Energiewende

Erster Schritt für eine „Deutsche Netz AG“

Für die Energiewende müssen die großen Stromautobahnen von den Windrädern im Norden zu den Fabriken im Süden mit Milliardenbeträgen ausgebaut werden. Deshalb greift die Bundesregierung jetzt nach den deutschen Aktivitäten des niederländischen Stromnetzbetreibers Tennet.

Erster Schritt für eine „Deutsche Netz AG“

cru Frankfurt

Die Bundesregierung verhandelt mit der niederländischen Regierung über die milliardenschweren Deutschland-Aktivitäten des staatlichen niederländischen Übertragungsnetzbetreibers Tennet in Deutschland. Es geht um eine vollständige Übernahme durch den Bund. Das haben beide Seiten am Freitag offiziell bestätigt. Verhandelt wird dem Vernehmen nach unter Beteiligung des Kanzleramtes.

Die Tennet TSO GmbH mit Sitz in Bayreuth gibt ihren Investitionsbedarf für die nächsten Jahre mit 15 Mrd. Euro an. Das Unternehmen hat im Jahr 2021 – neuere Zahlen gibt es nicht – einen Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) von 801 Mill. Euro erzielt. Die Abschreibungen dürften bei 700 Mill. Euro gelegen haben – und das Ebitda somit bei 1,5 Mrd. Euro. So schätzen Investmentbanker, die ein Kaufpreis-„Multiple“ von 10 annehmen, den Marktwert des Unternehmens auf 15 Mrd. Euro.

Allerdings gebe es auch Faktoren, die für einen geringeren Wert sprechen: Tennet habe das gesamte Backoffice in die Niederlande gezogen. So müsse das Unternehmen, wenn der Deutschland-Teil abgetrennt wird, erst funktionsfähig gemacht werden. Außerdem hängt bei der Frage, wie viel Geld der Bund an Den Haag überweisen muss, auch viel davon ab, welchen Anteil der Schulden – Shareholder Loans der niederländischen Muttergesellschaft an die deutsche Tochter – von 15,6 Mrd. Euro der deutsche Unternehmensteil mit auf den Weg bekommen soll.

Zumal die Ertragslage inzwischen schon wieder schlechter aussehen könnte als noch im Jahr 2021 mit dem letzten verfügbaren Geschäftsbericht. Denn die Zinskosten für die Milliardenschulden sind gestiegen – ebenso wie der Aufwand zur Stabilisierung der Netze und die Investitions- und Finanzierungskosten für den Netzausbau, die wiederum vom Regulierer, der Bundesnetzagentur, nur noch niedrig verzinst werden.

Um die Energiewende zu be­schleu­nigen und bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen, ist laut Wirtschaftsministerium „ein erheblicher Netzausbau in Deutschland erforderlich“. „Dies betrifft insbesondere die Regelzone von Tennet als größtem deutschen Übertragungsnetzbetreiber“, erklärte eine Sprecherin. „Die Bundesregierung und die niederländische Regierung haben sich deshalb im Oktober 2022 darauf verständigt, die Verhandlungen über eine mögliche deutsche Beteiligung an Tennet Deutschland wiederaufzunehmen.“ Seitdem führe man vertrauliche Gespräche. Diese Gespräche seien konstruktiv. Tennet habe mitgeteilt, einen vollständigen Verkauf ausloten zu wollen. „Das begrüßen wir.“

Tennet betreibt in den Niederlanden und Teilen Deutschlands ein verbundenes Übertragungsnetz. In den vergangenen Jahren hat sich das Unternehmen nach eigenen Angaben zum weltweit größten Investor und Betreiber von Anbindungen für Offshore-Windkraft entwickelt.

Die Investitionen werden in erster Linie durch Fremdkapital finanziert – hier ist Tennet der nach eigenen Angaben größte Emittent grüner Schuldverschreibungen in der EU – sowie durch Eigenkapital, um das starke Kreditrating zu erhalten. „Der Eigenkapitalbedarf von Tennet für dieses Jahrzehnt steigt“, betonte das Unternehmen am Freitag. „Es ist deutlich geworden, dass die niederländische Regierung es präferiert, die niederländischen Aktivitäten von Tennet zu finanzieren, derzeit schätzungsweise 10 Mrd. Euro“, heißt es in der Mitteilung, was implizit bedeutet, dass die niederländische Regierung nicht für den Ausbau des deutschen Stromnetzes ins Risiko gehen möchte. „Für den Eigenkapitalbedarf für die deutschen Aktivitäten von Tennet, der derzeit auf circa 15 Mrd. Euro geschätzt wird, sucht die niederländische Regierung eine strukturelle Lösung“, erklärte Tennet.

Man erkenne an, dass die niederländische und die deutsche Regierung „es vorziehen, ihre jeweiligen nationalen Stromnetze zu finanzieren, zu kontrollieren und zu besitzen“. Motiviert durch klimapolitische Ambitionen und durch den Gaslieferstopp Russlands konzentrieren sich beide Regierungen auf die jeweils eigene Infrastruktur für die Energiewende.

Der Verkauf der Deutschland-Aktivitäten „würde die Schaffung von zwei starken nationalen Akteuren ermöglichen, die beim Vorantreiben der Energiewende weiterhin zusammenarbeiten würden“. Tennet sei bewusst, dass ihr einziger Anteilseigner, die niederländische Regierung, noch keine endgültige Entscheidung getroffen habe. Das Unternehmen will die nächsten Schritte „in enger Zusammenarbeit mit der Regierung“ unternehmen.