EU-Kommission/Ecofin

Europa ringt um neue Haushaltsregeln

Nach dreijähriger Debatte legt die EU-Kommission im Oktober ihre lang erwarteten Vorschläge für eine Reform der Haushalts- und Schuldenregeln in Europa vor. Der Ökonom und Berater von Finanzminister Christian Lindner, Lars Feld, erwartet für die nächsten Monate einen „politischen Kuhhandel“.

Europa ringt um neue Haushaltsregeln

ahe/wf Brüssel/Berlin

Auch wenn intern weiter Uneinigkeit über die konkrete Ausgestaltung besteht, will die EU-Kommission im Oktober ihren lang erwarteten Gesetzesvorschlag zu Änderungen in den europäischen Fiskalregeln vorlegen. Damit läutet die Brüsseler Behörde den Schlussspurt für eine Reform ein, über die in Europa bereits seit drei Jahren diskutiert wird.

Wie aus der EU-Kommission zu hören ist, soll bei der Haushaltsüberwachung künftig verstärkt mit mehrjährigen Kennziffern gearbeitet werden. Die Kommission tendiert zudem zu stärker bilateral ausgehandelten, individuellen Schuldenabbaupfaden, die die heute gültige 1/20-Regel ersetzen könnten. Nachgedacht wird zugleich über die Einführung von neuen Anreizstrukturen, ähnlich wie sie etwa bei der Ausgestaltung des milliardenschweren Corona-Wiederaufbaufonds verankert wurden. Über die genaue Balance der Reform, zu der auch eine bessere Durchsetzbarkeit der Regeln sowie eine stärkere nationale Verantwortung gehören, wird intern aber noch gestritten.

Die Haushaltsregeln sind in diesem und auch im nächsten Jahr faktisch noch ausgesetzt. Ab 2024 sollen bei der Wiedereinsetzung möglichst die reformierten Vorgaben schon gelten. Der Freiburger Ordnungsökonom Lars Feld sprach von einem „politischen Kuhhandel“, der in den nächsten Monaten anstehe. „Es wäre gut, wenn im Gegenzug zu neuen Flexibilisierungen andere bereits existierende Flexibilisierungen wieder gestrichen würden. Außerdem sollte es bindende Regeln für den Abbau der Schuldenquote geben“, forderte Feld, der auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) berät, im Interview der Börsen-Zeitung.

Lindner, der die Reform der Fiskalregeln in der nächsten Woche noch einmal mit seinen EU-Finanzministerkollegen in Prag erörtern will, hatte die deutsche Position hierzu Anfang August veröffentlicht. In dieser zeigte er sich zur Aufgabe der heutigen Schuldenabbauregel bereit, nicht aber zur Aufweichung der Schuldenobergrenze von 60% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). „Das 60-%-Kriterium hat eine Ankerwirkung“, betont jetzt auch Feld. Bei Erhöhung der Grenze werde auch der Druck zu höheren Schulden in Deutschland oder den Niederlanden zunehmen. „Die Schuldenquote ist wichtig für die Schuldentragfähigkeit. Und sie ist wichtig als Signal an die Finanzmärkte.“

Die EU-Kommission will ihre mehrfach verschobenen Vorschläge nun nach der Parlamentswahl in Italien vorstellen. Klar sei, „Italien ist der Fixpunkt, um den es in der Debatte im Wesentlichen geht“, erläutert Feld. Italien ist unter den großen Euro-Staaten mit Abstand am stärksten verschuldet. Das Land fordert ebenso wie etwa Frankreich eine noch stärkere Flexibilisierung der Fiskalregeln und mehr Ausnahmen für staatliche Investitionen.

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