Barbara Frenkel, Porsche

„Wir sprechen heute direkt mit Halbleiter­herstellern“

Beschaffungsvorständin Barbara Frenkel äußert sich im Interview zur hohen Priorität der Nachhaltigkeit bei Porsche, den Herausforderungen in der Lieferkette und der Reaktion des Sportwagenbauers auf die Chipkrise.

„Wir sprechen heute direkt mit Halbleiter­herstellern“

Sebastian Schmid.

Frau Frenkel, Sie haben im Vorstand für Porsche vor neun Monaten die Verantwortung für den Bereich Beschaffung übernommen. Mit Lieferengpässen, dem Krieg in der Ukraine und fehlenden Halbleitern scheint die Beschaffung gerade das entscheidende Ressort in der Branche zu sein. Kann man das so sagen?

Klar ist: Wir Beschaffer stehen momentan branchenweit im Fokus. Entscheidend ist aber, dass man derartige Schwierigkeiten nur im Team bewältigt. Ich denke in Chancen. Die Engpässe können wir hoffentlich bald überwinden. In der Zukunft möchte ich wieder mehr Zeit für die bedeutsamen strategischen Themen bei Porsche haben: Nachhaltigkeit in der Lieferkette, Elektromobilität und die digitale Transformation.

Wenn Sie auf das vergangene Dreivierteljahr zurückblicken: Was waren die ersten Schwerpunkte Ihrer Arbeit?

Ich habe mein Vorstandsmandat auf dem Höhepunkt der Halbleiterkrise angetreten. Die Bewältigung der Chipknappheit war deshalb der erste Schwerpunkt. Zwei Aspekte sind wichtig: Es geht darum, möglichst viele Halbleiter zu bekommen. Gleichzeitig sind aber auch die Auswirkungen des Engpasses auf unsere Lieferanten zu verstehen. Denn die gesamte Lieferkette ist eng miteinander verwoben.

Wie sind Sie das angegangen? Was waren die ersten Schritte?

Im ersten Schritt haben wir die Halbleiter genauestens analysiert. In der Öffentlichkeit wird oft von einer Chipkrise gesprochen. In einem Fahrzeug wie dem Taycan, unserem ersten vollelektrischen Sportwagen, sind aber rund 5000 Halbleiter verbaut. Das sind verschiedene Teile, die in unterschiedlichem Maße von der Chipknappheit betroffen sind. Die Halbleiterproduktion und die dahinterliegende Lieferkette sind komplex. Mit diesen Themen beschäftige ich mich intensiv. Es geht darum, wie wir unsere Lieferketten langfristig noch robuster machen können.

Das Thema Lieferketten ist aber doch schon mit der Coronakrise aufgekommen. Was hat sich bei Porsche seit Beginn der Pandemie geändert in der Aufstellung der Lieferketten, und wo haben Sie noch zu tun?

Die Pandemie hat gezeigt, wie sehr die globalen Lieferketten zusammenhängen. Man kann in der Produktion nicht kurz auf die Pause-Taste tippen und den Betrieb anschließend einfach fortsetzen. Die Lieferanten sind dabei aber nur ein Teil der Gleichung. Auch die Logistik spielt eine Rolle. Es hat großen Einfluss auf die Lieferketten, wenn sich zum Beispiel Schiffscontainer nicht mehr so über die Weltmeere bewegen lassen, wie wir es vor der Krise gewohnt waren.

Wie geht man damit um?

Mit guter Vorbereitung. Nehmen Sie zum Beispiel Großbritanniens Ausstieg aus der EU: Wir haben uns schon im Vorfeld des Brexit auf verschiedene Szenarien eingestellt. Dabei kamen mehrere Strategien zum Einsatz: Wir haben die Lagerbestände erhöht und uns frühzeitig zusätzliche Logistikkapazitäten gesichert. Auch Transparenz über die Lieferkette und ihre globalen Abhängigkeiten ist ein wichtiger Baustein. Die Herausforderungen des Brexit waren aber überschaubar im Vergleich zur Halbleiterkrise. Sie hat uns noch einmal neue Fragestellungen aufgegeben.

