LeitartikelHandelskonflikt China-USA

Handelsquerelen als Chancenbringer

China und USA gehen im Handelskonflikt recht zahm miteinander um. Das hilft, die Pekinger Konjunkturagenda in eine erwünschte Richtung zu lenken.

Handelsquerelen als Chancenbringer

CHINA-USA

Handelsquerelen als Chancenbringer

China und USA gehen im Handelskonflikt recht zahm miteinander um. Das hilft, die Pekinger Konjunkturagenda in eine erwünschte
Richtung zu lenken.

Von Norbert Hellmann

Der epochale handelspolitische Schlagabtausch zwischen China und den USA hat sich nach einer dritten langatmigen Verhandlungsrunde zumindest atmosphärisch weiter entspannt. Die chinesische Delegation säuselt nach dem Treffen in Stockholm über das konstruktive Gesprächsklima und versichert, dass der formell zum 12. August auslaufende Kompromiss mit reduzierten Strafzöllen für einige Monate verlängert wird. Wenn US-Präsident Donald Trump nicht doch noch dazwischenfunkt, sollte bis Oktober Ruhe im Karton sein.

Gewitter überstanden

Aus chinesischer Sicht hat man sich bislang gut aus der Affäre gezogen. Aus dem anfänglichen Strafzollgewitter mit zeitweilig exorbitanten Tarifaufschlägen von mehr als 100% verbleibt ein kategorischer Strafzoll von 30% für chinesische Exporte. Damit wird China bis auf Weiteres zwar härter bestraft, als der EU-Block und Japan, die dieser Tage ihre Deals zu reziproken US-Strafzöllen festzurren. Chinas Exportindustrie aber ist nicht sonderlich verletzungsanfällig und weiß den Rücksetzer bei US-Exporten mit verstärkten Ausfuhren nach Südostasien und auch Europa zu kompensieren.

Neue Machtbalance

Über die erste Jahreshälfte hinweg sind Chinas Ausfuhren als wesentlicher Wachstumstreiber kaum gesunken. Aus dem Handelskonflikt mit den USA ist nicht das befürchtete konjunkturpolitische Drama entstanden, das Chinas Wachstumsziel bei 5% aus den Angeln hebt. Damit entfällt auch der Sorgenpunkt eines heftigen Rückschlags an Chinas Aktienmarkt mit vom Handelsstreit befeuerten Panikreaktionen. Vielmehr hat die Hongkonger Börse ein Vierjahreshoch erreicht. Wichtiger noch aus Pekinger Sicht ist aber die Wahrnehmung einer veränderten Machtbalance im Umgang mit Trump. Sie manifestiert sich bei nicht-tarifären Handelswaffen.

Deflationsbekämpfung

Mit einem scharf gestellten Exportkontrollsystem für kritische Mineralien können nach Bedarf Lieferengpässe geschaffen werden, die westliche Industriezweige in Bedrängnis bringen. Das hat Washington zu Konzessionen wie der Lockerung von Technologie-Restriktionen etwa für High-End-Chips gezwungen. Washingtons Aktionsradius für einseitige China-Attacken zeigt sich nun wesentlich eingeschränkt und kaum noch geeignet, Krisenstimmung in China zu erzeugen. Das kommt Pekings Befindlichkeiten mit Blick auf die heimische Wirtschaftsagenda sehr entgegen. Noch am Mittwoch im Anschluss an die Stockholmer Runde hat das Politbüro Vitalität und Widerstandsfähigkeit der chinesischen Wirtschaft angepriesen. Versprochen wird nun eine stärkere Fokussierung auf die Bekämpfung von Deflationsgefahren.

Überkapazitätsproblem

Chinas Staatsführung deutet rigorosere Maßnahmen zur Eindämmung von hitzigen Preissenkungswettläufen wie im E-Automarkt und einen breiteren Ansatz zur Reduzierung von Überkapazitäten im Industriesektor an. Damit landet sie genau beim übergreifenden Reizthema, das die USA und Europa im Umgang mit der Handelsmacht China enerviert. Nämlich eine bedrohliche Exportschwemme zum Abbau der Überproduktion in massiv subventionierten und geförderten Industriezweigen. China negiert diese Probleme im Handelsdialog mit dem Westen zwar stets, sieht aber dennoch Handlungsbedarf.

Strukturpolitik kommt in die Hufe

Trumps Strafzollpolitik dürfte eher unbeabsichtigt einen heilsamen Effekt bewirken, der Chinas Wirtschaftsplaner leichter in die Gänge kommen lässt. Im gegenwärtigen Welthandelsklima verliert die Exportschiene als Patentrezept für die Absorption der Überproduktion an Perspektive. Ein überaus hitziger Handelskrieg mit den USA jedoch erzeugt konjunkturelle Nöte, den Peking nur mit weiteren Industrieprogrammen zu begegnen weiß. Solange China wegen verschärfter US-Attacken nicht aktiv um das Wachstumsziel bangen muss, werden Freiräume für strukturelle Maßnahmen zur Dämpfung von Überkapazitäts- und Deflationsproblemen geschaffen. Damit befindet man sich zumindest am Anfang eines langen strukturpolitischen Marsches, der sich auch aus handelspolitischer Sicht als Win-win-Situation darstellen sollte.