Geldpolitik

Zeitenwende für die Zentralbanken

Inflation, Coronakrise, Klimawandel, Digitalgeld: Die Geldpolitik steht vor großen Herausforderungen – und es droht die Überforderung.

Zeitenwende für die Zentralbanken

Die Geschichte der Zentralbanken und der Geldpolitik ist eine Ge­schichte permanenten Wandels – und oft waren es Krisen, die Katalysator waren für die Transformation der Zentralbanken und für neue Paradigmen in der Geldpolitik. Nach mehreren Bankenkrisen im 19. Jahrhundert erhielten die Zentralbanken den Auftrag, das Funktionieren der Finanzmärkte zu sichern. Nach der Großen Depression der 1930er Jahre wurden Zentralbanken für das Desaster verantwortlich gemacht und an die Kandare genommen. In den 1960er Jahren galt es dann als opportun, mehr Jobs mit mehr Inflation zu erkaufen. Und nach der Hyperinflation in den 1970er Jahren wurde Preisstabilität zum neuen Mantra und die Unabhängigkeit der Zentralbanken zum hohen Gut.

In den vergangenen etwas mehr als zehn Jahren haben nun gleich zwei globale Krisen die Welt erschüttert und an den zuvor geltenden Grundfesten der Geldpolitik aus der Zeit der „Großen Moderation“ mit geringer Inflation und stabilem Wachstum gerüttelt: erst die Weltfinanzkrise 2007/2008 und nun die Coronakrise. Die wichtigen Zentralbanken haben eigentlich nie mehr richtig aus dem Krisenmodus herausgefunden. Und zugleich zeichnen sich einige Trends ab, die die Aufgaben und das Agieren der Zentralbanken dauerhaft verändern könnten. Die Geldpolitik steht vor einer neuen Zeitenwende. Das betrifft die Mandate, die Strategien und Instrumente, aber vor allem auch die Interaktion mit der Fiskalpolitik. Der langjährige EZB- und Bundesbankchefvolkswirt Otmar Issing sieht gar schon ei­ne „neue Epoche der Notenbankpolitik“. Dabei drohen gleich eine Reihe ernster Gefahren.

Keine Frage, mit ihrem entschiedenen Handeln auf dem Höhepunkt der Weltfinanzkrise inklusive konzertierter Zinssenkungen und dem breit angelegten Aufkauf von vor allem Staatsanleihen (Quantitative Easing, QE) haben die wichtigsten Zentralbanken 2008 und 2009 einen Kollaps des globalen Finanzsystems verhindert und eine wirtschaftliche Depression wie in den 1930er Jahren abgewendet. Womöglich sogar noch mehr gilt das für die Corona-Pandemie und die dadurch ausgelöste Jahrhundertrezession anno 2020, als sie insbesondere über Anleihekäufe Tausende Milliarden Dollar ins globale Finanzsystem pumpten. Dafür gebührt ihnen Anerkennung und Respekt.

Gleichzeitig aber haben die Zentralbanker damit ihre Mandate mindestens bis zum äußersten gestreckt, wenn nicht teils überschritten. Und sie haben ge­zeigt, wie wirkmächtig die Notenbankpresse ist. Das weckt Begehrlichkeiten in der Politik und der Öffentlichkeit. Kein Wunder also, dass die Lis­te der Themen immer länger wird, bei de­nen Handeln der Notenbanker ge­wünscht wird: In­klusives Wachstum, soziale Ungleichheit, Klimawandel – oft geht es nach dem Motto „Wer hat noch nicht, wer will noch mal?“.

Nun ist es sicher illusorisch, zu glauben, die Zentralbanker könnten das Rad zurückdrehen zu einer Zeit, in der sie als reine Technokraten im Hintergrund allein auf die Preisstabilität fixiert waren. Genauso sicher ist aber, dass sie nicht mit immer neuen Aufgaben überfrachtet werden sollten, für die ihnen schlicht das richtige Instrumentarium fehlt und die in die Zuständigkeit der Politik und nicht der Geldpolitik fallen. Eine Zentralbank ist, um es mit Ex-Bundesbankpräsident Axel Weber zu sagen, eben doch keine „eierlegende Wollmilchsau“.

Das beste Beispiel ist der Klimawandel: Ohne Frage stellt der Klimawandel eine Jahrhundertaufgabe dar und auch die Zentralbanken können und dürfen sich dem nicht entziehen. Als Bankenaufsicht und Hüter der Finanzstabilität müssen sie etwa finanzielle Risiken aus dem Klimawandel analysieren und versuchen, diese einzudämmen. Klimarisiken müssen zudem in die volkswirtschaftlichen Modelle integriert werden. Eine explizite Ausrichtung der Geldpolitik am Klima birgt aber Interessenkonflikte und wäre ein großes Risiko. Ein CO2-Preis ist allemal wichtiger als jedes grüne Anleihekaufprogramm. Die Zentralbanken taugen nicht als Klimaretter.

