Strukturwandel

In der Ölindustrie ist die große Ökowende vertagt

Wegen der weltweiten Bemühungen um mehr Klimaschutz, sind die Ölkonzerne gezwungen, ihre Geschäftsmodelle zu ändern. Die inzwischen fast zweijährige Hausse des Ölpreises wirkt jedoch wie eine Bremse für entsprechende Bestrebungen.

In der Ölindustrie ist die große Ökowende vertagt

Von Martin Dunzendorfer,

Frankfurt

Alle Welt, so scheint es, redet über Klimaschutz und fordert eine Senkung der Treibhausgasemissionen. Um dies zu erreichen, sollen u.a. natürliche Energieträger wie Sonne, Wind und Wasser noch stärker genutzt und Autos von Verbrenner- auf Elektromotoren umgestellt werden. Ziel ist es, die fossilen Energieträger Öl, Gas und Kohle in ihrer Bedeutung zurückzudrängen. Den Unternehmen der Branche wird damit nach und nach ein Großteil ihrer Geschäftsgrundlage entzogen.

Aber auch von Seiten der Anleger geraten die einst so gewinnträchtigen Geschäftsmodelle unter Druck. Immer mehr Investoren verbannen Ölaktien aus ihren Depots, vor allem institutionelle wie Versicherungen und Pensionsfonds, die verstärkt Wert auf nachhaltige Investments legen. Die EU-Taxonomie, ein Regelwerk zur Beurteilung von Wirtschaftstätigkeiten, bringt zusätzlichen Veränderungsdruck. Daher versuchen viele Konzerne sich auf eine Zeit vorzubereiten, in der Öl für die Weltwirtschaft eine deutlich kleinere Rolle mit veränderten Anwendungsanteilen spielen wird. Diese Aktivitäten werden jedoch in unterschiedlicher Intensität betrieben.  

Unter Upstream wird die Suche nach Erdöl und Erdgas sowie die Erschließung und Förderung verstanden, während Downstream die Bezeichnung für alle Tätigkeiten ist, die sich daran anschließen – also vor allem Transport, Verarbeitung (Raffinieren) und Vertrieb. Bei den großen, vertikal integrierten Ölkonzernen gehören beide Bereiche zum Geschäft, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Sie bilden von der Suche nach Förderstätten bis zum Verkauf der raffinierten Produkte, zum Beispiel an der Tankstelle, die gesamte Wertschöpfungskette ab. Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen mit Schwerpunkt Upstream – etwa die US-amerikanische ConocoPhillips und die norwegische Statoil –, besonders stark von steigenden Marktpreisen profitieren. Gerade bei solchen Unternehmen wirkt aber die seit April 2020 laufende Hausse des Ölpreises – damals war im Zuge der sich auf der ganzen Welt ausbreitenden Pandemie der Ölpreis kurzzeitig kollabiert – wie eine Bremse für jedes Bestreben, das Geschäftsmodell zu modifizieren und klimafreundlicher zu machen.

Ohnehin kam es bei den meisten US-Spielern, etwa ExxonMobil und Chevron, bisher nur zu kosmetischen Korrekturen in der Aufstellung. Unter Präsident Donald Trump war deren klassisches Geschäftsmodell durch Deregulierung und immer neue Bohrerlaubnisse sogar gefördert worden. Die Ölmultis aus Texas oder Kalifornien sahen also keinen Grund, eine Ökowende einzuleiten.  Zudem spielen auf dem Ölmarkt nicht nur westliche Ölkonzerne eine Rolle, sondern auch Ölriesen wie die größte Fördergesellschaft der Welt, Saudi Aramco, und die National Iranian Oil Company (NIOC). Diese Unternehmen und die hinter ihnen stehenden Länder denken nicht daran, die ihnen gehörenden fossilen Bodenschätze zu versiegeln und ihre Geschäftsmodelle einzustampfen. Wieso auch, wenn der Konsum von immer mehr Menschen auf der Welt wächst und damit auch der Ölverbrauch? Insofern ist der Eindruck, den man in Europa gewinnen könnte – dass die Ölindustrie in Gänze sich um weniger klimaschädliche Aktivitäten bemüht –, ein Zerrbild der Wirklichkeit.