Können Sie da konkreter werden?

Wir denken darüber nach, um welche Themen wir uns künftig in welcher Tiefe kümmern. Denn wir hatten bislang keine direkten Beziehungen zu den Halbleiterherstellern. Wir beschaffen beispielsweise die Steuergeräte für unsere Fahrzeuge. Die dort verbauten Chips werden aber von anderen eingekauft…

…beispielsweise von Bosch, ZF oder einem anderen Tier-1-Zulieferer?

Ja. Aber auch die direkten Tier-1-Lieferanten erhalten Chips zum Teil von Sublieferanten. Der fertige Chip hat wiederum seine eigene – mehrstufige – Lieferkette. Wir sprechen heute direkt mit Halbleiterherstellern, führen auch sogenannte Drei-Parteien-Gespräche. Dabei sitzen wir mit unserem direkten Lieferanten und dem jeweiligen Halbleiterlieferanten am Tisch. Dort sprechen wir offen darüber, was alle Beteiligten benötigen, um uns zuverlässig und dauerhaft zu versorgen. Wichtig ist Transparenz. Wir vergeben heute Aufträge mit einem deutlich längeren Zeithorizont von rund 18 Monaten.

Aber wenn es an bestimmten Teilen mangelt, nützt auch die frühzeitige Bestellung nichts, oder?

Das hat einen anderen Hintergrund. Die Technologie im Halbleiterbereich entwickelt sich rasant weiter. Die Chips werden immer kleiner – bei gleichzeitig höherer Leistung. Das ist für die gesamte Automobilindustrie mit ihren langen Entwicklungszyklen eine Herausforderung. Das kann dazu führen, dass wir diese Zyklen stärker mit dem Rhythmus der Halbleiterindustrie synchronisieren müssen. Denn bestimmte Chips werden nicht über lange Zeiträume am Markt verfügbar sein.

Sie sind im VW-Konzern Teil einer Beschaffungsgemeinschaft mehrerer Marken. Was sind hier die Aufgaben der Porsche-Beschaffung? Welche Teile übernimmt Audi, welche der Konzern?

Wir arbeiten über den gesamten Konzern hinweg als Beschaffungsteam und befinden uns im engen Austausch auf verschiedenen Ebenen. Bei Porsche verantworten wir alle Produktionsteile, die ausschließlich in unseren Fahrzeugen verbaut werden. Aber auch jene Technologien, für die Porsche die Entwicklungsverantwortung trägt.

Beispielsweise im Taycan, dessen Plattform auch der E-Tron GT von Audi nutzt…

Richtig. Aber natürlich beziehen wir auch Teile, die von andere Konzernmarken entwickelt wurden. Diese Synergien machen die Stärke unseres Konzernverbunds aus.

Mit dieser Aufstellung ist Porsche ja auch gut durch die Krise gekommen. Wie eng war angesichts der schwierigen Teilebeschaffung die Zusammenarbeit mit dem Vertrieb?

Sehr eng. Wenn etwa eine Kom­ponente fehlt, um eine bestimmte Ausstattungsvariante anzubieten, sprechen wir uns genau ab, wie wir dem Kunden trotzdem den Traum vom eigenen Porsche erfüllen. Dass wir trotz aller Herausforderungen im Jahr 2021 einen Auslieferungs­rekord erreicht haben, ist eine starke Leistung des gesamten Porsche-Teams. Alle haben dazu beige­tragen.

Eine Stärke von Porsche ist, dass man schneller als viele Volu­menhersteller in Richtung bilanzieller CO2-Neutralität unterwegs ist. Wird dieses Ziel durch die schwierige Beschaffungssituation gefährdet?

Inwiefern?

Etwa weil Versorgungssicherheit mit Bauteilen über Nachhaltigkeit gestellt werden muss oder durch Multi-Sourcing höhere CO2-Emissionen in der Logistik entstehen?

