Frederic Mishkin

„Die Fed steht mit dem Rücken zur Wand“

Die Fed habe viel zu spät auf die hohe Inflation reagiert, kritisiert Ex-Notenbanker Frederic Mishkin. Vor der US-Zinswende spricht er über seine Furcht vor einer Rezession und den geplanten Bilanzabbau.

„Die Fed steht mit dem Rücken zur Wand“

Peter De Thier

Herr Professor Mishkin, was er­warten Sie sich von der unmittelbar bevorstehenden Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) der US-Notenbank Fed?

Ich gehe fest von einer Erhöhung der Federal Funds Rate um 25 Basispunkte aus und tat das übrigens schon, bevor Notenbankchef Jerome Powell entsprechende Signale gegeben hat. Auch ist davon auszugehen, dass wir erste Hinweise darauf bekommen werden, mit welchem Tempo der Bilanzabbau erfolgen wird. Das alles ist aber längst überfällig, denn die Fed hat viel zu spät reagiert und bis hin zur anstehenden Zinswende große Fehler gemacht.

Welche Fehler?

Die Notenbank hat viel zu spät begonnen, auf die hohe Inflation zu reagieren, die unterschätzt wurde und fälschlich für „temporär“ gehalten wurde. Auch wurde meines Erachtens der Lage am Arbeitsmarkt zu viel Bedeutung beigemessen. Zudem hat die Fed Fehler bei der Flexibilisierung des Inflationsziels gemacht. Für sich genommen ist ein durchschnittliches Inflationsziel eine gute Idee. Es macht aber keinen Sinn, wenn dieses nicht effektiv umgesetzt wird.

Inwiefern hat es bei der Umsetzung gehapert?

Ein Durchschnittswert macht nur dann Sinn, wenn dieser auch mit einem zeitlichen Horizont verbunden ist. Ohne einen konkreten Zeitraum hat ein flexibles Inflationsziel keinen Sinn, weil unklar bleibt, wie lange dieses deutlich überschritten werden kann, ehe geldpolitische Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die Formulierung seitens der Fed, dass man eine Teuerungsrate oberhalb der Zielgröße für einen „angemessenen Zeitraum“ zulassen könne, hilft da nicht weiter. Schließlich weiß kein Mensch, was mit dem Zeitraum gemeint ist. Dieser muss spezifischer sein.

Sie zählen generell zu den schärfsten Kritikern der US-Geldpolitik unter Powell. Wie bewerten Sie seine Leistung als Fed-Vorsitzender insgesamt?

Am Anfang hat er wirklich geglänzt und insbesondere die politischen Konflikte souverän gemeistert, als noch Donald Trump der Präsident war. Insbesondere hat er entscheidend dazu beigetragen, dass einige von Trumps unglaublichen Vorschlägen für den Fed-Vorstand, insbesondere Judy Shelton und Herman Cain, blockiert wurden. Jay Powell hat seinen Einfluss im Kongress geltend gemacht, um deren Bestätigung zu verhindern, und das was sehr verdienstvoll.

Und in der Geldpolitik selbst?

Natürlich verdienen Jay Powell und das FOMC sehr gute Noten für die schnelle und konsequente Reaktion auf die Corona-Pandemie im März vorvergangenen Jahres. Diese hat, gepaart mit den Konjunkturpaketen des Kongresses, dazu geführt, dass eine der tiefsten Rezessionen in der Geschichte innerhalb von wenigen Monaten überwunden war und die Wirtschaft nun wieder robust wächst. Doch nun haben wir diese historisch hohe Inflation. Diese wurde aber nicht allein durch Lieferkettenstörungen und Versorgungsengpässe ausgelöst, sondern auch durch eine exzessive Nachfrage, und auf diese hätte die Notenbank einwirken können. Aber das ist nicht alles.

Welche anderen Fehler wurden denn noch gemacht?

Schwach ist er auch in Sachen Transparenz gewesen. Darin erinnert Powell an Notenbanker der alten Schule, etwa Alan Greenspan. Der sagte ja bekanntlich, dass „wenn meine Absicht verstanden wurde, ich das nicht so gemeint habe“. Die mangelnde Transparenz zählt auch an der Wall Street zu den Aspekten von Powells Führungsstil, die am stärksten kritisiert werden.