Leider tragen auch einige Notenbanker dazu bei, dass sich immer neue und immer größere Erwartungen an sie richten. Mitunter erklärt sich das wohl mit de­ren Vergangenheit, weil vermehrt Politiker in die Zentralbanken wechseln. Im Fall der Europäischen Zentralbank (EZB) gilt das sogar für Präsidentin Christine Lagarde und Vize Luis de Guindos. Aber neben den Instrumenten mangelt es den Zentralbanken auch an der demokratischen Legitimität für Entscheidungen, die hochpolitisch und hochbrisant sind. Statt die Politisierung der Geldpolitik noch zu forcieren, sollten die Zentralbanker aufs Gegenteil hinwirken – die Entpolitisierung.

Das erscheint umso wichtiger, als den Zentralbanken in ihrer Kernverantwortung Preisstabilität Ungemach dräut. Seit Jahresbeginn hat die Inflation weltweit stark und auch stärker als erwartet zugenommen. In den USA lag die Verbraucherpreisinflation zuletzt gar bei 6,8% – so hoch wie seit 39 Jahren nicht. Das ist zwar weiter stark auch auf vorübergehende Sonder- und Basiseffekte zurückzuführen, und 2022 sind wieder niedrigere Raten zu erwarten. Fakt ist aber: Die Inflation hat alle Erwartungen übertroffen und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie zumindest nicht so stark sinkt wie erwartet. Es wäre deshalb absolut leichtfertig, die Inflation auf die leichte Schulter zu nehmen. Wer zumal in einem solchen Umfeld die Zentralbanken mit potenziell widersprüchlichen Zielen belastet, riskiert, dass die hart erarbeitete Glaubwürdigkeit im Kampf gegen die Inflation schnell erodiert.

Aber auch die Zentralbanker müssen aufpassen, dass sie da keine schweren Fehler begehen. In den vergangenen Jahren hat sich bei vielen eine größere Toleranz gegenüber ei­ner höheren Inflation etabliert – nicht zu­letzt in der 2020 verabschiedeten neuen Strategie der Fed um Notenbankchef Jerome Powell. Das mag mit der lange Jahre unter dem Zielwert von 2% liegenden Inflation erklärbar sein. Aber es darf nicht dazu führen, dass die Fed jetzt, wie zuletzt geschehen, dem Inflationsanstieg viel zu lange tatenlos zuschaut. Mancher mag es verdrängt haben, aber eine hohe Inflation ist nicht nur ökonomisch äußerst schädlich, sondern kann auch sozial und politisch brandgefährlich werden.

Kritische Verquickung

Vor dem Hintergrund ist auch die zunehmende Verquickung von Geld- und Fiskalpolitik kritisch. In der Weltfinanz- und der Coronakrise hatten Staaten und Notenbanken ein gleichgerichtetes In­teresse, und es war richtig, dass beide sich nach Kräften gegenseitig unterstützt haben. Es war aber immer klar, dass das nicht so bleiben würde. Spätestens wenn, wie jetzt, die Inflation wieder anzieht, sind Zielkonflikte virulent. Deswegen wäre es tö­richt, die Grenzen in Gänze aufzugeben. Am Ende droht die komplette fiskalische Dominanz mit verheerenden makroökonomischen Folgen. Geldpolitikexperte Issing warnt, dass sich die neue Epoche der Geldpolitik vor allem im Verlust der Unabhängigkeit der Notenbanken manifestieren könnte – wenn nicht de jure, so doch de facto.

Die Historie zeigt, dass monetäre Finanzierung staatlicher Defizite immer wieder zu unkontrollierter Inflation sowie Finanz- und Wirtschaftskrisen geführt hat. Damit ist am Ende niemandem gedient. Simples Schuldenmachen per Gelddrucken ist sicher kein Allheilmittel. Mögen die jetzt häufig angeführten Ziele wie Klimaschutz und Digitalisierung auch noch so hehr sein – die Notenbanker müssen Rückgrat zeigen.

Zusätzlich erschwert wird all das durch ein fundamentales Problem: Die Krisen der vergangenen Jahre haben auch jahrzehntelange akademische Gewissheiten der Geldpolitik in Frage gestellt. Die Phillipskurve, also der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation, ist da nur ein Stichwort. Die Unsicherheit unter den Zentralbankern über das Funktionieren der Volkswirtschaften sowie über ihr eigenes Tun und Wirken ist also immens. Etwas überspitzt könnte man sagen: Die Zentralbanker betreiben Geldpolitik im Blindflug. Zudem krempeln aktuell technische Innovationen wie Digitalwährungen das Finanzsystem komplett um, was auch die Zentralbanken vor immense Herausforderungen stellt. Sie versuchen, mit der forcierten Arbeit an digitalem Zentralbankgeld mit- oder auch gegenzuhalten. Tatsächlich spricht vieles für die Einführung. Aber es gibt auch große Risiken. Deswegen dürfen die Notenbanken nichts überstürzen.

Die Zentralbanken haben die Welt in den vergangenen Jahren mehr als ein Mal vor Schlimmerem bewahrt. Sie haben sich dabei stark gewandelt. Aber sie dürfen jetzt nicht vollends überfordert werden.

Von Mark Schrörs, Frankfurt

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