Arbeitszeiten

Wann kommt die Vier-Tage-Woche?

Corona hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Einige Länder testen bereits die Vier-Tage-Woche. Nur in Deutschland will niemand so richtig auf den Zug aufspringen. Dabei hätte das Vorteile – nicht nur für die Arbeitnehmer.

Wann kommt die Vier-Tage-Woche?

und Anna Steiner, Frankfurt
Von Thilo Schäfer, Madrid

Die Coronakrise hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Das Modell einer verkürzten Arbeitszeit bei gleicher Bezahlung gewinnt an Zu­spruch. Belgien preschte im März vor, Spanien und Portugal folgen nun. Nur in Deutschland findet sich noch keine politische Mehrheit. Dabei würden die Vorteile überwiegen – nicht nur für die Arbeitnehmer.

Mehr Zufriedenheit, weniger Pendler, gesündere Arbeitnehmer und höhere Produktivität: Experimente etwa in Island belegen, dass die Verkürzung der Arbeitszeit auch Arbeitgebern nutzen könnte. In Belgien können Arbeitnehmer ihre Wochenarbeitszeit nun auf weniger Tage verteilen. „Eine Vier-Tage-Woche muss auch weniger Arbeitsstunden bedeuten“, heißt es dazu von der IG Metall. Sie machte das Arbeitszeitmodell hierzulande während der Tarifrunde 2020 bekannt – und den Weg frei für eine 35-Stunden-Woche in einigen Branchen. „Um Entlassungen zu verhindern, können statt Stellen Arbeitsstunden mit Teilentgeltausgleich gestrichen werden“, sagt ein Sprecher. Ein „Transformationsgeld“ macht das möglich.

Die deutschen Beschäftigten sind mehrheitlich für eine Verkürzung der Arbeitswoche (siehe Grafik). Bernd Rützel, Vorsitzender im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales, erklärt: „Der Wert von Freizeit spielt heute eine größere Rolle. Die vielbeschriebene Work-Life-Balance hat an Bedeutung gewonnen, Arbeit ist nicht mehr das Allerwichtigste im Leben.“ Selbst das belgische Modell findet über 70% Zustimmung.

In Deutschland stieße ein solches Modell allerdings an die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes. Denn die tägliche Arbeitszeit ist auf zehn Stunden beschränkt – Überstunden bei einer Vier-Tage-Woche wären dann nicht mehr möglich. Jens Beeck, FDP-Obmann im Arbeitsausschuss, beteuert: „Wir setzen uns schon lange für eine wöchentliche anstelle einer täglichen Höchstarbeitszeit ein.“ Diese Flexibilisierung würde die Verkürzung der Arbeitswoche gesetzmäßig machen. Allerdings warnt Beeck: „Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich würde zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels, steigenden Lohnkosten und damit auch zu zusätzlichem Inflationsdruck führen.“

Vorbild Spanien

Entgegen manchen Klischees wird auf der Iberischen Halbinsel länger gearbeitet als anderswo in Europa. Spanien und Portugal weisen überdurchschnittliche Wochenarbeitszeiten aus. In vielen Unternehmen herrscht eine Anwesenheitskultur, die Wert darauf legt, dass die Mitarbeiter lange an ihrem Arbeitsplatz verweilen, auch wenn das oft nicht besonders produktiv ist. Durch die Corona-Pandemie hat auch hier ein Umdenken stattgefunden.

In Portugal hat sich die sozialistische Regierung vor kurzem dazu verpflichtet, die Vier-Tage-Woche zu testen. Demnach sollen für ein Pilotprojekt 100 Firmen aus verschiedenen Branchen ausgewählt werden und drei Jahre lang für die Einführung der Vier-Tage-Woche unterstützt werden. Der Versuch soll „die Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung ohne Gehaltsverlust auf die Beschäftigten, deren Familien, die Fehlzeiten, die Produktivität der Unternehmen, die Kosten der Maßnahme sowie auf den Ausstoß von Treibhausgasen und anderen Um­weltaspekten messen“, heißt es.

Im benachbarten Spanien ist man bereits einen Schritt weiter. Hier hat sich die Linksregierung ebenfalls zu einem Test überreden lassen, der mit 10 Mill. Euro finanziert wird. So sollen 150 bis 200 Firmen mit 2000 bis 3000 Euro pro Mitarbeiter unterstützt werden, wenn sie für zwei bis drei Jahre die Arbeitszeit verkürzen. In der Region Valencia hat man bereits ein Projekt auf den Weg gebracht, bei dem es im ersten Jahr 9000 Euro an Zuschüssen für die Vier-Tage-Woche gibt. „Wir arbeiten hier 100 Stunden mehr im Jahr als der europäische Durchschnitt und sind trotzdem weniger produktiv. Irgendetwas stimmt da nicht“, erklärte Enric Nomdedéu, Generaldirektor im Arbeitsministerium.

Einige Firmen haben bereits mit der verkürzten Arbeitswoche experimentiert. Der spanische Telekomkonzern Telefónica führte die Möglichkeit der Vier-Tage-Woche mit einer Lohnkürzung von 16% für eine Reduzierung von 20% der Arbeitsstunden ein. Andere bieten ihren Mitarbeitern einen freien Freitag im Monat, ohne Einnahmeverlust. Auch in Spanien schauen vor allem jüngere Menschen verstärkt auf die Work-Life-Balance.

Im Unternehmerlager bleibt – wie in Deutschland – die Skepsis. Die Vier-Tage-Woche sei „eine Debatte, um Wahlen zu gewinnen“, kritisierte Antonio Garamendi, der Vorsitzende des Dachverbandes der Arbeitgeber CEOE. Die spanische Wirtschaft sei in der gegenwärtigen Erholungsphase nicht bereit für derlei Experimente. 98% aller Firmen seien Kleinunternehmen mit maximal fünf Mitarbeitern, für die eine Reduzierung der Arbeitszeit kaum zu stemmen sei. Dennoch zeigte sich Garamendi offen dafür, über die Vier-Tage-Woche in bestimmten Branchen im Rahmen der Tarifverhandlungen zumindest zu diskutieren.

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