Inwiefern? Er spricht doch seit geraumer Zeit von der Notwendigkeit mehrerer Zinserhöhungen und des Bilanzabbaus. Nun wissen wir sogar, wie hoch die erste Straffung ausfallen wird.

Die mangelnde Transparenz bezieht sich in erster Linie auf das durchschnittliche Inflationsziel. Würde er beispielsweise sagen, dass die Marke von 2% fünf Jahre lang um x Prozentpunkte überschritten werden kann, dann hätten die Märkte eine Vorstellung, wann und in welchem Umfang die Fed die Zügel wieder straffer ziehen muss. Das ist streng genommen zwar ein technischer Fehler, der begangen wurde, aber es ist ein sehr bedeutender.

Was sollte er denn jetzt machen, um die Fehler richtigzustellen?

Powell und die Fed stehen nun mit dem Rücken zur Wand, schwieriger könnte die derzeitige Lage für sie kaum sein. Zum einen haben wir seit geraumer Zeit außerordentlich hohe Inflation. Dazu gesellt sich jetzt noch der Krieg in der Ukraine, der zu massiven, angebotsseitigen Schocks und einem weiteren Anstieg der Energiepreise führen wird. Gleichzeitig könnte die geopolitische Krise das Wachstum bremsen. Wir könnten also ein klassisches Stagflationsszenario und womöglich sogar eine Rezession bekommen.

Sie klingen ja alles andere als zuversichtlich.

Ich bin sogar ausgesprochen pessimistisch. Zum einen wegen der Fehler, die von der Fed begangen wurden, aber auch wegen Präsident Joe Bidens 1,9 Bill. Dollar schwerem Konjunkturpaket. Das sollte ur­sprüng­lich auf Hilfe für Ärmere ab­zielen, war letzten Endes aber viel zu umfangreich. Der Konflikt in der Ukraine gießt nun weiteres Öl ins Feuer. Ich mache mir daher offen gestanden Sorgen darüber, dass wir in die nächste Rezession abgleiten könnten. Denkbar ist nämlich, dass, um die hohe Inflation zu bekämpfen, die Fed mit den Zinsen so weit raufgehen muss, dass dies die Nachfrage abwürgt, eine Rezession dann also unvermeidlich wäre. Powells Konflikt: Es wäre die an und für sich richtige Politik, aber in einem denkbar ungünstigsten Umfeld.

Wie aggressiv wird die Fed denn vorgehen? Mit wie vielen Zinserhöhungen rechnen Sie in diesem Jahr, und wann sollte der Bilanzabbau beginnen?

Zunächst möchte ich betonen und positiv hervorheben, dass die Fed in jüngster Zeit transparenter ge­worden ist, zumindest in puncto Zinserhöhungen, und dass wir aufgrund von Powells Aussagen nun bessere Vorstellungen über den weiteren geldpolitischen Kurs haben. Er plant also, wie er selbst sagte, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Inflation unter Kontrolle zu bekommen. Dabei befindet sich Powell in einer ähnlichen Situation wie der frühere Fed-Vorsitzende Paul Volcker in den 1980er Jahren.

Wollen Sie damit sagen, dass er den Leitzins genauso aggressiv heraufsetzen könnte, wie seinerzeit Volcker es tat?

Nein, denn das wird nicht notwendig sein. Wir werden zunächst eine Straffung um 25 Basispunkte sehen, verbunden mit Signalen dafür, dass etliche weitere Zinserhöhungen bevorstehen könnten. Auch ist es meines Erachtens unverzichtbar, dass das FOMC sofort die Bilanzreduktion einläutet.

Also zeitgleich mit den Zinserhöhungen?

Ja, absolut. Und nicht nur das: Es könnte sogar notwendig sein, dass die Fed über den Verzicht auf Reinvestitionen hinaus beginnt, auch mit Wertpapierverkäufen ihre Bilanzsumme schneller abzuschmelzen. Eine aufgeblähte Bilanz von 9 Bill. Dollar birgt nämlich auch Risiken für eine Notenbank selbst und den Wert ihres Portfolios. Ratsam wäre ein simultaner Beginn der Zinserhöhungen und der Bilanzreduktion. Auch deswegen, weil Powell damit ein klares Signal schicken würde, dass er und seine Kollegen es mit dem Kampf gegen die Inflation wirklich ernst meinen.

Das Interview führte .

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