Zwangsmittel

Verschärfte Durchsetzung von Sanktionen

Deutschland und die Europäische Union setzen sich für eine wirksamere Verfolgung von Sanktionsverstößen ein. Zudem will man den Straf- und Ahndungsrahmen in den Mitgliedstaaten vereinheitlichen.

Verschärfte Durchsetzung von Sanktionen

Von Gerson Raiser*)

Seit Ende Februar 2022 hat die EU angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine neun bislang präzedenzlose Sanktionspakete gegen Russland erlassen. Insbesondere wegen der Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Sanktionen wurden gegen Jahresende sowohl auf deutscher als auch auf EU-Ebene zusätzliche Schritte zur weiteren Verschärfung der Sanktionsdurchsetzung unternommen. Diese Verschärfungen sind allerdings nicht auf die Russlandsanktionen beschränkt, sondern betreffen die Durchsetzung von EU-Sanktionen generell.

Am 27.12.2022 wurde das Zweite Gesetz zur effektiveren Durchsetzung von Sanktionen (Sanktionsdurchsetzungsgesetz II) verkündet. Gemeinsam mit dem bereits im Mai 2022 erlassenen ersten Sanktionsdurchsetzungsgesetz dient es maßgeblich der Verbesserung der Durchsetzung von Finanzsanktionen gegen gelistete Personen – also der Durchsetzung der Verfügungs-, Nutzungs- und Bereitstellungsverbote im Hinblick auf Personen, deren Vermögenswerte einzufrieren sind.

Neue Relevanz

Eine solche Durchsetzung hat aufgrund der in den Russlandsanktionen erfolgten Listungen zahlreicher auch EU-weit wirtschaftlich vernetzter Oligarchen in Deutschland eine völlig neue Relevanz: Mit wenigen Ausnahmen waren in Deutschland befindliche Vermögenswerte früher selten von Finanzsanktionen gegen gelistete Personen betroffen – dies ist nun anders.

Das neue Gesetz überträgt insbesondere Ermittlungs- und Sicherstellungsbefugnisse im Hinblick auf Vermögenswerte sanktionierter Personen einer neuen Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung, die seit dem 2.1.2023 auf Bundesebene tätig ist. Diese noch im Aufbau befindliche Stelle soll auch die Sanktionsdurchsetzung insgesamt mit den anderen zuständigen Bundes- und Landes­behörden koordinieren.

Neben weiteren Änderungen unter anderem zur Verbesserung der Geldwäschebekämpfung sieht das Gesetz die Einrichtung eines neuen Registers für Vermögenswerte sanktionierter Personen vor. Dieses Register soll von der Zentralstelle geführt und mit wenigen Ausnahmen über deren Internetseite öffentlich zu­gänglich sein. Das Register könnte sich nicht nur für Verfolgungsbehörden, sondern auch für Wirtschaftsteilnehmer als sehr hilfreich erweisen. Sanktionslistungen in EU-Verordnungen enthalten in der Regel keine Hinweise auf konkrete Vermögenswerte, und für Wirtschaftsteilnehmer ist oft nur sehr schwer zu ermitteln, ob bestimmte Vermögenswerte einer sanktionierten Person zuzurechnen sind.

Erhebliche Unterschiede

Neben den jüngsten deutschen Maßnahmen hat auch die EU weiteren Optimierungsbedarf erkannt. Am 28.11.2022 hat der Rat der Europäischen Union beschlossen, Verstöße gegen EU-Sanktionen in die Liste der sogenannten „EU-Straftatbestände“ aufzunehmen. Für solche gelisteten Bereiche „besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension“ kann die EU Mindestvorschriften zur Definition von Straf­taten und Sanktionen festlegen und so deren Verfolgung EU-weit harmonisieren. Eine solche Harmonisierung hält die EU insbesondere auch angesichts der „außergewöhnlichen Umstände“ im Hinblick auf die „Entwicklungen der Kriminalität, die seit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beobachten“ seien, für erforderlich. Zwar sind EU-Sanktionsverordnungen in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar und besteht insoweit bereits die Verpflichtung, „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Strafen für Sanktionsverstöße einzuführen.

Die Verfolgung und Ahndung von Sanktionsverstößen obliegen jedoch den Mitgliedstaaten, und derzeit bestehen mitunter erhebliche Unterschiede zwischen den dortigen Vorgaben: In manchen lokalen Rechtsordnungen gelten Sanktionsverstöße als Straftaten, in manchen nur als Ordnungswidrigkeiten und in manchen können sie beides sein. Auch Straf- bzw. Ahndungsrahmen weichen teilweise erheblich voneinander ab: Höchstfreiheitsstrafen reichen von sechs Monaten bis zu zwölf Jahren, teilweise gesetzlich festgelegte Höchstbeträge von Geldstrafen bzw. Geldbußen gegen Unternehmen reichen von 133000 Euro bis 37,5 Mill. Euro.

