Christa Koenen

„Wir brauchen eine echte Datenkultur in Unternehmen“

Christa Koenen ist seit einem Jahr Digitalvorständin von Schenker, der Logistiktochter der Deutschen Bahn. Die Auswertung von Daten mit künstlicher Intelligenz wird in der Logistik in Zukunft noch wirkmächtiger sein, sagt die 50-Jährige.

„Wir brauchen eine echte Datenkultur in Unternehmen“

Stefan Paravicini.

Frau Koenen, Sie sind seit einem Jahr Digitalvorständin von DB Schenker und waren zuvor als CIO der Bahn für Digitalisierungsthemen verantwortlich. Die Bahn hat nach eigenem Bekunden noch Stellwerke aus der Vorkriegszeit im Einsatz. Wo steht Schenker in Sachen Digitalisierung?

Ich bin nach den ersten zwölf Monaten im Unternehmen ziemlich beeindruckt, wie digital Schenker bereits ist. Wir feiern gerade 150 Jahre Schenker und natürlich hat jedes gewachsene Unternehmen bei der Digitalisierung in unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich Fortschritte gemacht. Es ist also auch bei uns noch viel zu tun, aber in den vergangenen Jahren ist Schenker hier ein großer Sprung gelungen. Das ist bei der Bahn schon deshalb anders, weil die Infrastruktur sehr asset-lastig ist. Das dauert einfach länger. Mit dem vergleichsweise asset-leichten Geschäftsmodell von Schenker können wir uns besser auf unsere IT-Plattform konzentrieren und von hier die Digitalisierung vorantreiben.

Gilt Ihr Befund für Schenker auch für die Logistik allgemein, oder hat die Branche beim Thema Digitalisierung mehr Nachholbedarf?

Allein in Deutschland gibt es mehr als 50000 Lkw-Spediteure. Zwei Drittel von ihnen haben weniger als zehn Mitarbeiter und drei Viertel weniger als zehn Fahrzeuge. Diese Unternehmen haben meistens nicht die Mittel, in großem Stil in die Digitalisierung zu investieren. Sie vertrauen auf Angebote von großen Unternehmen wie uns. Deshalb haben wir mit unserer Akquisition des Softwareunternehmens Bitergo in diesem Frühjahr auch den Fokus darauf gelegt, was wir dem Markt hier anbieten können. Mit unseren Aktivitäten in der Open Logistics Foundation versuchen wir darüber hinaus, gemeinsam mit anderen Unternehmen der Branche digitale Standards zu setzen, die der Branche insgesamt helfen, in der Digitalisierung voranzukommen.

Ist die Fragmentierung des Logistikmarktes für Schenker die größte Herausforderung bei der Digitalisierung?

Ich würde das nicht als eine Herausforderung für Schenker, sondern als eine Herausforderung für den Markt sehen. Für uns ist unser weltweites Netz und die damit verbundene Komplexität die spannendste Heraus­forderung. Schenker ist innerhalb dieses Netzes unterwegs und nutzt IT und Digitalisierung als Enabler, damit wir diese Komplexität besser beherrschen und auch gestalten können.

Was sind denn die Treiber für die Digitalisierung in der Logistik?

Aus der Sicht des Unternehmens ist Effizienz unser großer Treiber. Das betrifft aber nicht nur die Produktion unserer Logistikleistungen, es geht auch um das Thema Nachhaltigkeit. Denn je effizienter wir produzieren, desto besser ist das auch für die Umwelt, desto mehr Kohlendioxid (CO2) können wir einsparen. Ein mindestens genauso großer Treiber sind die Anforderungen unserer Kunden. Auch sie legen auf Themen rund um Nachhaltigkeit immer größeren Wert und mit Hilfe der Digitalisierung können wir zum Beispiel über den CO2-Abdruck höhere Transparenz schaffen. Um Transparenz geht es auch beim Thema Visibilität, das während der Pandemie und den damit verbundenen Schwierigkeiten in den Lieferketten enorm an Bedeutung gewonnen hat.

Welche Rolle spielt die Blockchain-Technologie mit Blick auf Visibilität als Grundlage für Vertrauen in der Logistik?

Die Blockchain ist ein interessantes Instrument. Wir setzen es ein, wo es sinnvoll ist. Es gibt aber auch andere Instrumente, mit denen das gleiche Ergebnis oft einfacher zu erreichen ist. Die Blockchain-Technologie ist eines von mehreren Instrumenten, um eine Vertrauensbasis zu schaffen.

