Japan

Yen fehlt die Perspektive

Die japanische Währung hat in den vergangenen sechs Monaten 4,4% an Wert verloren. Dem starken Abwärtstrend konnte die Notenbank nichts entgegensetzen, die schwache Wirtschaftsentwicklung tat ihr Übriges.

Yen fehlt die Perspektive

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Zu Jahresbeginn hat der Yen einen ungewöhnlich guten Lauf hingelegt. Bis Mitte Januar erholte er sich von seinen Tiefstkursen und wurde wieder zu 114 Yen pro Dollar gehandelt. Für eine gewisse Zeit war Japans Währung die beste im G10-Universum. „Dass der Yen sich so spektakulär erholt hat, mag schlicht und ergreifend daran liegen, dass er zuvor außergewöhnlich stark abgewertet hatte“, so Ulrich Leuchtmann, Leiter Währungsresearch der Commerzbank. Das war nicht von Dauer, denn die strukturellen Probleme des Landes und damit der Währung setzen sich am Markt schnell wieder durch. Die Währung ist nun eher dabei, die Marke von 116 Yen pro Dollar nach oben zu durchbrechen, als sich dauerhaft zu stabilisieren.

Seit Ende 2021 geht es mit dem Yen bergab. Während vor gut einem Jahr für einen Dollar noch 103 Yen zu zahlen waren, müssen jetzt rund 115 Yen auf den Tisch gelegt werden. Anfangs kam die Pandemie dem Yen zugute, verstärkte sie doch den Home Bias japanischer Investoren, so die LBBW. Eine höhere Risikoaversion an den Märkten stützte den Yen, der als sicherer Hafen galt. Damit war es jedoch bald vorbei. „Auffallend war, dass der Yen im Januar nicht stark aufgewertet hat, obwohl die Risikoaversion am Markt sehr hoch war. Der Yen wird also nicht mehr als sicherer Hafen wahrgenommen“, schreibt die DWS und fragt sich, wie es so weit kommen konnte.

Corona-Korrelation fällt weg

Der Übergang zur Endemie dürfte die Chance auf eine Yen-Stärke reduzieren. Ab der zweiten Hälfte des Jahres 2020 gab es beim Yen noch eine Tendenz zur Aufwertung, als die weltweiten Covid-19-Todesfälle zu­nahmen, und zur Abwertung, als die Todesfälle zurückgingen, so die Beobachtung von Nomura. Diese Korrelation scheine sich nun aufzulösen. Es könnte durchaus sein, dass die Sichtweise der Politik und die Coronasituation dazu geführt haben, dass der Markt weniger empfindlich auf die Pandemie-Nachrichten reagiert. Die Situation beim Yen wird zwar teilweise durch die Tatsache verdeckt, dass Japan derzeit mitten in einer weiteren Infektionswelle steckt. Sollte es nun dazu kommen, dass Covid als endemische Krankheit angesehen wird, könnte das für eine weitere Abschwächung des Yen in der zweiten Jahreshälfte sprechen, sagt Yujiro Goto von Nomura.

Mit einem aktuellen Devisenkurs von 115,49 Yen pro Dollar hat die japanische Währung allein in den vergangenen sechs Monaten um 4,4% nachgegeben. Auf längere Sicht ist die Abwertung noch höher. Xueming Song, Leiter Währungsstrategie bei der DWS, sieht die Verantwortung für diesen Niedergang in erster Linie bei der Bank of Japan (BoJ). Gouverneur Haruhiko Kuroda habe die „selbst gesteckten Ziele vollständig verfehlt“. Die Inflation in Japan falle noch immer niedrig aus, die inländischen Investitionen seien nicht gestiegen, und die Konsumenten seien aufgrund der verschlechterten Terms of Trade ärmer geworden. „Wir erwarten, dass sich die aktuelle Lage für den Yen bis zum Ende der Amtszeit von Kuroda nicht mehr ändern wird“, sagt Song. Aus seiner Sicht hält die BoJ an der „Schwachwährungspolitik“ fest, weil die negativen Auswirkungen bei einem fairen Kurs zwischen 95 und 100 Yen pro Dollar für Anleger sehr groß seien.

Die Abwertung des Yen führt die DWS zum großen Teil darauf zurück, dass japanische Investoren und Pensionsfonds mehr Kapital im Ausland anlegen und von einem schwachen Yen profitieren würden. Andererseits würden ausländische Anleger das Land meiden. „Der schwache Yen geht jetzt an die Substanz Japans“, stellt Song fest, der auf einen neuen Notenbank-Gouverneur ab April 2023 hofft.

Anders als in Europa oder den USA entwickeln sich die Inflationsraten in Japan überschaubar. Der globale Inflationsschock, der die Konsumentenpreise in den Vereinigten Staaten um 7% und im Euroraum um 5% steigen ließ, sei an Japan nahezu spurlos vorübergegangen, so die Commerzbank. Hier stiegen die Konsumentenpreise 2021 nur um 0,6%. Zwar müsse auch Japan mehr für Energie und Importe zahlen. Es sei allerdings mehr als erstaunlich, dass die Preise für Japans Einfuhren im Jahresverlauf 2021 um mehr als 40% gestiegen seien, ohne dass davon viel bei den Konsumentenpreisen angekommen sei. „Das, und nicht das Kleckchen, das dann doch durchkam, ist das Spektakuläre an Japans Preisentwicklung“, sagt Leuchtmann. Das Problem der Niedriginflation sei in Japan weit ausgeprägter, „als man sich in den kühnsten Träumen vorstellen konnte“. Dementsprechend dürften die Währungshüter vermutlich nicht von ihrer jahrzehntelang verfolgten ultraexpansiven Geldpolitik abrücken.

Bescheidene Aussichten

Der schwache Yen hat mit der Konjunkturabschwächung und den schwachen Wachstumsraten im Vergleich zu den USA und Europa weitere Ursachen. Allerdings, so wenden die Experten von Nomura ein, könnten die Yen-Verluste die Stimmung der Unternehmen sogar verbessern. Die bisherige Abwertung habe aber nicht genügend negative Auswirkungen auf die japanische Wirtschaft, um eine vorzeitige Straffung der Geldpolitik oder Interventionen an den Devisenmärkten zu erfordern, betont Nomura-Analyst Goto.

Aus seiner Sicht sei es das wahrscheinlichste Szenario, dass der Yen weiterhin allmählich abwerten werde, „da sich die Fundamentaldaten in Form einer wirtschaftlichen Erholung im Ausland und einer Ausweitung der Zinsdifferenzen ändern“ würden und damit die Lücke zwischen Japan und dem Rest der Welt größer werde.