Selige Ignoranz an der Wall Street
Investmentbanken
Selige Ignoranz an der Wall Street
Von Alex Wehnert
Das Kapitalmarktgeschäft der US-Banken brummt wieder. Die Basis des Aufschwungs ist allerdings alles andere als solide.
Der Aufschwung der führenden US-Geldhäuser im Investment Banking ist ein Auswuchs eines völlig unreflektierten Verhaltens der Teilnehmer an den Finanzmärkten. So haben Banken um J.P. Morgan, Citigroup und Goldman Sachs deutliche Erlössteigerungen aus dem Kapitalmarktgeschäft vermeldet und damit der Erwartung getrotzt, dass sich die Underperformance ihrer Dealmaker aus den vergangenen Quartalen fortsetzen würde. Die Institute haben es dabei geschafft, sich den Pelz zu waschen und doch nicht nass zu werden: Ihre Trader profitieren von einer erhöhten Volatilität an den Aktien- und Anleihemärkten – und ihre Investmentbanker davon, dass globale Investoren trotz zwischenzeitlicher Marktschwankungen nicht von ihrer irrational bullishen Stimmung abzubringen sind.
Märkte für IPOs und M&A öffnen sich
Trotz der wirtschaftlichen Unsicherheit infolge des globalen Handelskriegs und des Verlusts an Vertrauen in die fiskalische Stabilität der USA haben sich sowohl der IPO- als auch der M&A-Markt geöffnet. Mit dem Stablecoin-Anbieter Circle, dem Raumfahrtunternehmen Voyager Technologies und dem Mobile-Banking-Dienstleister Chime haben seit Anfang Juni mehrere Adressen starke Debüts auf dem New Yorker Parkett hingelegt, deren Börsengänge Investoren heiß erwartet hatten. Weitere aussichtsreiche Kandidaten stehen bereits in den Startlöchern.
Derweil ist die Zahl der Fusionen und Übernahmen laut dem Datendienst Dealogic im ersten Halbjahr zwar um 12% gesunken, der Gegenwert der Transaktionen gegenüber den ersten sechs Monaten 2024 allerdings um 27% gestiegen. John Waldron, Präsident und Chief Operating Officer von Goldman Sachs, rechnet damit, dass der Aufschwung gerade bei großen Deals weitergeht, streben Unternehmen angesichts des kapitalintensiven Booms um künstliche Intelligenz (KI) doch nach neuen Skalierungsmöglichkeiten, die über ihr organisches Potenzial hinausgingen.
Auch Turbulenzen um Fed schocken kaum noch
Auch dass die Unabhängigkeit der Geldpolitik wohl in größerer Gefahr schwebt denn je, vermag die Marktteilnehmer kaum zu schocken. Nachdem zur Wochenmitte Berichte kursierten, gemäß denen Trump mit hochrangigen Republikanern konkrete Schritte zu einem Rauswurf von Fed-Chef Jerome Powell diskutiert hat, schüttelten die Aktienmärkte die Verunsicherung schnell ab. Zwar teilte der Präsident mit, er plane derzeit keine Demission des Notenbankvorsitzenden, doch liegt der Gedanke nicht fern, dass der Rummel vom Mittwoch als Generalprobe für eine Entlassung Powells diente. Die gelassene Reaktion der Finanzmärkte auf den erratischen Kurs Trumps dürfte den Mehrfach-Pleitier im Weißen Haus noch zu weit folgenschwereren Wahnsinnsaktionen ermutigen.
Dass sich die Finanzmarkt-Öffentlichkeit gegenüber diesem bunten Mix an Risiken in seliger Ignoranz suhlt, ist keine stabile Grundlage für einen nachhaltigen Aufschwung im Investment Banking. Denn früher oder später muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass viele KI-Projekte, die zum Treiber der anziehenden Finanzierungsaktivität geworden sind, vor allem Staffage sind, da kein Unternehmen in einer Ära vermeintlich rapiden technologischen Fortschritts alt aussehen will. Und irgendwann werden die Marktteilnehmer auch in vollem Ausmaß begreifen, wie wichtig freier Handel und eine unabhängige Geldpolitik für ein funktionsfähiges Finanzsystem sind.
Geldhäuser werden übermütig
Die Gefahr ist allerdings groß, dass diese Aha-Momente erst einsetzen, wenn es zu spät ist. Derweil droht der Aufschwung im Kapitalmarktgeschäft, gepaart mit einer Deregulierung des Finanzsektors unter Trump, die großen Wall-Street-Häuser zunehmend übermütig werden zu lassen. So weiten die führenden US-Banken ihre Aktivitäten in intransparenten Marktsegmenten wie Private Credit aus, während der Markt für Asset-Backed Securities und Collateralized Loan Obligations 17 Jahre nach der Finanzkrise wieder boomt. Angesichts lockerer Bausteine in den Immobilien- und Verbraucherkreditportfolios der Finanzinstitute dürften die Marktteilnehmer noch rüde aus ihrer seligen Ignoranz gerissen werden.