Anlageberatung

Start für die grüne Beratung

Ab dem 2. August ist die Welt für Berater eine andere. Denn ab dann müssen sie ihre Kunden befragen, ob sie grün anlegen wollen und welche Präferenzen sie dabei haben. Dabei lauern durchaus Haftungsrisiken.

Start für die grüne Beratung

Mehr als 300 000 Finanzanlagen- und Versicherungsvermittler sowie Bankberater müssen in wenigen Wochen ihre Kunden bei Anlagegeschäften fragen, ob sie grün investieren wollen. Das Dreieck der Geldanlage von Rendite, Liquidität und Sicherheit ist ab dem 2. August in der EU Vergangenheit. Als weiteres Ziel wird die Nachhaltigkeit festgeschrieben. Ab dem Termin müssen nach gesetzlichen Vorgaben die Nachhaltigkeitspräferenzen der Anleger abgefragt und bei der Produktauswahl berücksichtigt werden. Diese Regelung ist Teil einer ganzen Reihe neuer Regeln, die schrittweise in Kraft treten. Künftig wird also genau vorgegeben, nach welchen ESG-Ausprägungen die Kunden befragt werden sollen. Damit hält das in der Produktwelt verbreitete Kürzel ESG Einzug in die Beratung. ESG steht für Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung und steckt den Rahmen ab für die neuen Vorgaben. Die grüne Anlageberatung fußt dabei auf verschiedenen, zum Teil noch in Arbeit befindlichen Rechtsakten, Normen und Vereinbarungen. Besonders wichtig ist die EU-Taxonomie, die festlegt, wann und wie eine Anlage als grün zu bewerten ist. Aber auch Selbstverpflichtungen der Branche, etwas die Principles of Responsible Investment (PRI), spielen in der Praxis eine Rolle.

Die neuen Regeln auch für Produktmerkmale wurden in der delegierten Verordnung, die die EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II ergänzt, festgelegt. Neben den EU-Vorgaben gibt es ein Konzept der Verbände der Deutschen Kreditwirtschaft, des deutschen Fondsverbands BVI und des Deutschen Derivate Verbands DDV zur Bestimmung eines Zielmarktes für nachhaltige Produkte, der über die EU-Richtlinie hinausgeht. Dieses Konzept sieht zusätzliche Mindeststandards vor: In bestimmten Fällen wurden für die Investition in Aktien und Anleihen Mindestausschlüsse für bestimmte Branchen wie Rüstung oder Tabak integriert. Zudem dürfen für nachhaltige und taxonomiekonforme Anlagen keine Investitionen in Unternehmen getätigt werden, die schwere Verstöße gegen die UN Global Compact begehen, oder in Staaten, die gegen Demokratie und Menschenrechte verstoßen. Für alle nachhaltigen Produkte legen die Verbände darüber hinaus fest, dass die Produkthersteller einen anerkannten Branchenstandard wie die PRI berücksichtigen müssen.

Rechtliche Risiken

Der Zeitplan der EU-Regulierung kann zu Haftungsrisiken führen. Denn die neuen nachhaltigen Produktmerkmale, die laut Mifid II von August an umgesetzt sein müssen, werden sich bis Jahresende 2022 in der Regel noch nicht in den Verkaufsprospekten niederschlagen. Level 2 der Offenlegungsverordnung, der die detaillierten Umsetzungsvorgaben, also die technischen Regulierungsstandards umfasst, tritt erst Anfang 2023 in Kraft. Erst von diesem Zeitpunkt an ist es im Verkaufsprospekt verpflichtend, die Informationen zu den nachhaltigen Eigenschaften offenzulegen.

Martin Klein, Geschäftsführer von Votum Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungsunternehmen in Europa, kritisiert die Regeln: „Mit der Nachhaltigkeitsfragepflicht ab dem 2. August vollführt die EU einen ihrer Schildbürgerstreiche, die den Verdruss über eine eigentlich gut gemeinte europäische Idee weiter steigert. Der ursprüngliche Gesetzgebungszeitplan sah vor, dass sieben Monate vor der Fragepflicht zu den Nachhaltigkeitspräferenzen verbindliche technische Regulierungsstandards dafür festgelegt sind, was als nachhaltig gilt. Nun ist die Reihenfolge auf den Kopf gestellt worden, und diese Standards treten erst fünf Monate nach der Pflicht zur Ermittlung der Nachhaltigkeitspräferenzen in Kraft.“

Haftungssichere Produktempfehlungen könnten Berater daher ab August dieses Jahres noch gar nicht geben. „Wir sind hier mit unserer Forderung sowohl bei den Praktikern in den Abteilungen der EIOPA und der ESMA als auch bei dem deutschen Finanzministerium auf Zustimmung gestoßen“, so Klein. Die Kommission wird den Start der grünen Anlageberatung jedoch nicht mehr verschieben. „Zu groß ist offenbar der gefürchtete Imageschaden für das politisch exponierte Vorhaben.“ Die Aufsichten sollen laut Klein nun angewiesen werden, im ersten Jahr der Geltung der Nachfragepflicht nachsichtig zu sein. „Dies reicht jedoch nicht aus, und wir werden für die Vermittler entsprechende Kundenhinweise entwickeln, die über die Situation aufklären, um Haftungssicherheit zu gewähren.“

Grundsätzlich begrüßen die Anlageberater es, zu Nachhaltigkeitsthemen zu beraten. Die Aufgabe, persönliche Anlageziele und globale Nachhaltigkeitsanliegen zu vereinen, biete den Beratern Möglichkeiten der Profilierung und eröffne Neukundenpotenziale, insbesondere unter jüngeren Anlegergruppen, denen Nachhaltigkeit wichtig sei, sagt Torsten Barnitzke, der bei Fidelity den ESG-Vertrieb Deutschland leitet. Für Votum-Sprecher Klein ist das Thema auch eine gute Gelegenheit, mit den Kunden ins Gespräch zu kommen und sich beispielsweise von einem Robo-Advisor abzugrenzen.