Lediglich vier Tage nach dem genannten Beschluss des Rates hat die Europäische Kommission am 2.12.2022 einen Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung der Mindestvorschriften zur Definition von Straftaten und Sanktionen für EU-Sanktionsverstöße vorgelegt. Der Vorschlag wird derzeit vom Rat und Europäischen Parlament erörtert.

Neben einer Liste von Sanktionsverstößen, die von den Mitgliedstaaten als Straftatbestände erfasst werden sollen, enthält der Vorschlag unter anderem bestimmte Mindestvorgaben für Strafen gegen natürliche Personen sowie für die Verantwortlichkeit juristischer Personen bei Sanktionsverstößen. Auch gegen verantwortliche juristische Personen sollen wirksame und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, beispielsweise Geldstrafen oder Geldbußen, Ausschluss von Ausschreibungsverfahren, Geschäftstätigkeitsverbote bis hin zur Auflösung. Bei bestimmten Sanktionsverstößen sollen juristische Personen zudem mit „Geldstrafen“ belegt werden können, deren Höchstmaß mindestens 1% bis 5% ihres weltweiten Jahresgesamtumsatzes betragen soll.

Soweit sie wie vorgeschlagen be­schlossen wird, wird sich aus der Richtlinie auch für das deutsche Recht Anpassungsbedarf ergeben. Neben der Anhebung des Sanktionsrahmens für Unternehmen müssten insbesondere auch „grob fahrlässig“ begangene Verstöße als Straftat erfasst werden – bislang sind fahrlässige und leichtfertige Verstöße in Deutschland nur als Ordnungswidrigkeiten eingestuft.

Weitere Schritte

Der Beschluss des Rates und der Richtlinienentwurf sind ein weiterer Schritt zur Stärkung der Durchsetzung von Sanktionen in der gesamten EU. Die Festlegung eines Grundstandards für Straftaten und Sanktionen wird zumindest längerfristig die Verfolgung und Bestrafung insbesondere von grenzüberschreitenden Sanktionsverstößen in den Mitgliedstaaten erleichtern. Die Entwicklungen sind ein Zeichen dafür, dass die EU auf eine verschärfte Strafverfolgung dringt. So betont die Begründung des Richtlinienvorschlags, dass der Verfolgung von Sanktionsverstößen zumindest in einigen Mitgliedstaaten keine ausreichende Priorität eingeräumt werde.

In diese Richtung gehen auch jüngste Forderungen auf politischer Ebene: Die Justizminister Frankreichs und Deutschlands haben beispielsweise gefordert, die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft auf die Verfolgung von Sanktionsverstößen auszuweiten. Sanktionsverstöße sollten nicht nur gemeinsam bestraft, sondern auch gemeinsam verfolgt werden.

Die Europäische Kommission hat daraufhin bereits mitgeteilt, sie prüfe, welche Rolle die Europäische Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Sanktionsverstößen übernehmen könnte. Schon jetzt ist die Europäische Staatsanwaltschaft in bestimmten anderen Bereichen befugt, die Verfolgung auch grenzüberschreitender Straftaten zu übernehmen, und zwar unabhängig von den einzelnen Mitgliedstaaten.

Erhöhter Verfolgungsdruck

Auch wenn es selbst nach Erlass der vorgeschlagenen Richtlinie einige Zeit dauern wird, bis die Vorgaben in den Mitgliedstaaten umgesetzt sind, ist angesichts der jüngsten Entwicklungen damit zu rechnen, dass der Druck im Bereich der Durchsetzung von Sanktionen in der EU weiter zunehmen wird. Bereits jetzt zeigen Erfahrungen aus der Praxis, dass jedenfalls deutsche Strafverfolgungsbehörden vermeintliche Sanktionsverstöße mit erhöhter Priorität zu behandeln scheinen und dabei auch die Angemessenheit von Compliance-Systemen hinterfragen.

Sollte tatsächlich eine Kompetenzzuweisung zur Europäischen Staatsanwaltschaft erfolgen, wird vor allem in Mitgliedstaaten mit derzeit noch geringer Verfolgungsaktivität mit erhöhtem Verfolgungsdruck zu rechnen sein. Auch deshalb sollten Unternehmen Sanktionsentwicklungen weiterhin aufmerksam verfolgen und ihre Systeme kontinuierlich anpassen, um das Risiko von Verstößen zu reduzieren.

*) Gerson Raiser ist Counsel in der Praxisgruppe „White Collar, Regulatory & Compliance“ von Clifford Chance in Frankfurt.