Schenker hat gerade ein Angebot von Ersatzteilen aus dem 3D-Drucker vorgestellt, das die Kunden im virtuellen Warenlager bestellen können. Sieht so das Metaverse für die Logistik aus?

Wir lagern 3D-Dateien, also digitale Zwillinge echter, physisch greifbarer Produkte in unserer Cloud ein wie in einem virtuellen Warenlager. Bei Bedarf erzeugen wir daraus mittels 3D-Druck das Ersatzteil und liefern es aus. Das heißt: weniger Lagerkosten, weniger Lieferwege. Für unsere Kunden sind das ganz reale Vorteile im echten Universum.

IT und Digitalisierung betreffen nicht nur die Kunden, sondern auch die mehr als 75000 Beschäftigten von Schenker an über 1850 Standorten weltweit. Welche Rolle spielen sie in Ihrer Strategie?

Meines Erachtens gibt es einen fließenden Übergang zwischen IT und Digitalisierung. Das ist in den vergangenen Jahren eigentlich allen bewusst geworden. Wir wussten natürlich immer, dass Digitalisierung mit IT-Mitteln gemacht wird. Dennoch war beides in vielen Unternehmen lange getrennt. Das ist mittlerweile aber überwunden. Wir treiben die klassischen operativen Themen sowie Modernisierung und Innovationen weiter. Für mich ist aber gerade bei der Digitalisierung die enge Zusammenarbeit der IT mit den Produktbereichen unheimlich wichtig. Nur wenn wir als IT von vorneherein involviert sind, können wir auch gemeinsam die Lösungen so gestalten, dass sie den Kundenanforderungen gerecht werden.

Was bedeutet das konkret?

Meine IT-Strategie baut auf den Strategien unseres Geschäfts auf, deshalb bin ich zusammen mit meinem Team in engem Austausch mit den Geschäftsbereichen, damit wir verstehen, was dort am wichtigsten ist, und die IT-Strategie darauf ausrichten können. Was für uns ein großer Fokus ist: Wir wollen zeigen, wie spannend IT innerhalb eines Unternehmens ist, weil bei uns – anders als bei einem IT-Unternehmen – die Mitarbeiter unmittelbar sehen, was ihr Tun im Tagesablauf beim Kunden bewirkt. Wir wollen deshalb auch eine Durchlässigkeit haben, damit IT-Mitarbeiter ins operative Geschäft wechseln und umgekehrt. Ich glaube, da liegt die Zukunft, weil wir so ein viel breiteres Basiswissen an IT und Digitalisierung im Unternehmen schaffen. Damit werden wir schneller und können die digitalen Instrumente dann auch besser einsetzen.

Ein Instrument wie die Software von Bitergo haben Sie genannt. Welche anderen Beispiele für IT-Services gibt es bei Schenker?

Wir machen Vieles rund um IT-Services, da muss man allerdings zwischen Spediteuren, von denen Zehntausende in unserem Auftrag Ladungen transportieren, und Verladern, also unseren Kunden, unterscheiden. Bei einem Angebot wie der Plattform Drive4Schenker können sich Spediteure anmelden und dann zusätzliche Fracht beiladen oder andere Leistungen anbieten. Für unsere Kunden bieten wir die Plattform eSchenker, wo sie Leistungsangebote abfragen können und dann auch Informationen zur Leistungserbringung erhalten. Diese Services erweitern wir stetig und fragen dazu die Bedarfe auf Seiten der Nutzer ab.

Wie sieht die IT-Infrastruktur von Schenker aus? Unterhalten Sie eigene Rechenzentren, oder sind Sie wie die Bahn vorwiegend in der Cloud unterwegs?

Wir sind überwiegend in der Public Cloud, es gibt also kaum noch lokale Infrastruktur. Wir sind global aufgestellt aber dezentral verteilt. Das bleibt natürlich ein großer Fokus, um die Kunden nicht nur bei Nachhaltigkeit und Transparenz abzuholen, sondern auch bei Verlässlichkeit und Robustheit der IT. Die ganze Logistik beruht heute auf IT und kann nur so stabil sein wie die IT-Infrastruktur. Da mischt die Innovation mit rein. Denn mit innovativen Mitteln können wir die Robustheit der Lieferketten erhöhen, etwa durch bessere Datenanalysen, schnellere Reaktionsfähigkeit und bessere Prognosen.

Wie viel investiert Schenker in Digitalisierung und IT?

