Liquidität im Übernachtgeschäft droht zu versiegen
Im Blickfeld
Liquidität im Übernachtgeschäft droht zu versiegen
Die Beteiligung an der Reverse-Repo-Fazilität der Fed hält sich noch über Null. Der nächste Einbruch ist laut Strategen aber nur eine Frage der Zeit – und dürfte erhebliche Herausforderungen für das Finanzsystem mit sich bringen.
Von Alex Wehnert, New York
Während die Wall Street sich nach einem turbulenten Frühjahr auf einer Erfolgswelle wähnt, trocknet eine wichtige Liquiditätsquelle für die Finanzmärkte aus. Denn die Aktivität von Banken und Geldmarktfonds im Übernachtgeschäft tendiert seit nun zweieinhalb Jahren in Richtung Null: Summierten sich die täglichen Transaktionsvolumina in der Overnight Reverse Repurchase Facility (ON RRP) der Federal Reserve Ende 2022 noch auf mehr als 2,5 Bill. Dollar, brachen sie bis Mitte April des laufenden Jahres auf rund 55 Mrd. Dollar ein.
Die Offenmarktgeschäfte sollen dazu beitragen, die Geldmenge effektiv zu managen. In ihrem Rahmen kaufen Marktteilnehmer Wertpapiere wie US-Schatzwechsel von der Notenbank, die diese am nächsten Tag für einen höheren Preis zurück erwirbt. Die Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis streichen beteiligte Banken und Geldmarktfonds als Zinserträge ein. Die Fed bietet den Marktteilnehmern heute aber schlechtere Konditionen als früher an. Der Rückgang der Beteiligung geht dabei mit einem anhaltend restriktiven Kurs der Fed einher, die ihre Bilanzsumme seit Mitte 2022 von nahezu 9 auf rund 6,66 Bill. Dollar reduziert hat, um langfristigen inflationären Trends entgegenzuwirken.
Der Hahn tropft noch
Doch noch tropft der Hahn im Übernachtgeschäft zur Verblüffung vieler Experten, die schon seit Anfang 2024 eine komplette Dürre vorhersagten. Die Beteiligung an dem Übernachtprogramm erholte sich in den vergangenen Wochen sogar wieder leicht vom April-Tiefstand. „Dass sich die Volumina in der Overnight Reverse Repo Facility noch bei Niveaus nahe der 200 Mrd. Dollar halten, hatte ich so nicht erwartet”, sagt Christian Englert, Treasurer der DZ Bank in New York. Die Entwicklung sei wohl darauf zurückzuführen, dass die im Rahmen der Repo-Fazilität gezahlten Raten mit 4,25% häufig noch immer über den Verzinsungen kurzfristiger Treasury Bills am Sekundärmarkt lägen und damit für Geldmarktfonds und andere Investoren eine attraktive Alternative darstellten.

US-Finanzminister Scott Bessent dürfte mit gewisser Erleichterung beobachten, dass die Marktteilnehmer noch Liquidität im Übernachtprogramm der Fed vorhalten. Denn die dortigen Cash-Reserven wurden gerade nach den Haushaltsstreitigkeiten der vergangenen beiden Jahre, nach denen die Treasury geballt Staatsanleihen an den Markt werfen musste, zum beruhigenden Polster. Somit waren kurzfristig liquide Mittel verfügbar, die Geldmarktfonds wie von Beratern des Finanzministeriums erhofft in Auktionen kurz laufender Papiere pumpten.
Sorge um fiskalische Stabilität nimmt zu
Schon unter Bessents Vorgängerin Janet Yellen steuerte die Treasury verstärkt Schatzwechsel-Emissionen an, um die Renditeanstiege am langen Ende der Kurve zu begrenzen. Der amtierende US-Finanzminister hat diese Strategie zwar schon öffentlich infrage gestellt, da sie die langfristige Finanzplanung erschwere. Von ihr trennen kann er sich allerdings nicht, da Washington nach Erwartung von Bondmarktteilnehmern allein in der zweiten Jahreshälfte wohl neue Anleihen im Volumen von bis zu 1 Bill. Dollar begeben muss, um das stark ausgeweitete Haushaltsdefizit zu finanzieren.
