Fonds und ETFs.

Aktivistische Aktionäre behaupten gerne einen Konglomeratsabschlag. Doch der Vergleich mit anderen Konzernen ist meist schief, zumal mit ausländischen. Selten sind Portfolios wirklich vergleichbar, noch seltener die wirtschaftlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen am Konzernsitz. Siemens angeblicher Konglomeratsabschlag ist in Wahrheit ein Deutschland-Abschlag. Unter ihm leiden auch fokussierte Konzerne wie SAP, Deutsche Börse oder einst Linde. Die Wahrnehmung des Standortes Deutschland bei internationalen und vorwiegend amerikanischen Investoren hat schwer gelitten. Deutschlands sinkende Wettbewerbsfähigkeit, die schwache Kapitalmarktkultur, die regulatorischen Übertreibungen und der hierzulande grassierende ESG-Hype sind wesentliche Gründe für die Unterbewertung – Konglomerat hin oder her.

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