Nachhaltigkeit

ESG spielt für IPOs kaum eine Rolle

ESG mag in aller Munde sein, doch bei Börsengängen spielen Umweltdaten kaum eine Rolle. In den IPO-Prospekten kommen sie nicht vor. Analysten und Investoren interessieren sich kaum, berichtet Barclays.

ESG spielt für IPOs kaum eine Rolle

cru Frankfurt – Bei Börsengängen spielen Daten zu Umwelt, Sozialem und Governance der Unternehmen (ESG) für die Investoren nur eine sehr untergeordnete Rolle. Das geht aus einer Untersuchung der Investmentbank Barclays hervor, die sich mit der Offenlegung von ESG-Daten im Rahmen von IPO-Prozessen befasst. Barclays hat sich dazu detailliert mit 15 IPOs aus dem Jahr 2021 in Europa auseinandergesetzt.

„Wir haben dabei festgestellt, dass in den wenigsten Fällen quantitative Aussagen zu ESG gemacht werden und dass sich auch die Analysten im IPO-Prozess wenig mit ESG-Themen zu beschäftigen scheinen“, berichtet Barclays-ESG-Analystin Marie Freier. „Im Schnitt betrafen nur weniger als 2 % der durchschnittlich 170 eingereichten Analystenfragen ESG-Themen – meist Governance-Fragen zum Eigentümerkreis.“ Auch hätten Interviews mit Banken und anderen Marktteilnehmern ergeben, dass gerade ESG-Investoren sich bisher sehr selten für IPOs interessieren.

Barclays geht jedoch davon aus, dass sich das bald ändern dürfte. Mit Blick auf das IPO-Jahr 2022 könnte das spannend werden. So hat beispielsweise gerade das norwegische Öl- und Gasunternehmen Var Energi mit der Vorvermarktung für einen Börsengang in Oslo begonnen, bei dem vor allem die Alteigentümer – der italienische Ölkonzern Eni (70 %) und der Finanzinvestor Hitecvision – Kasse machen wollen. Beim IPO könnte die Firma einen Wert von mehr als 10 Mrd. Dollar erreichen – etwa so groß wie der des deutschen Ölkonzerns Wintershall Dea, der ebenfalls an die Börse strebt.

In Bezug auf sein ESG-Profil erklärte Var Energie nur, das Unternehmen wolle der sicherste Betreiber auf dem norwegischen Kontinentalschelf sein und strebe bis 2030 Netto-null-Emissionen an – aber nur in der eigenen Produktion durch Elektrifizierung der Ölplattformen. „ESG ist nicht unbedingt ein Show-Stopper für die Käuferseite, sondern eher eine Überlegung unter vielen anderen“, heißt es aus Kreisen der Koordinatoren, zu denen DNB Markets, J.P. Morgan und Morgan Stanley zählen.

Ausschüttung zählt

Umso mehr erfahren IPO-Investoren darüber, wie ertragreich Var Energi agiert: Mit 3,1 Mrd. Dollar an Ausschüttungen seit Januar 2019 lockt das Unternehmen die Anleger mit seinem Status als Dividendentitel. Es plant eine Ausschüttung von 200 Mill. Dollar für das erste Quartal und mindestens 700 Mill. Dollar für das Gesamtjahr 2022.

Da die Gaspreise in die Höhe schießen, kommt der Börsengang offenbar trotz des allgemein trüben Marktumfelds zu einem für Rohstoffaktien günstigen Zeitpunkt. Bereits am ersten Tag der Vorvermarktung, die am 31. Januar endet, gab es Anzeichen für Unterstützung. Es werden sechs oder sieben Tage Bookbuilding folgen, so dass die Preisfestsetzung um den 7. Februar herum erwartet wird.

Laut Barclays sind ESG-Offenlegungen im Rahmen von Börsengängen derzeit noch lückenhaft bis nicht vorhanden, und ESG-Ratings von Dritten sind in der Regel am ersten Tag nicht verfügbar. „In den IPO-Prospekten kommen ESG-Themen entweder gar nicht vor, oder die entsprechenden Textpassagen beschränken sich auf zwei oder drei Absätze. Nur in zwei Fällen waren es einige Seiten, aber keinerlei quantitative Angaben zu ESG“, berichtet Barclays-Analystin Freier.

Als ersten Schritt, um das zu ändern, schlägt Barclays einen Minimal-Fragebogen zu „ESG in IPOs“ vor. Die erste von zwölf Fragen lautet: „Was sind die Prioritäten des Unternehmens mit Blick auf ESG?“ Die zweite Frage lautet: „Was sind die messbaren Ziele?“

Barclays hat neben der Auswertung der IPO-Prospekte auch andere Banken befragt und Interviews mit Marktteilnehmern geführt, um zu verstehen, wo ESG eine Rolle im IPO spielt. „Die kurze Antwort lautet: so gut wie nirgends“, fasst Barclays-Analystin Freier das ernüchternde Ergebnis zusammen. „Wir haben in den meisten Fällen nicht einmal Informationen zu den eigenen Emissionen der Unternehmen (Scope 1 und 2) gefunden.“

ESG-Fonds seien kaum beteiligt, könnten aber einen attraktiven und wachsenden Investorenpool darstellen, der einige Unternehmen, die auf den Markt kommen, eindeutig dazu motivieren würde, ihre Nachhaltigkeitsleistungen deutlicher zu artikulieren. Die Befragungen ergaben jedoch, dass viele ESG-Fonds nicht auf Börsengänge fokussiert sind und nicht an IPO-Investments teilnehmen können, weil es an verfügbaren Informationen oder belastbaren ESG-Ratings von Dritten mangelt, die zum Zeitpunkt des Börsengangs meist noch nicht verfügbar sind.

Wende in Sicht

Barclays erwartet, dass sich dies schnell ändert: Angetrieben durch das Wachstum der Assets under Management in ESG-Fonds würden Unternehmen und Investoren gleichermaßen zunehmend für ESG und Nachhaltigkeit sensibilisiert, ebenso wie durch die globale Regulierung, die sich auf die Offenlegung von Daten konzentriere. „Wir erwarten, dass dies zu einer wachsenden Nachfrage nach besseren ESG-Informationen als Teil des IPO-Prozesses führt, was eine stärkere Beteiligung von ESG-Investoren ermöglicht.“

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