BlickfeldNew Yorker Börsengänge

Nach Aufschwung bei US-IPOs droht ein böses Erwachen

Zuletzt sind einige heiß erwartete IPOs in den USA zum Erfolg geworden. Doch fürchten Analysten, dass die Musik beim Debütantenball an der Wall Street schnell wieder verstummt.

Nach Aufschwung bei US-IPOs droht ein böses Erwachen

Nach Aufschwung bei US-Börsengängen droht ein böses Erwachen

Zuletzt sind heiß erwartete US-IPOs zum Erfolg geworden. Doch fürchten Analysten, dass die Musik beim Debütantenball an der Wall Street schnell wieder verstummt.

Von Alex Wehnert, New York

Nach lange trüber Stimmung feiert die Wall Street wieder Debütantenball. Denn mit dem Stablecoin-Anbieter Circle Internet, dem Raumfahrtunternehmen Voyager Technologies und dem Mobile-Banking-Dienstleister Chime Financial haben sich seit Anfang Juni mehrere Adressen auf das New Yorker Parkett gewagt, nach deren Börsengängen sich Investoren schon lange verzehrt hatten.

Und sie alle haben fulminant losgetanzt: Chime legten am ersten Handelstag an der New York Stock Exchange um 37% zu, Voyager schlossen bei der Premiere am „Big Board“ 82% über Ausgabepreis und Circle schossen an der Nasdaq gar um 168% in die Höhe. Dabei hatten die drei Debütantinnen ihre Aktien jeweils über den angepeilten Spannen platziert. Im Mai hatte bereits die israelische Brokerplattform eToro mit ihrem ersten Auftritt an der Nasdaq die Hoffnung auf eine stimmungsvolle Ballsaison genährt.

Neue Kandidaten in den Startlöchern

Nun machen sich mit der Ticketplattform Stubhub und dem schwedischen „Buy Now, Pay Later“-Anbieter Klarna, die im März ihre IPO-Prospekte bei der US-Börsenaufsicht SEC einreichten, bereits neue Jungdamen für die Einführung in die hohe Gesellschaft bereit. Doch während die Dealmaker in den New Yorker Bankentürmen frohlocken und sich Private Equity auf wachsende Exit-Gelegenheiten einstellt, droht nach den ausschweifenden Feierlichkeiten ein böses Erwachen.

Denn die Belastungsprobe für den IPO-Markt, angesichts derer sich die Stimmung an der Wall Street zeitweise bedeutend eintrübte, ist laut Analysten noch lange nicht ausgestanden. Nachdem die US-Finanzbranche der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump aufgrund der Aufsicht auf gelockerte Regulierungen und eine marktfreundliche Fiskalpolitik freudig entgegenblickte, hat sich der Republikaner als wenig gönnerhafter Schirmherr herausgestellt.

Anhaltende Unsicherheit

„Obwohl wir einen Aufschwung der IPO-Aktivität im weiteren Jahresverlauf erwarteten, hat sich dieser Ausblick aufgrund der Strafzölle eingetrübt“, schrieben der Branchenverband National Venture Capital Association (NVCA) und der Datendienst Pitchbook in einem Mitte April veröffentlichten Bericht. Zu diesem Zeitpunkt sorgte Trumps Handelspolitik für Verwerfungen an den globalen Finanzmärkten, US-Benchmarks wie der S&P 500 und der Nasdaq 100 stürzten angesichts der Furcht vor einem umfassenden globalen Zollkrieg in den Bärenmarkt ab. Seither hat sich die Lage beruhigt, da der Präsident reziproke Zölle gegen Handelspartner aussetzte, während sich Washington und Peking einander annäherten.

Wacklige Handelsvereinbarungen

Doch betonen Ökonomen, dass die jüngst in London geschlossene Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und China lediglich den Status quo wieder herstelle und damit den von Trump verursachten Schaden begrenze. Dabei sei völlig unklar, ob der handelspolitische Waffenstillstand halte oder sich ähnlich schnell in Luft auflöse wie ein im Mai erzielter Deal.

Und während die Ökonomen von Goldman Sachs inzwischen daran glauben, dass die ausgesetzten reziproken Zölle gegen andere Länder nach einer am 9. Juli ablaufenden Frist von 90 Tagen nicht wieder in Kraft treten werden, sind sich andere Beobachter weniger sicher. So beschwerte sich Trump in der abgelaufenen Woche, Japan trete in Verhandlungen „hart“ auf und die Europäische Union habe noch keinen fairen Deal angeboten. Goldman-Chefvolkswirt Jan Hatzius rechnet zudem damit, dass auf einzelne Sektoren wie die Halbleiterbranche und bestimmte Rohstoffe noch höhere Zölle zurollen.

