Topix und Nikkei 225

Japans Aktien trotzen Abwärtstrend

Japans Standardindizes erweisen sich im laufenden Jahr als robuster als die europäischen und amerikanischen Benchmarks. Doch unklare Währungsaussichten sorgen für Verunsicherung.

Japans Aktien trotzen Abwärtstrend

Von Martin Fritz, Tokio

Japans Aktienmarkt hat in diesem Jahr vergleichsweise geringe Blessuren davongetragen. Seit Jahresanfang verlor der Nikkei 225 rund 10% und der breit gefasste Topix knapp 8%. Die Verluste fielen deutlich kleiner aus als in den USA und in Europa. Allerdings hatten sich japanische Aktien zuvor seit 2018 schlechter als der Rest der Welt entwickelt. Zeitweise nahm der Abschlag zum S&P 500 das größte Ausmaß seit 1994 an, so dass die Indizes nun weniger heftig korrigierten.

Dennoch fällt Japan weiter auf seine eigene Weise aus dem Rahmen: Anders als die Federal Reserve und inzwischen die Europäische Zentralbank verweigert sich die Bank of Ja­pan jedem Gedanken an höhere Zinsen und hält die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen mit unbegrenzten Kaufangeboten konsequent unter 0,25%. Zwar kletterte die Inflation auf das Siebenjahreshoch von 2,1%. Aber im Vergleich zur EU und zu den USA blieben die Preiszuwächse be­grenzt. Rechnet man Energie und Lebensmittel heraus, fallen die Preise sogar zum Vorjahr. Die geldpolitischen Unterschiede haben den Yen deutlich geschwächt – der effektive Wechselkurs sank auf ein historisches Tief. Laut Albert Edwards, Chefstratege der Société Générale, hat die japanische Währung dabei ihren langfristigen Aufwärtstrend gebrochen. Einige Analysten sehen weiteres Abwärtspotenzial von jetzt 130 bis auf 150 Yen pro Dollar.

In der Folge kam es zu zwei eher überraschenden Entwicklungen: Früher bedeutete ein schwächerer Yen automatisch steigende Kurse, da die Exportunternehmen dadurch mehr verdienen und ihre Waren im Ausland wettbewerbsfähiger werden. Diese Tandembewegung zeigte sich diesmal nicht. Früher nutzten viele Investoren den Yen bei Kursturbulenzen auch als sicheren Hafen. Diese Reaktion gab es ebenfalls nicht. Stattdessen kehrte der Yen-Carry-Trade zurück, der vor der Finanzkrise en vogue war. Noch nie wurden so viele Yen-Kredite aufgenommen, um das Kapital in australischen Dollar anzulegen.

Geldautomat des Marktes

Japan funktioniert also wieder als Geldautomat des Finanzmarktes. Jedoch lehrt die Vergangenheit, dass es zu heftigen Aufwärtssprüngen beim Yen kommen kann. Diese unklaren Währungsaussichten verunsichern ausländische Anleger of­fenbar, so dass sie sich in Japan kaum engagieren. Zudem lassen sich die Folgen der Abwertung schwer einschätzen. Auf der einen Seite könnte der schwache Yen die Tendenz zur Rückkehr der Produktion nach Japan verstärken. Wegen Lieferkettenproblemen steht das „Re­sho­ring“ ohnehin auf der Tagesordnung. Auf der anderen Seite muss der Yen nicht unbedingt dauerhaft schwach bleiben, weil die nächsten US-Zinsschritte keineswegs sicher sind.

Trotz solcher Bedenken nennen Analysten einige gute Kaufgründe für japanische Aktien. Dazu gehört die derzeitige Konjunkturerholung aufgrund der Aufhebung der Coronabeschränkungen. Parallel hat die Regierung umfangreiche Fiskalmaßnahmen gegen die hohen Energiepreise ergriffen. Zudem ist Japans Wirtschaft im Gegensatz zu Europa vom Krieg in der Ukraine wenig betroffen. Die Verflechtungen mit Russland sind mit einem Importanteil im niedrigen einstelligen Bereich gering. Morgan Stanley stufte Japan zur am meisten bevorzugten Investment-Region hoch, weil ein Rekordjahr für Aktienrückkäufe bevorstehe.

Laut dem US-Vermögensverwalter Columbia Threadneedle weist Japan derzeit das weltweit stärkste Gewinnsteigerungsprofil auf. Daher spricht Daisuke Nomoto, Leiter für japanische Aktien, von einem guten Kaufzeitpunkt. UBS Japan hält den Aufwärtstrend der Firmengewinne für ungebrochen. Ausländische Investoren würden die Ertragskraft der japanischen Unternehmen unterschätzen. Die höheren Ölpreise beeinträchtigen die Margen kaum. Für das Geschäftsjahr 2022/23 er­wartet UBS einen Anstieg der Nettoerträge um 10%. Dagegen bewegt sich der Nikkei 225 seit Monaten gegen den Gewinntrend abwärts.

Allerdings teilen nicht alle Analysten diesen Optimismus. Denn Japans Firmengewinne hängen relativ stark von der Konjunktur in den wichtigsten Absatzmärkten USA und China ab. Im einen Fall bedrohen die Inflation und steigende Zinsen und im anderen Fall rigorose Covid-Lockdowns das Wachstum. Zwar argumentiert UBS Japan, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis des japanischen Aktienmarktes von einem im März 2021 erreichten Zehnjahreshoch zuletzt in die Nähe eines Zehnjahrestiefs gefallen sei. Doch solche Kennzahlen können sich rasch ändern, wenn die Gewinnprognosen sinken. Immerhin liegt die Dividendenrendite des Aktienmarktes über 2%, was sich als mittelfristiges Einstiegssignal bewährt hat. Insbesondere bevorzugt UBS unterbewertete Finanztitel, inklusive Banken, Versicherungen, Konsumentenkrediten und Software.

Doch einige Risiken verbleiben. Abschreckend könnte das schwindende Engagement für Aktionäre wirken. Die groß angekündigte Umstrukturierung der Börse im April enttäuschte, weil das Prime-Segment mit dem früheren Topix weitgehend identisch blieb. Und im Zuge seines „neuen Kapitalismus“ will Premier Fumio Kishida die Pflicht für vierteljährliche Bilanzberichte abschaffen. Andererseits werden ESG-Investments erleichtert: Große Firmen müssen bald Daten zur Lohnlücke zwischen Männern und Frauen und zum CO2-Ausstoß veröffentlichen.

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