Börsengänge

Ein Rekordjahr für Aktienemissionen

Im abgelaufenen Jahr haben Börsengänge via IPO und Spac sowie Kapitalerhöhungen so viel Kapital eingespielt wie nie zuvor. Doch die Performance enttäuscht oft.

Ein Rekordjahr für Aktienemissionen

Voraussehen konnte das wohl kaum jemand: 2021 ist zu einem hervorragenden Jahr für Börsengänge geworden – mit weltweit so vielen IPOs (2388) und zugleich auch so viel Emissionsvolumen (453 Mrd. Dollar) wie seit dem Dotcom-Boom im Jahr 2000 nicht mehr. Der Wert aller Aktienemissionen inklusive Kapitalerhöhungen und Spacs (Special Purpose Acquisition Companies) erreichte laut Berenberg mit 1,6 Bill. Dollar einen höheren Wert als je zuvor.

„Nachdem 2020 in den USA schon sehr viele IPOs stattgefunden haben, ist die Welle nun auch in Deutschland angekommen“, sagt Joachim von der Goltz, Leiter Equity Capital Markets Nordeuropa bei der Credit Suisse. 2021 haben hierzulande 20 IPOs inklusive vier Börsengängen von Spacs stattgefunden – mit einem Emissionsvolumen von addiert über 9,5 Mrd. Euro, nach lediglich etwa 1 Mrd. Euro im Jahr 2020. Ein ähnlich hohes IPO-Emissionsvolumen wie im Jahr 2021 wurde den Daten von Dealogic zufolge in Deutschland zuletzt 2018 mit 11,3 Mrd. Euro und 18 IPOs erreicht. Die größten deutschen IPO-Schwergewichte waren gemessen am Emissionsvolumen die Vodafone-Funkturmsparte Vantage Towers sowie der Softbank-gestützte Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1 und der Linux-Softwareanbieter Suse.

„Die wesentlichen Treiber für den Boom waren – und sind weiterhin – die deutlich gestiegenen Börsenkurse und damit die im historischen Vergleich hohen Erwartungen hinsichtlich der Unternehmensgewinne bei im Durchschnitt recht stabilen Bewertungsmultiplikatoren sowie das positive wirtschaftliche Umfeld mit starkem Wachstumsausblick nach dem pandemiebedingten Einbruch“, fasst von der Goltz zusammen. „Die Volatilität, also die durchschnittlichen Kursschwankungen, verblieb in 2021 weitestgehend auf einem niedrigen Niveau, was Kurssteigerungen unterstützt.“

Ein weiterer wichtiger Treiber seien „natürlich die historisch niedrigen oder sogar negativen Zinsen“, wodurch attraktive Anlageklassen verengt worden seien und die Anleger umso mehr in Aktien investierten: Global sind 2021 über 900 Mrd. Dollar in die Eigenkapitalmärkte (Equity Capital Markets) geflossen. Das ist ein Vielfaches der investierten Volumina über die vergangenen Jahre, wie aus Daten des Analysehauses EPFR (Emerging Portfolio Fund Research) hervorgeht.

„Europa hat auch von amerikanischen Anlegern profitiert, welche aufgrund der im Vergleich zu den USA niedrigeren Kapitalmarktbewertungen verstärkt hier investierten“, beobachtet von der Goltz. „Anders als in den USA und in Großbritannien sollten die Zinsen in der EU laut den Verlautbarungen der EZB auch auf mittlere Sicht auf niedrigem Niveau verbleiben.“ Vor diesem Hintergrund sehe die Credit Suisse fundamental auch für 2022 weiterhin positive Rahmenbedingungen für Börsengänge.

Wenn man auf die europäischen Börsenplätze schaut, hat Frankfurt laut Credit Suisse als Primärlisting-Platz 2021 eine führende Rolle gespielt. Während London die Rangliste mit großem Abstand sowohl bei der Anzahl von IPOs mit mehr als hundert wie auch bei den Emissionsvolumina anführt, liegt Frankfurt hinter Stockholm auf Platz drei in Europa, gefolgt von Amsterdam. Bei der Emission von Spacs ist Amsterdam sogar die führende Börse in Europa mit mehr als 3 Mrd. Euro Emissionsvolumen. Alle anderen Börsenplätze kamen lediglich auf Spac-Emissionsvolumina unter 1 Mrd. Euro. „Der Hauptgrund hierfür scheint in den deutlich Spac-freundlicheren lokalen regulatorischen Rahmenbedingungen zu liegen“, kommentiert von der Goltz.

