Gaspreis-Rekord

EU-Energiekrise verschärft sich

Die EU-Energiekrise hat sich zu Wochenbeginn weiter verschärft. Die Preise für Gas und Strom sind auf Rekordniveau geklettert. Die Ursachen dafür sind vielfältig.

EU-Energiekrise verschärft sich

ku Frankfurt

Die Energiekrise der Europäischen Union hat sich am Montag erheblich verschärft, die Energiepreise sind auf Rekordniveaus gestiegen. Der Preis für die Megawattstunde Erdgas zur Übergabe am niederländischen Knotenpunkt TTF erreichte an der Intercontinental Exchange mit 148,87 Euro seinen bisher höchsten Stand. Im bisherigen Jahresverlauf ergibt sich damit ein Preisanstieg von mehr als 600%. Rekordwerte haben auch die europäischen Strompreise erreicht. In praktisch allen europäischen Ländern wurde nun die Marke von 300 Euro je Megawattstunde überschritten, in den meisten Ländern sogar die Marke von 400 Euro. Am höchsten sind die Preise derzeit in Frankreich mit fast 443 Euro. In den vergangenen Jahren lagen die Strompreise fast immer deutlich unter 100 Euro je Megawattstunde.

Noch für die laufende Woche wird ein deutlicher Rückgang der Temperaturen erwartet, sodass es in mehreren europäischen Hauptstädten Minustemperaturen geben soll. Damit dürfte der Verbrauch an Erdgas in Europa stark steigen, da Gas für private Heizungen, aber auch zur Stromerzeugung eingesetzt wird, wobei insbesondere in den südeuropäischen Ländern auch Strom zu Heizzwecken verwendet wird. Dabei sind die in Europa eingelagerten Gasmengen im Vergleich zu früheren Jahren extrem niedrig. Die Speicher sind in der Europäischen Union derzeit nach Angaben der Plattform AGSI nur noch zur 59,9% gefüllt, in Deutschland sind es nur noch 57%. Dies sind Rekordtiefstände für diese Jahreszeit. Viele Experten erwarten daher, dass im Januar und insbesondere im Februar der Gasverbrauch in Europa stark eingeschränkt werden muss und dass es rollierende Versorgungsunterbrechungen bei Strom in weiten Teilen Europas geben könnte, möglicherweise sogar einen unkontrollierten europaweiten Stromausfall aufgrund einer hohen Nachfrage bei einer gleichzeitigen starken Verknappung des Angebotes. Vor rollierenden Stromabschaltungen hatte zuletzt Jeremy Weir, Chief Executive Officer des Rohstoffhändlers Trafigura Group, gewarnt.

Aktuell spielt für den Preisanstieg auch eine Rolle, dass Frankreich zwei Atomkraftwerke nach der Entdeckung von Rissen im Primärkreislauf vom Netz nehmen musste. Anfang Januar werden in Deutschland zudem ältere Kohle- und Atomkraftwerke endgültig abgeschaltet. Per 1. Januar sind es unter anderem drei deutsche Kernkraftwerke. Mehrere deutsche Konzernchefs hatten gefordert, die Laufzeiten der Kraftwerke zu verlängern. Die neue Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte jedoch betont, dass der Atomausstieg unumkehrbar sei.

Hinzu kommt, dass Russland seine Erdgaslieferungen über die langfristig vertraglich vereinbarten Mengen hinaus stark zurückgefahren hat. So wurde am deutschen Übergabepunkt Mallnow der Yamal-Europe-Pipeline am Montagmorgen lediglich ein stündliches Volumen von 366,7 Megawattstunden gemessen, nach mehr als 1200 Megawattstunden am Samstag und noch mehr als 10000 Megawattstunden am Freitag. Zudem hat der staatliche russische Gasexporteur Gazprom für die nächste Zeit nur geringe Pipeline-Kapazitäten gebucht. Für Januar hat Gazprom lediglich 21% der Kapazität der Yamal-Europe-Pipeline reserviert. Viele Beobachter vermuten, dass Russland seine Exporte über die vereinbarten Mengen hinaus bewusst knapp hält, um Druck auszuüben und zu erwirken, dass die fertiggestellte Nordsee-Pipeline Nord Stream 2 rasch eine Betriebsgenehmigung erhält. Dies hat jedoch die Bundesregierung kategorisch ausgeschlossen und nach Darstellung der Bundesnetzagentur ist erst für die zweite Jahreshälfte 2022 mit einer Lizenzierung zu rechnen.

Neue Sanktionen

Die Verknappung der Gasmengen könnte auch eine Reaktion darauf sein, dass die Regierungen der EU und der Nato gegenüber Russland weiter verbal aufgerüstet haben. So sagte die neue Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in einem Interview der Bild-Zeitung: „Aktuell müssen wir Putin und sein Umfeld ins Visier nehmen.“ Zudem haben bereits ost- und nordeuropäische Länder Vorschläge aus Moskau für zwei neue Abkommen zur Verbesserung der kollektiven Sicherheit Europas zurückgewiesen, ohne dass es überhaupt zu Gesprächen zwischen den beiden Seiten gekommen wäre. Die russische Regierung hat eine weitere Ostexpansion der Nato als Überschreiten von roten Linien qualifiziert und für diesen Fall umfangreiche militärische Gegenmaßnahmen angekündigt.

Im Raum steht für diesen Fall einer starken zusätzlichen Eskalation, dass die Bundesregierung Nord Stream 2 gar nicht in Betrieb nimmt und dass die USA russische Banken vom Bankennetzwerk Swift abhängen. In diesem Fall wäre Europa nicht mehr in der Lage, für russisches Erdgas zu bezahlen, was den Stopp sämtlicher Gaslieferungen zur Folge hätte. Derartige EU-Sanktionen würden Europa daher wesentlich härter treffen als das eigentliche Ziel Russland.

Deutlich unter Druck geraten ist indes der Ölpreis. Zeitweise fiel die Notierung der führenden Nordseesorte Brent Crude unter die Marke von 70 Dollar je Barrel, nachdem sie Ende November noch mehr als 80 Dollar betragen hatte. Das Tagestief lag bei 69,73 Dollar, ein Rückgang um mehr als 5% gegenüber der vorherigen Sitzung. Am Markt wurde auf die Sorgen vor neuen Lockdowns in weiten Teilen der Welt verwiesen.

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