Bei Votum werden derzeit die Beratungsleitlinien für die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen entwickelt. Dies ist in Ergänzung zu den bisher schon abgefragten Anlagezielen zu sehen. Eine Beratung sei immer eine Gesamtheit von klassischen Anlagezielen und den ESG-Präferenzen. In den Erwägungsgründen der maßgeblichen EU-Verordnungen heißt es explizit: „Wertpapierfirmen, die (…) Anlageberatung bieten, sollten zunächst die anderen Anlageziele, den Zeithorizont und die individuellen Umstände der Kunden oder potenziellen Kunden bewerten, bevor sie die potenziellen Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden abfragen.“

Erste Testbefragungen hätten laut Klein allerdings gezeigt, dass Kunden zum Teil blauäugig sind und gleich alles Geld nachhaltig anlegen wollen oder sofort eine positive Wirkung erzielen möchten, ohne sich der Risiken bewusst zu sein. Denn dann müssten sie beispielsweise eine Beteiligung an einem Windpark kaufen, was wiederum mit einem Totalverlustrisiko verbunden ist, so der Votum-Verband.

Kaum zu verstehen

Das Rahmenwerk der grünen Anlageberatung dürfte viele Kunden ratlos machen. Für Rolf Häßler, Geschäftsführer des Instituts für nachhaltige Kapitalanlagen (NKI), „liegt die Hauptschwierigkeit nun darin, dass die Vorgaben für die Anleger so kompliziert sind, dass der normale Anleger sie kaum verstehen kann.“ Die sogenannte ESG-Präferenzabfrage umfasse die Abfrage der „Nachhaltigkeitspräferenzen“ der Anleger, ob und, wenn ja, inwieweit eines der folgenden Finanzinstrumente in seine Anlage einbezogen werden soll. Dabei gibt es drei Varianten von grünen Produkten, berichtet Häßler. Erstes gebe es Finanzinstrumente, bei denen ein Mindestanteil der Investitionen in nachhaltige Investitionen im Sinne der EU-Taxonomie nachhaltiger wirtschaftlicher Tätigkeiten fließt; zweitens Finanzinstrumente, bei denen ein Mindestanteil der Investitionen in nachhaltige Investitionen im Sinne von Artikel 2 Nummer 17 der Offenlegungsverordnung fließt; und drittens Finanzinstrumente, bei denen die wichtigsten negativen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden, wie sie im Zusammenhang mit der Offenlegungsverordnung in den Principal Adverse Impacts (PAI) definiert sind.

„Damit werden dem Anleger grundsätzlich drei Anlageoptionen offeriert, wobei zu hinterfragen ist, ob gerade private und semiprofessionelle Ableger diese Optionen im Hinblick auf die Aussage der Referenzsysteme – EU-Taxonomie, Offenlegungsverordnung und PAIs – und die Auswirkungen auf ihre Kapitalanlage wirklich bewerten können“, sagt Häßler. Ein Defizit sei zudem, dass es keine verbindliche konkrete Fragestellung gebe. Wie wichtig die Formulierung ist, zeige ein Extrembeispiel. Wenn die Frage lautet: „Lieber Anleger, möchtest du zulasten der Rendite nachhaltig anlegen?“, dann wären die Antworten klar.

Interessant wird es, wenn ein Kunde mit Ja antwortet und nachhaltig investieren will. Dann müssen die Anbieter ein differenziertes Produktangebot vorhalten. „Letztlich braucht man eine Matrix mit der heutigen Rendite-Risiko-Klassifizierung auf der einen Seite und ESG-Kriterien auf der anderen Seite. Ohne ein sehr differenziertes Produktangebot wird es nicht mehr gehen“, so Häßler. Seiner Einschätzung nach werden Beratungsgespräche zu Nachhaltigkeit zudem schnell auf die inhaltliche Ebene kommen. „Es geht dann nicht mehr nur um Risiko und Rendite, sondern beispielsweise um die Frage, ob Atomkraft ausgeschlossen ist, oder um andere kontroverse Themen. Manche Kunden werden wissen wollen, was ein Best-in-Class-Ansatz ist. Der Berater wird künftig sehr gefordert sein und muss entsprechend weitergebildet werden.“ Es sei sogar denkbar, dass die Kunden nach nachhaltigen Strategien der Bank fragen, und auch dazu müsste ein Berater Auskunft geben.

Ungeachtet aller Schwierigkeiten verspricht sich die grüne ESG-Expertin Kristina Jeromin viel von der Neuregelung. „Die Beratungspflicht wird die Nachhaltigkeitsthematik weiter im Kerngeschäft der Finanzbranche und in den Köpfen der Kundinnen und Kunden verankern.“ Es gehe auch nicht darum, die Anleger im Rahmen eines Beratungsgesprächs zu ihrem Glück zu zwingen. „Bisher denken die wenigsten Menschen darüber nach, was mit ihrer Geldanlage passiert. Fundierte Beratungsgespräche werden die Aufmerksamkeit der Anleger für nachhaltige Aspekte im positiven Sinne steigern. Wir legen doch nicht grün an, weil wir alle so moralische Menschen sind“, sagt Jeromin. Für nachhaltige Investments sprechen aus ihrer Sicht vielmehr Studien, die zeigen, dass mit der Integration von ESG-Risiken ein risikoärmeres Investment möglich sei.