Wie relevant diese Einschränkungen für die Entwicklung eines Spac-Marktes in Deutschland tatsächlich sind, ist laut einer Studie des Analysehauses Oxera im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums „keineswegs offensichtlich“. Denn die gesellschaftsrechtlichen Hürden können den Ergebnissen zufolge einfach dadurch umgangen werden, dass die Gesellschaft nach ausländischem Recht gegründet wird. Dies wurde in der Praxis auch umgesetzt, wobei hierfür vor allem das niederländische oder luxemburgische Recht gewählt wurde. Dies steht einer Zulassung der Spac-Aktien an einer deutschen Börse nicht im Wege.

Neben Spacs spielen laut Credit Suisse bei IPOs die Kriterien der Investoren für Umwelt, Soziales und Governance (ESG) eine größere Rolle. „Bei einer Investorenumfrage der Credit Suisse haben mehr als 90% der Investoren geantwortet, dass sie detaillierte ESG-Kriterien in ihre Investmentprüfung einbeziehen oder einen formalen ESG-Screening-Prozess durchführen“, berichtet von der Goltz. Gerade wenn der IPO-Kandidat aus einer ESG-sensitiven Branche komme, mache bei rund 85% der Investoren ein vorhandenes ESG-Rating oder ein Nachhaltigkeitsbericht ein Investment wahrscheinlicher, weshalb eine ESG-Bestandsaufnahme heute standardmäßig zur Vorbereitung eines Börsengangs gehöre. Bei der Credit Suisse kümmert sich ein eigenes, global tätiges Sustainability-Team um die Beratung der Kunden zu dem Megathema.

Die Pipeline für Börsengänge 2022 ist bereits jetzt sehr gut gefüllt, für Deutschland und europaweit. „Angesichts der fundamental weiterhin positiven makroökonomischen Rahmenbedingungen für das Jahr 2022 – trotz der aktuell wiederaufflammenden Pandemie – beobachten wir gerade bei Private-Equity-Unternehmen zunehmend Überlegungen, den Exit mancher Portfoliounternehmen via Börsengang vorzuziehen“, beobachtet von der Goltz. „Unsere Kapitalmarktstrategen sind grundsätzlich positiv hinsichtlich der weiteren Entwicklung am Kapitalmarkt im Jahr 2022, welches durchaus zahlreiche erfolgreiche Börsengänge verspricht.“

Über 2022 hinaus seien die weiteren Aussichten schwieriger zu beurteilen, insbesondere aufgrund der voraussichtlich steigenden Zinsen in den USA und danach absehbar auch in der EU. Insofern rate die Credit Suisse ihren Kunden, welche bereits die Börsenreife erreicht haben, ein IPO im Jahr 2022 „ernsthaft in Erwägung zu ziehen“.

Einen ähnlich positiven IPO-Ausblick gibt Morgan Stanley: „Tech Sells“, fasst Thomas Turner zusammen, der die Equity Capital Markets im deutschsprachigen Raum, Zentral- und Osteuropa verantwortet. „Wie auch schon in diesem Jahr, in welchem mehr als 50% der deutschen Börsengänge aus dem Technologiebereich kamen, erwarten wir für das erste Halbjahr 2022 ein ähnliches Bild mit Emissionen von Wachstumsunternehmen vornehmlich aus größeren Konzernstrukturen.“ Einige Unternehmen, die es in den vergangenen Quartalen aufgrund der notwendigen Vorbereitungsarbeit noch nicht an die Börse geschafft hätten, stünden ebenfalls für 2022 in den Startlöchern: „Innerhalb von Tech erwarten wir verstärkte Aktivität bei den Online-Marktplätzen und aus dem Fintech-Sektor.“

