Wachstumsfeld Transition Finance

ESG auf die feine englische Art

Weniger Moral, mehr Wachstum: In der City of London setzt ein Umdenken ein, wenn es um das Thema ESG geht. Es geht ums Geschäft.

ESG auf die feine englische Art

ESG auf die feine englische Art

Weniger Moral, mehr Wachstum: In der City of London setzt ein Umdenken ein, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht

von Andreas Hippin, London

„Unsere Branche hat einen Riesenfehler gemacht“, sagte Douglas Flint, Chairman des Vermögensverwalters Aberdeen, auf der City Week in London. Sie habe ESG zu einem „Marketing-Ding“ gemacht. Man habe plötzlich zu den Guten gehört, die den Planeten retten. „Das hat zu lächerlich übertriebenen Behauptungen geführt“, sagte Flint auf der von City & Financial Global organisierten Branchenkonferenz. Und das habe wiederum zu rechtlichen Risiken geführt. Denn für Anwälte seien solche Statements ein Fest gewesen, insbesondere in den Vereinigten Staaten.

Für den ehemaligen HSBC-Chairman Flint wäre es an der Zeit für eine überparteiliche Zusammenarbeit ohne Buzzwords. Man müsse den Menschen eine einfache Frage stellen: Wären Sie bereit, etwas aufzugeben, um ihren Kindern und Enkeln ein besseres Leben zu ermöglichen? „Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ja sagen würden“, sagte Flint.

Zur moralischen Idee gemacht

Governance sei etwas, das ohnehin für jeden Investor vorhanden sein müsse, sagte Cathy Shepherd, Global Head of Clean Energy Transition bei der Citi Bank. Das gelte auch für das „S“ in ESG. Sie habe den Eindruck, dass aus der Verbindung der drei Buchstaben eine moralische Idee gemacht worden sei. Es müsse aber mehr ums Geschäft gehen. „Nachhaltigkeit und Klima“ wäre aus ihrer Sicht ein besseres Label für das Thema. An Interesse dafür fehle es nicht.

„Wir sehen hohe Investitionen", sagte Shepherd. „Zwei Drittel der Investitionen in die breitere Energiebranche gehen in grüne Energien. Das wird sich fortsetzen.“ US-Kunden warteten auf Grund der politischen Ungewissheit derzeit ab. Allerdings begännen sie bereits, sich nach anderen Investitionsmöglichkeiten umzusehen. Europa und Großbritannien seien natürliche Ziele für diese Art von Interesse. „Wir werden anhaltendes Wachstum sehen“, sagte Shepherd.

Protagonisten werden leiser

Tatsächlich wirkt sich die veränderte US-Politik nicht nur auf Unternehmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten aus. Es sei schwierig für Firmen mit einer großen Präsenz dort, aggressiv in Sachen ESG aufzutreten, sagte Ruth Leas, CEO von Investec. Firmen, die sich in der Vergangenheit sehr klar dazu geäußert hätten, seien viel stiller geworden. Auch in Großbritannien findet eine mitunter heftig geführte Debatte über die Klimaziele der Regierung statt.

Die konservative Premierministerin Theresa May hatte 2019 dem Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 Gesetzeskraft verschafft. Nun zeichnet sich ab, mit welchen Kosten das verbunden sein wird. John Flint, der CEO des aus der UK Infrastructure Bank hervorgegangenen National Wealth Fund, nannte neben der geringen Risikobereitschaft der Investoren als zweite große Herausforderung, dass Klimawandel zum politischen Thema wird.

Wachstumsfeld „Nachhaltige Finanzen“

„Wir sollten keine Diskussion über die Zukunft von ESG anfangen, weil die Populisten beschlossen haben, das Thema aufs Korn zu nehmen“, sagte Jürgen Maier, Chairman von Great British Energy. Man müsse zuversichtlich bleiben. Die britische Regierung engagiere sich stark für das Thema und liefere neben einer Reihe politischer Mechanismen auch eine langfristige Strategie, sagte der ehemalige Chef der britischen Landesgesellschaft von Siemens.

Die City-Ministerin Emma Reynolds hatte zuvor versucht, Klimaschutz und Wachstum zusammenzuführen. Sie verwies auf die „Wachstumsmission“ der Labour-Regierung. Zudem wolle man Großbritannien zur Supermacht in Sachen saubere Energien machen. Energieminister Ed Miliband wolle deshalb bei den Maßnahmen zum Erreichen der Klimaneutralität Gas geben. „Nachhaltige Finanzen“ seien eins der Wachstumsfelder, die Schatzkanzlerin Rachel Reeves für die britische Finanzbranche identifiziert habe.

Freiwilliger Emissionshandel

Dabei komme dem Thema Finanzierung der Energiewende große Priorität zu, sagte Reynolds. Sie sehe auch großes Potenzial im Thema freiwilliger Emissionshandel. Allerdings stecke der Teufel im Detail. Derzeit finde eine Konsultation dazu statt. Man müsse die Integrität und Qualität der Emissionszertifikate sicherstellen.

London finanziere nicht nur die britische Energiewende, sagte Rhian-Mari Thomas, CEO des Green Finance Institute. Der City komme auch eine wesentliche Rolle bei der Finanzierung der Energiewende in den Emerging Markets zu. „Der Wettlauf zur Klimaneutralität ist ein Wettlauf um Investitionen“, fügte sie hinzu. Im Konferenzsaal wäre noch reichlich Platz für weitere Teilnehmer gewesen.

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