Governance

Führung nach Gutsherrenart

Dass der VW-Aufsichtsrat es anstelle der Tugenden guter Corporate Governance eher mit der Führung nach Gutsherrenart hält, hat auch deshalb wiederholt für Enttäuschung gesorgt, weil gerade der Autobauer mit seinem staatlichen Großaktionär eigentlich mehr Vorbildcharakter zeigen sollte. Allerdings hat sich 2022 einmal mehr gezeigt, dass auch andere Unternehmen mit Staatsbeteiligung diesen Anspruch vermissen lassen.

Führung nach Gutsherrenart

Von Heidi Rohde, Frankfurt

Lange hatte der VW-Aufsichtsrat dem auf offener Bühne ausgetragenen Streit zwischen Konzernchef Herbert Diess und dem mächtigen Arbeitnehmerlager zugeschaut, um dann nach – zu – langer Bedenkzeit mit einem Ruck die Reißleine zu ziehen. Das allein wäre nur die Fußnote einer Personalentscheidung, wenn diese von den Investoren als sauberer Schnitt und Aufbruchsignal hätte verstanden werden können. Aber davon kann in Stil und Führung bei Deutschlands größtem Automobilkonzern kaum die Rede sein.

Abgesehen davon, dass das von den Familien Porsche und Piëch gelenkte Gremium den umstrittenen Manager „auch nach dem vorzeitigen Ende der Bestellung bis zum Ablauf seiner regulären Laufzeit, d. h. bis zum Ablauf des 24. Oktober 2025‘‘ mit einer großzügigen Gehaltsfortzahlung ausstattete, gab auch die Nachfolgelösung reichlich Anlass zur Kritik. Denn Oliver Blume, der zwar schon länger als möglicher Nachfolger von Diess im Gespräch war, übernahm im September Knall auf Fall ein Doppelmandat, indem er bei VW Konzernlenker wurde und Chef der nun auch noch börsennotierten Sportwagentochter Porsche blieb. Damit nicht genug, wurde den verblüfften Anlegern das auch für einen Spitzenmanager etwas fragwürdige Mammutprogramm als vermeintlich tragfähige Dauerlösung präsentiert. Der Missmut zeigt sich auch im Aktienkurs, wo die VW-Aktie seit dem Porsche-IPO hinter dem Glanz der Tochter verblasst.

Dass der VW-Aufsichtsrat es anstelle der Tugenden guter Corporate Governance eher mit der Führung nach Gutsherrenart hält, hat am Finanzplatz auch deshalb wiederholt für Enttäuschung gesorgt, weil gerade der Autobauer mit seinem staatlichen Großaktionär, dem Land Niedersachsen, eigentlich mehr Vorbildcharakter zeigen sollte. Allerdings hat sich 2022 einmal mehr gezeigt, dass auch andere Unternehmen mit Staatsbeteiligung diesen Anspruch vermissen lassen.

Post-Chef Frank Appel, dessen Verdienste an der Spitze des Brief- und Logistikkonzerns in einer inzwischen fast 15-jährigen Dienstzeit zum Ausdruck kommen, bleibt noch bis Mai auf seinem Posten – obwohl er bereits seit 7. April 2022 zugleich Aufsichtsratchef der Deutschen Telekom ist. Wenn schon die Ämterhäufung bei den Aufsehermandaten aus Corporate-Governance-Sicht oft als bedenklicher Postenschacher daherkommt, so ist diese Doppelrolle bei zwei Staatsbeteiligungen für die freien Aktionäre doppelt anstößig.

Wenig Fortschritt zeigten die Unternehmensführungen im zurückliegenden Jahr auch bei Frauen auf dem Spitzenposten. Merck-Chefin Belén Garijo blieb bis in den Dezember die einzige weibliche Vorstandschefin im Dax. Auf den letzten Drücker bekam sie Gesellschaft durch Helen Giza, die vom Finanzressort auf den CEO-Posten des Dialysekonzerns Fresenius Medical Care (FMC) wechselte.

Dahinter steht allerdings auch ein alles andere als geordneter Prozess. Denn ihre Vorgängerin Carla Kriwet hatte ihrerseits erst im Oktober die Nachfolge von Rice Powell angetreten, so dass alles nach einem Neustart im Gleichschritt mit dem Mutterkonzern Fresenius aussah, wo ebenfalls im Oktober Michael Sen an die Spitze rückte. „Strategische Differenzen“ traten dann in ungewöhnlich kurzer Zeit zutage, so dass für Kriwet ihr „Traumjob“ schnell zum Alptraum wurde. Der Aufsichtsrat, der Kriwet zuvor einen Vertrag bis 2025 gegeben hatte und sich über die Folgen der Vertragsauflösung bedeckt hält, muss sich aber wohl auch selbst ein Armutszeugnis ausstellen lassen. Sorgfältige Personalauswahl sieht anders aus.

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