Bei vielen unserer Bauteile ist der CO2-Fußabdruck durch den Transport im Verhältnis zur Herstellung und der Materialzusammensetzung relativ klein. Für uns in der Beschaffung ist das Sourcing neuer Teile eine Chance, um Nachhaltigkeit sicherzustellen. Das machen wir beispielsweise seit Juli 2021 mit unseren Anforderungen an die Serienlieferanten, Komponenten für neue Fahrzeugprojekte mit Grünstrom zu fertigen. Das spart viel CO2 – gerade etwa bei der Batterieherstellung für Elektrofahrzeuge. Und natürlich ist bei großvolumigen schweren Bauteilen wie den Batterien auch die Nähe zur Produktion wichtig, um den CO2-Ausstoß zu minimieren. Einer unserer Batteriehersteller hat etwa ein Werk weniger als zehn Kilometer von unserem Stammwerk in Stuttgart-Zuffenhausen entfernt gebaut.

Also keine Kompromisse bei den Nachhaltigkeitsstandards?

Bei der Nachhaltigkeit macht Porsche keine Kompromisse. Das erwarten unsere Kunden von uns. Es geht um Glaubwürdigkeit. Ziele, die uns aus Überzeugung wichtig sind, verfolgen wir – auch wenn Gegenwind bläst.

Teil der Nachhaltigkeitsstrategie von Porsche sind auch E-Fuels. Sie errichten gerade eine Pilotanlage in Chile. Warum Chile?

Ich war vor Kurzem in Chile in der Pilotanlage. Ein entscheidender Standortvorteil ist das hohe Aufkommen von starkem Wind zur Erzeugung von regenerativem Strom. Denn im Süden Chiles laufen die Windräder im Schnitt an 270 Tagen im Jahr mit Volllast, so dass sich mit dieser Windenergie enorm viel Elek­trizität zur Herstellung von grünem Wasserstoff erzeugen lässt. Außerdem konkurrieren wir in Patagonien nicht mit anderen Abnehmern, da es keine Industrie und kaum Autos gibt. Im Schnitt leben nur zwei Menschen pro Quadratkilometer in der Region. Den erzeugten Strom direkt per Kabelleitung von Chile nach Europa zu transportieren, ist nicht möglich. Deshalb entsteht in der Pilotanlage im ersten Schritt Methanol – mit Wasserstoff und aus der Luft entnommenem CO2. Im zweiten Schritt wird dann mit dem sogenannten Methanol-to-Gasoline-Prozess flüssiges Rohbenzin – der E-Fuel – hergestellt. Durch die Umwandlung in flüssige Energieträger wie E-Fuels ist die Speicherung und der Transport der lokal im Überfluss vorhandenen erneuerbaren Energie in Regionen mit hohem Energiebedarf möglich. Und das mit der vorhandenen Infrastruktur – ein weiterer Vorteil dieser faszinierenden Technologie.

In welchem Umfang kann das helfen, Mobilität nachhaltiger zu machen?

Wir wollen zeigen, dass die E-Fuels-Produktion in einem industriellen Maßstab funktioniert. Geplant ist die Kapazität der Pilotanlage mit 130000 Liter pro Jahr. Wir sind Hauptabnehmer im ersten Jahr. Der Kraftstoff könnte dann zunächst im Motorsport zum Einsatz kommen, perspektivisch auch bei der Erstbetankung in der Fabrik sowie in den Porsche-Experience-Centern. Das Hochfahren der Anlage ist für die kommenden Jahre geplant.

Auf welche Märkte setzen Sie da?

Europa könnte ein attraktiver Markt für E-Fuels sein. Auch andere Länder und Regionen kommen in Frage. Jenseits des Automarktes sehen wir ebenfalls Chancen. Insbesondere für die Luftfahrt- und Schifffahrtindus­trie werden E-Fuels bei fortschreitender Industrialisierung interessant. Beides sind Sektoren, in denen die Batterie aktuell noch keine Alternative zum flüssigen Kraftstoff darstellt.

Das Interview führte

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