Wir investieren so viel, wie wir glauben, dass es sich tatsächlich rentiert, und so viel, wie es notwendig ist. Die gestiegene Bedeutung der IT und Digitalisierung spiegelt sich in unseren Budgets natürlich wider.

Die Logistik hat zuletzt eine Reihe von digitalen Herausforderern angezogen. Was trauen Sie diesen Start-ups zu?

Ich finde es erst einmal sehr spannend zu beobachten, in welchen Nischen sich digitale Start-ups zu etablieren versuchen und welche Stärken sie in den Markt einbringen. Mir scheint aber, dass es für sie doch eine ziemlich große Herausforderung ist, das Speditionsgeschäft zu verstehen. Wir haben den Vorteil, dass wir das seit 150 Jahren erfolgreich machen, und ich glaube, dass wir bei der Digitalisierung schneller Geschwindigkeit aufnehmen können als die digitalen Start-ups beim Erlernen des Speditionsgeschäfts. Wir haben natürlich die Herausforderung, dass wir das sehr breit tun müssen, weil wir unser gesamtes Geschäft abdecken und nicht nur eine kleine Nische. Da sind wir aber gut unterwegs.

Das klingt nicht nach harter Konkurrenz aus der Start-up-Szene.

Man sollte neue Herausforderer nie unterschätzen und nach Möglichkeit immer von ihnen lernen. Das bringt uns manchmal auf neue Ideen, auf welche anderen Services wir uns fokussieren könnten. Es validiert manchmal auch unsere eigenen Ideen. Es ist ein großer und sehr komplexer Markt und deshalb sehr spannend zu sehen, wie er in Bewegung ist.

Den Zukauf von Bitergo haben Sie erwähnt. Werden ähnliche Transaktionen bei Schenker in Zukunft häufiger zu beobachten sein?

IT ist kein Fokus in unserer M&A-Strategie. Bitergo war ein strategischer Zukauf, um zu sehen, wie wir in diesem fragmentierten Speditionsmarkt Software as a Service anbieten können, die kleinere Unternehmen nicht selber bauen können, und in einem Segment, in dem es noch keine vergleichbaren spezifischen Angebote gibt.

Nach der jüngsten Korrektur bei Technologiewerten bieten sich interessante Kaufgelegenheiten. Schauen Sie da genauer hin?

Selbstverständlich schauen wir als Vorstand immer darauf, wie sich der Markt in unseren unterschiedlichen Segmenten entwickelt. Und natürlich haben wir da auch eine Strategie, wenn es um Zukäufe geht. Ich möchte nicht ins Detail gehen, aber natürlich haben wir die Märkte im Blick.

Das Thema IT und Digitalisierung könnte bei einem Zukauf aber wieder eine Rolle spielen?

Das kommt sehr darauf an, in welchen strategischen Nischen wir den Fokus setzen. Wenn das unser Kerngeschäft stützt, dann würde ich es nicht ausschließen.

Wie nah sind Sie als Digitalvorständin an den Aktivitäten des hauseigenen Risikokapitalarms Schenker Ventures dran?

Als Vorstand IT und Digital sitze ich dort mit im Entscheidungsgremium. Wir machen das natürlich auch, um zu schauen, wie wir unsere eigene Innovationsfähigkeit steigern können, und investieren deshalb auch in Bereiche, die nicht unmittelbar das Kerngeschäft berühren. Mit den Start-ups Warehousing1 aus Berlin und Laserhub aus Stuttgart haben wir bereits zwei Venture-Capital-Investments umgesetzt und sind weiter dabei, den Markt zu scannen und uns Möglichkeiten anzuschauen. In Kürze werden wir die nächste Beteiligung bekannt geben. Wir verstehen uns hier als Risikokapitalgeber, wollen aber auch generell zukunftsweisende Innovationen für die Logistik fördern, um voneinander zu lernen.

Für Innovationen braucht man innovative Köpfe. Wie schlägt sich Schenker im „War for talent“?

Ich halte den Logistikmarkt und Schenker als Arbeitgeber für sehr attraktiv. Die vergangenen Jahre haben diesen Markt in den Vordergrund gerückt, denn über die Herausforderungen in den Lieferketten hat sich vor der Corona-Pandemie kaum jemand Gedanken gemacht. Jetzt wird auch die Dynamik in diesem Markt viel deutlicher wahrgenommen. Nicht jeden Techie wird das ansprechen, aber es gibt eine nicht zu unterschätzende Menge von IT-Fachkräften, die nah am Produkt sein möchten. Genau die sprechen wir an. Hinzu kommt, dass wir mit unserer weltweiten Aufstellung auch Tech-Hubs auf der ganzen Welt unterhalten und überall Talente gewinnen können.