Windkraft und E-Zapfsäulen

Indes stellt sich die Frage, wo denn überhaupt die größten Zukunftschancen für die umbauwilligen Unternehmen liegen. Die europäischen Konzerne setzen hier vor allem auf erneuerbare Energien und E-Tankstationen. So hat Royal Dutch Shell den Solarbatteriehersteller Sonnen und den Anbieter von Ladesäulen-Infrastruktur New Motion übernommen. Die Briten haben sich nicht nur das Ziel gesetzt, in Deutschland bis 2030 rund 1000 Schnellladesäulen an ihren Tankstellen zu errichten, Shell treibt auch eigene Offshore-Windprojekte voran. Der Strom soll dann u.a. für verschiedene Wasserstoffprojekte zum Einsatz kommen, denn Shell will zum „führenden Anbieter von grünem Wasserstoff für Industrie- und Transportkunden“ aufsteigen. Dafür müsste Shell an Totalenergies vorbei, denn die Franzosen sehen sich als Vorreiter im Bereich Wasserstoffmobilität. Im Gegenzug soll der Absatz von Ölprodukten bis zum Ende des Jahrzehnts um ein Drittel sinken.

Ähnliche Pläne gibt es auch bei BP. Zusammen mit dem dänischen Energieerzeuger Örsted soll z.B. eine Elektrolyseanlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff aufgebaut werden, die 2024 in Betrieb gehen soll. Insgesamt wollen die Briten bis 2030 jährlich 5 Mrd. Dollar in erneuerbare Energien investieren. So baut BP zusammen mit norwegischen Unternehmen riesige Windkraftanlagen vor der US-Küste. Die Öl- und Gasproduktion soll dagegen bis 2030 um 40% sinken. Zugleich verspricht BP den Aktionären, den Konzern so profitabel wie früher zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen u.a. 10000 Stellen im Ölbereich gestrichen werden. Noch aber sind die Margen von Offshore-Windparks, Ladestationen für Elektroautos oder Solarspeichern – sofern überhaupt positiv – sehr niedrig.

Außerdem verlegen die Konzerne ihre Aktivitäten verstärkt in den Downstream-Bereich. So stockte die österreichische OMV ihren Anteil am Petrochemie-Unternehmen Borealis im März 2020 auf 75% auf. Das Unternehmen soll zur „Nummer 1 unter den Ethylen- und Propylenproduzenten in Europa“ und zu einem der zehn größten Polymerhersteller weltweit aufsteigen.

Eines sollte jedoch trotz der Diversifizierung in Geschäftsfelder, die nicht mehr unmittelbar mit Öl zu tun haben – erneuerbare Energien, Elek­tromobilität und Chemie – nicht vergessen werden: Der Preis für das schwarze Gold ist immer noch der entscheidende Faktor für den Unternehmenserfolg. Das erklärt, warum die Aktienkurse der börsennotierten Spieler gerade auf mehrjährigen Hochs liegen, denn die Ölnotierungen haben sich seit April 2020 fast verfünffacht und liegen nun auf dem höchsten Niveau seit Herbst 2014.

Requiem zu früh gehalten

Soll man daraus schließen, dass die Ölkonzerne wieder aller Sorgen ledig sind und sie ihre Umbaupläne ad acta legen können? Nein, so ist es natürlich nicht, denn in 30, 40 oder 50 Jahren wird der Mix der Energiequellen weltweit ein ganz anderer sein als heute. Aber die zuletzt feste Entwicklung der Ölpreise und die Hausse der Ölaktien zeigt auch, wie übertrieben die heftigen Kurseinbußen vieler Branchenvertreter zuvor waren. Wie sich im Laufe von 2020 und 2021 gezeigt hat, ist Öl ein notwendiges Schmiermittel für den Konjunkturmotor der Welt und das wird Öl – unabhängig von Abweichungen in den unterschiedlichen Verbrauchsszenarien – noch für Jahrzehnte bleiben. Diese Tatsache kann nicht einfach wegdiskutiert werden. Fazit: Das Requiem für die Ölbranche wurde zu früh gehalten.