Aus Sicht der Investoren haben sich die Börsenneulinge im abgelaufenen Jahr allerdings durchaus nicht immer erfreulich entwickelt: Einige der größten Verlierer des Jahres am europäischen Aktienmarkt sind in den vergangenen 15 Monaten neu an die Börse gekommen. Darunter sind Unternehmen wie der britische E-Commerce-Anbieter THG (The Hut Group), der deutsche Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1 aus dem Softbank-Portfolio, der polnische Online-Marktplatz Allegro.eu sowie der in Amsterdam notierte polnische Paketzusteller InPost. Die Kurse der vier genannten Börsenneulinge sind im alten Jahr allesamt um 43% oder mehr eingebrochen, während der Stoxx Europe 600 im gleichen Zeitraum um 22% gestiegen ist. Von den mehr als 550 Unternehmen, die 2021 in Europa an die Börse gegangen sind, ist etwa die Hälfte gegenüber ihrem Emissionspreis gefallen. In Deutschland notieren zwei Drittel der Börsenneulinge unter Wasser.

Schlechte Vorzeichen

Das sind schlechte Vorzeichen für die nächsten Kandidaten. Seit etwa einem Jahr hört man Überlegungen, Porsche könnte an die Börse gehen. Gemeint ist nicht die im Dax notierte Porsche Automobil Holding SE, über welche die Familien Porsche und Piëch ihre Anteile an Volkswagen halten, sondern die Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG. Laut Finanzkreisen bereiten die Familien einen Börsengang des Sportwagenbauers vor – und könnten sich im Zuge dessen sogar von nennenswerten Teilen an Volkswagen trennen. Die Überlegung: Eine separat börsennotierte Porsche könnte eine Bewertung ähnlich wie Ferrari mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 54 erzielen – und damit deutlich mehr als die VW-Vorzüge mit einem KGV von 36. Laut einer Schätzung von Bloomberg Intelligence könnte Porsche bis zu 105 Mrd. Euro wert sein – verglichen mit aktuell rund 115 Mrd. Euro Börsenwert des Mutterkonzerns. VW bekäme im selben Atemzug Cash, um den Wandel hin zur Elektromobilität zu finanzieren. Laut Finanzkreisen würden die Familien VW-Anteile abgeben und dafür direkt Porsche-Aktien kaufen.

Eine andere Konzernabspaltung in der Autoindustrie ist bereits abgeschlossen: Die Daimler-Aktionäre haben jeweils eine Aktie der Lastwagensparte Daimler Truck für jeweils zwei Daimler-Aktien in ihre Depots eingebucht. Damit wurde eine der größten Börsennotierungen in Europa in diesem Jahr vollzogen – wenngleich es sich um ein Spin-off ohne Emissionserlös für das Unternehmen handelte, das eine zweistellige Umsatzrendite in guten Jahren in Aussicht stellt.

Anfang 2022 könnte dann das Pharmaunternehmen Cheplapharm als Eisbrecher für den seit Herbst ruhenden deutschen IPO-Markt fungieren und seine Aktien an der Frankfurter Börse notieren lassen – laut Finanzkreisen womöglich schon im Januar oder Februar. Eine Bewertung von mehr als 10 Mrd. Euro wird für möglich gehalten.

In Deutschland warten insgesamt immer noch mehr als ein Dutzend Unternehmen, die mit mehr als 1 Mrd. Euro bewertet werden, auf die gute Gelegenheit für ihr Börsendebüt. Volkswagen denkt neben einem Börsengang von Porsche wohl auch im Batteriebereich über einen Börsengang nach. Auch die US-Roboterautofirma Argo AI, die unter anderem von VW finanziert wird, könnte an die Börse gehen. Thyssenkrupp will seine Wasserstoffsparte Uhde Chlorine Engineers an die Börse bringen und die Stahlsparte abspalten. Ein eigener Kapitalmarkttag soll am 13. Januar darüber informieren. Lufthansa erwägt Finanzkreisen zufolge neben dem Verkauf eines Minderheitsanteils an der Wartungssparte Lufthansa Technik alternativ auch einen Börsengang – die Rückzahlung der Staatshilfen macht das Unterfangen allerdings inzwischen weniger dringlich.

Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt

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