Rekrutieren Sie demnächst bei Start-ups, die in der Krise stecken?

Wir rekrutieren im Markt von IT-Dienstleistern und auch in der Logistik-Branche. Wir werben auch unter Uni-Absolventen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Es ist ein breites Feld, wir suchen unterschiedliches Know-how für unterschiedliche Rollen. Ich bin da sehr offen, weil ich überzeugt bin, dass jeder mit einem anderen Blick die Qualität verbessert, solange die Mischung insgesamt stimmt. Wir sind aber auch sehr offen, wenn jemand aus einem Start-up zu uns wechseln möchte, solange er so hoch motiviert ist wie unser heutiges Team.

Wir haben schon über 3D-Druck und virtuelle Lagerhallen gesprochen. Gibt es denn eine Technologie, die so wirkmächtig werden könnte, dass sie die Logistik grundlegend verändern wird?

Ich glaube wir arbeiten schon heute mit den Instrumenten, die in Zukunft grundlegende Veränderungen bringen werden, wenn wir sie erst breitflächig einsetzen. Aus meiner Sicht geht es im Kern vor allem um Daten und ihre Auswertung mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI). Das ist ein echter Game Changer. Wir brauchen eine echte Datenkultur in Unternehmen, denn die daraus resultierende Datenqualität, die Analyse dieser Daten mit Hilfe von KI und das Zurückspielen dieser Analysen in das System ändert das Spiel in alle Richtungen. Wenn man dann noch weiter nach vorne schaut und das mit den Potenzialen von Quantencomputing verbindet, wird das alles noch viel mehr Wirkung erzeugen. Daneben gibt es eine Reihe von Themen, die damit einhergehen. Wir sind zum Beispiel ganz vorne dabei bei der automatisierten Auswertung von Videobildern. Das ist ein Teilbereich, der in Verbindung mit KI viel verändern kann und auch verändern wird in Richtung Automatisierung.

Heißt Datenkultur bei einer globalen Spedition, dass jeder Frachtführer Daten seiner Fracht in einer Datenbank einträgt?

Es geht auch noch um manuelle Datenerhebung, aber vor allem um die Automatisierung der Datenerhebung und die Automatisierung im Umgang mit Daten, um Fehlerquellen zu vermeiden. Es geht aber auch um das Verständnis, dass Daten nicht unnütz sind, nur weil nicht gleich für den Einzelnen ersichtlich ist, was man damit machen kann. Es gibt viele Datengruppen und Datenarten, die auf den ersten Blick keinen Mehrwert bringen. Aber wenn wir sie mit anderen Daten zusammenbringen und mit KI auswerten, können wir daraus sehr viel Mehrwert ziehen. Dieser Mindset ist wichtig.

Was sind die größten Hemmnisse mit Blick auf die Datenkultur in der Logistik und was kann Schenker daran ändern?

Wir haben als großer Spediteur sehr viele Möglichkeiten und arbeiten auch sehr intensiv daran, das voranzutreiben. Wie immer im Leben ist das bei einem so großen Unternehmen ein kontinuierlicher Prozess. Die Datenqualität zu verbessern, dabei alle mitzunehmen und auch zu zeigen, warum wir das machen, das halte ich für extrem wichtig. Deshalb die enge Zusammenarbeit zwischen den Geschäftsbereichen und der IT. Das ist ein Dialog, in dem wir als IT aufzeigen können, wie wir die Schmerzpunkte der Geschäftsbereiche mit Hilfe von Daten und KI lindern können und einen echten Mehrwert schaffen. Natürlich ergänzen wir das auch mit externen Daten, das ist sehr wichtig. Und wir erweitern die Daten, die uns zur Verfügung stehen, da wir unsere Internet-of-Things-Plattform stetig ausbauen.

Schenker gilt schon länger als Verkaufskandidat und die Bundesregierung soll sich mittlerweile darauf verständigt haben, den Verkaufsprozess zu starten. Bremst das IT-Projekte und behindert das die Digitalisierung?

Das sind Spekulationen, am Ende entscheidet hier der Bund als Eigentümer. Mein Fokus liegt darauf, unser Kerngeschäft bestmöglich nach vorne zu bringen und zukunftsfest zu machen.

Das Interview führte

BZ+
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