Fiskalische Unsicherheit

Hinzu kommen wachsende Sorgen um die fiskalische Stabilität der Vereinigten Staaten. Jamie Dimon, CEO der größten US-Bank J.P. Morgan, sagte im Rahmen einer vom Cloud-Dienstleister Databricks ausgerichteten Konferenz in San Franccisco, das Trumps derzeit im Senat diskutiertes Mega-Steuerpaket „sicher einige Stimuli enthält, die der Wirtschaft kurzfristig Schwung verleihen können“. Doch warnt das unabhängige Congressional Budget Office davor, dass die „Big Beautiful Bill“ das ohnehin schon gewaltige US-Haushaltsdefizit über das kommende Jahrzehnt noch um 2,8 Bill. Dollar ausweiten dürfte. Dies treibt die Renditen am Staatsanleihemarkt und damit indirekt auch die Kreditkosten für Unternehmen in die Höhe – hinzu kommt, dass sich die Federal Reserve angesichts der Furcht vor neuen Inflationssprüngen vorerst gezwungen sieht, an ihrer restriktiven Geldpolitik festzuhalten.

Das angespannte Liquiditäts- und Wirtschaftsumfeld droht den IPO-Markt noch besonders hart zu treffen. „Während sich Investoren an den öffentlichen Märkten wieder verstärkt nach weniger riskanten Anlagen umsehen, wird es für viele durch Venture Capital gestützte Unternehmen schwieriger, die notwendige Nachfrage zu generieren, um ihre hohen Bewertungen zu stützen“, mahnten die NVCA und Pitchbook zuletzt. Die Beratungsgesellschaften Moss Adams und Baker Tilly betonen, dass die starken Marktschwankungen es Firmen erschweren, ihr IPO angemessen zu bepreisen. Ein vernünftiges Erwartungsmanagement sei derzeit besonders wichtig, um vor dem Börsengang nicht zu großen Druck zu kreieren.

Fenster nur kurz offen

„Im heutigen volatilen Marktumfeld öffnen und schließen sich Fenster für Börsengänge schneller denn je“, betont Mike Bellin, IPO Services Leader bei PwC US. Nachdem im Zuge der handelspolitischen Unsicherheit zahlreiche Unternehmen ihre Debüts auf Eis gelegt hätten, sei die Pipeline nun zwar gut gefüllt. Doch entwickle sich das Investoreninteresse äußerst selektiv: Gefragt seien Unternehmen, die vom Boom um künstliche Intelligenz (KI) profitierten, dabei aber starke Fundamentaldaten, einen klaren Pfad in Richtung Profitabilität und skalierungsfähige Plattformen vorweisen könnten.

Dass ein KI-bezogenes Geschäftsmodell keinen Erfolg garantiert, erlebte im Frühjahr das Cloud-Computing-Startup Coreweave. Dieses musste den Ausgabepreis beim IPO an der Nasdaq Ende März deutlich herunterschrauben und die Zahl der angebotenen Anteilsscheine reduzieren. Hatte das Unternehmen beim Börsengang zunächst 4 Mrd. Dollar einsammeln wollen, schrumpfte das Ziel schnell auf 2,7 Mrd. Dollar zusammen – letztlich wurden es lediglich 1,5 Mrd. Dollar. Für die Wall Street wurde der Deal damit zum öffentlichkeitswirksamen Fehlschlag: Die Underwriting-Erlöse der beteiligten Banken um Morgan Stanley, Goldman Sachs und J.P. Morgan beliefen sich auf lediglich 2,8% der aufgenommenen Mittel – also auf 42 Mill. Dollar, einem für Tech-IPOs enorm niedrigen Wert.

Überhitzung bei KI-Trend

Trotz der enttäuschenden Entwicklung generierte der Coreweave-Deal im ersten Quartal rund 40% der Exit-Erlöse von Venture-Capital-Firmen in den USA. Seither hat das Cloud-Computing-Startup bei der ersten Zahlenvorlage als börsennotiertes Unternehmen ein deutlich stärkeres Erlöswachstum vermeldet als erwartet und der Aktie damit Schub verliehen. Doch Bank of America sieht bereits eine Überhitzung und hat den Titel deshalb jüngst auf „Halten“ heruntergestuft.

Unterdessen kommen wiederholt Zweifel daran auf, dass Cloud-Riesen um Alphabet und Microsoft das hohe Tempo ihrer Investitionen in große Sprachmodelle und Rechenzentren langfristig aufrechterhalten und den Börsenboom um KI stützen können. Stellen sie ihre Kapitalaufwendungen infrage, würde dies viele IPO-willige Startups hart treffen, wie Gründer im Rahmen der Databricks-Konferenz in San Francisco einräumen. Die Musik beim Debütantenball an der Wall Street droht dann schneller zu verstummen, als es viele Dealmaker in den New Yorker Bankentürmen derzeit erwarten.

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