Dabei hat US-Präsident Donald Trump seit langem schwelende Sorgen um die fiskalische Stabilität der Vereinigten Staaten mit seiner „Big, Beautiful Bill“ noch verschärft, über die er Steuersenkungen aus seiner ersten Amtszeit verlängert und Ausgaben etwa für Verteidigung und Grenzschutz hochfährt. Die Rendite 30-jähriger US-Staatsanleihen liegt nahe 5% und damit auf Niveaus, wie sie kurz vor der Finanzkrise 2008 erreicht wurden. Deshalb ist ein anhaltender Fokus auf die kurze Frist laut den Analysten der Wertpapiersparte von Bank of America sowie den Strategen von TD Securities unausweichlich. Selbst Bessent ließ Anfang Juli im US-Fernsehen durchblicken, dass eine Ausweitung der Auktionen am langen Ende derzeit wohl keinen Sinn ergebe.
Geldmarktfonds als Retter
Geldmarktfonds, die laut dem Branchenverband Investment Company Institute auf Assets im Rekordumfang von nahezu 7,1 Bill. Dollar sitzen, zeigen sich noch aufnahmebereit. Allerdings macht sich in den Repo-Sätzen laut DZ-Bank-Treasurer Englert durchaus bemerkbar, dass die Liquidität im Markt mittelfristig abnehme. Noch immer sei nicht klar absehbar, wann genau die Federal Reserve bei ihrer Quantitativen Straffung zu einem Gleichgewicht finde, das Volumen der Anleihekäufe der Notenbank also mit jenem der von der Bilanz rollenden Assets übereinstimmen werde.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mark Schiefelbein
Fahre sie die Liquiditätszufuhr zu rapide zurück, könnten die Zinsen am Repo-Markt wie bei der Krise im September 2019 oder den Verwerfungen bei Gilts 2022 wieder in die Höhe schnellen. „Bei anhaltenden Niveaus von 6 bis 7% wäre die Fed wohl gezwungen einzuschreiten”, sagt Englert. Bereits auf ihrer Zinssitzung im März beschloss die Notenbank, die Geschwindigkeit ihrer Quantitativen Straffung zu verringern. So lässt die Fed seither monatlich Treasuries im Volumen von bis zu 5 Mrd. Dollar von der Bilanz rollen, zuvor galt ein Limit von 25 Mrd. Dollar. Der unter Druck stehende Notenbankvorsitzende Jerome Powell bezeichnete dies als „Anpassung nach gesundem Menschenverstand“. So wollen die Währungshüter verhindern, dass sie die Liquiditätszufuhr an die Märkte abwürgt.
Sensibles Vorgehen nötig
Die Fed muss bei ihrem „Tightening“ sensibel vorgehen, haben Verwerfungen in der Übernachtfazilität doch häufig weitreichende Auswirkungen. Die Reserven, die Finanzinstitute bei der Notenbank halten, sind nicht nur wichtiger Liquiditätspuffer mit Blick auf kurz laufende Staatsanleiheauktionen – die Zinsen, die darauf verfügbar werden, beeinflussen auch die Aktivität bei der Kreditvergabe am Interbankenmarkt. Steigen sie deutlich, kann dies schnell zu einem Abfluss der Liquidität in letztgenanntem Segment und damit wiederum zu Zinssprüngen führen. Und wie einfach Geldhäuser über den Interbankenmarkt miteinander interagieren und wie effizient sie damit Risiken untereinander verteilen, ist von zentraler Bedeutung für das Vertrauen in die Stabilität des Finanzsystems allgemein.
Noch ist die Situation an den Finanzmärkten laut dem DZ-Bank-Experten Englert aber durch außergewöhnliche Ruhe geprägt – gerade angesichts handelspolitischer Turbulenzen: „Die fiskalische Expansion und der zu erwartende Liquiditätsstimulus sprechen zunächst einmal nicht für eine Korrektur.” Allerdings mahnt er an, dass die Effekte der Strafzölle gegen US-Handelspartner wohl erst zum Jahresende vollumfänglich absehbar sein würden.
Raum für Spread-Ausweitung
Dann könnten auch die Margen vieler Unternehmen unter Druck geraten – eine Entwicklung, die zu höheren Credit Spreads am Corporate-Bond-Markt führen könne. Diese befänden sich nahe an Allzeittiefs. Englert verweist zudem auf die bemerkenswert robuste Entwicklung der CDX-Benchmark – der Index bildet Credit Default Swaps von Emittenten aus Nordamerika und Schwellenländern nach. „Es besteht also viel Raum für eine Ausweitung der Spreads, sobald die Liquiditätsverknappung für mehr Marktteilnehmer spürbar wird.”