Geldpolitik

Zeit für Taten

Die US-Notenbank Fed muss jetzt dringend handeln, damit sich die hohe Inflation nicht weiter verfestigt. Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte das als Warnung sehen – und Lehren ziehen.

Zeit für Taten

Was für einen Unterschied doch gerade einmal drei Monate machen können: Noch Anfang November wagte die US-Notenbank Fed nur zögerlich den Einstieg in den Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik aus Zeiten der akuten Coronakrise. Nun aber hat sie eine bemerkenswerte Kehrtwende vollzogen und steht vor einer womöglich beispiellosen Straffung ihrer Geldpolitik. Vielen Investoren an den Finanzmärkten mag das nicht schmecken – aber der Kurs ist alternativlos. Und die Europäische Zentralbank (EZB) sollte das, was da gerade jenseits des Atlantiks passiert, als Warnsignal verstehen – und als Weckruf.

Die Zahlen in den USA sprechen eine klare Sprache: Aktuell rund 5% Wachstum, eine Arbeitslosenquote von un­ter 4%, vor allem aber 7% Inflation, ein 40-Jahres-Hoch – die derzeitige Geldpolitik der Fed mit Nullzinsen und im­­mer noch umfangreichen An­leihekäufen passt da überhaupt nicht mehr in die Zeit. Die Fed muss dringend handeln, um zu verhindern, dass sich die Inflation verfestigt. Viel zu lang hat sie die rasant anziehende Teuerung verharmlost und tatenlos zugeschaut. Tatsächlich schiene es angemessen, bereits bei der heute Abend zu Ende gehenden Sitzung die Nettokäufe zu stoppen und den Leitzins anzuheben. Das aber wäre wohl der Überraschung zu viel. Aber spätestens im März sollte es so weit sein. Die Fed muss den jüngsten Worten Taten folgen lassen.

Die Märkte preisen inzwischen vier Zinsanhebungen um je 25 Basispunkte für dieses Jahr ein. Am Ende mag es vielleicht eine weniger sein; vielleicht sind aber auch ein oder zwei Zinsschritte mehr nötig. In jedem Fall bliebe der Realzins, also abzüglich Inflation, selbst dann auf absehbare Zeit extrem niedrig und deutlich im negativen Bereich. Die recht robuste US-Konjunktur sollte das also allemal verkraften können. Spannender wird es, wenn die Fed in Kürze auch beginnen sollte, ihre auf fast 9 Bill. Dollar angewachsene Bilanz abzubauen. Eine solche Gleichzeitigkeit aus raschen Zinserhöhungen und Bilanzabbau wäre in der Tat beispiellos und verlangte Fingerspitzengefühl. Aber auch dieser Schritt ist unvermeidlich. Eine derart aufgeblähte Zentralbankbilanz kann nicht die neue Normalität sein.

Die Fed und andere Zentralbanken müssen im aktuellen Zyklus womöglich sogar stärker aufs geldpolitische Bremspedal treten als in früheren Zyklen. Grund ist die verflachte Phillips-Kurve, die vereinfacht gesagt den Zusammenhang zwischen Inflation und der konjunkturellen Lage der Realwirtschaft be­schreibt. In der Krise war die flache Phillips-Kurve der Zentralbanken bester Freund, weil sie letztlich mehr Gas geben konnten, um die Wirtschaft zu stimulieren. Nun müssen sie die Konjunktur aber womöglich im Umkehrschluss stärker bremsen, um die Inflation zu drücken. Es ist jedenfalls eine Illusion zu glauben, die hohe Inflation ginge ganz von allein wieder zurück. Es kommt ganz entscheidend darauf an, dass die Geldpolitik richtig reagiert.

An den Finanzmärkten sorgt all das natürlich für keine Begeisterungsstürme. Und natürlich müssen die Zentralbanken das Geschehen an den Märkten im Blick be­halten. Aber das eigentliche Problem sind weniger die jüngsten Korrekturen an den Märkten als vielmehr die zuvor teils hohen und mitunter irrationalen Bewertungen, etwa bei einigen hoch verschuldeten Tech-Konzernen oder manchem gehypten Kryptoasset. Solange es jetzt nicht zu wahren Turbulenzen an den Finanzmärkten kommt, sollten Fed & Co. nicht vom eingeschlagenen Kurs abrücken und versuchen, die Geldpolitik schrittweise zu normalisieren.

Im Vergleich zur Fed befindet sich die EZB in einer etwas komfortableren Situation. Die Inflation in Euroland liegt nicht ganz so hoch, und sie ist weniger durch eine heiß laufende ge­samtwirtschaftliche Nachfrage ge­trieben. Aber eine Rekordinflation von 5% ist wahrlich kein Grund, sich zurückzulehnen, und auch im Euroraum legt der Preisauftrieb be­denklich in der Breite zu. Es ist richtig, dass die Geldpolitik ge­gen Angebotsengpässe wenig tun kann. Aber genauso richtig ist, dass kein An­lass be­steht, die Nachfrage noch über Gebühr künstlich zu stimulieren. Die EZB sollte eine Zinserhöhung in diesem Jahr nicht mehr ausschließen – was auch heißt, sich für ein früheres Ende der Anleihekäufe zu wappnen. Statt die Augen vor der Realität zu verschließen und dann eine ab­rupte Wende à la Fed hinlegen zu müssen, sollte die EZB rechtzeitig die Weichen auf Exit stellen. In jedem Fall will EZB-Chefin Christine Lagarde doch sicher nicht als europäische Version von Arthur Burns in die Geschichte eingehen wollen – also von jenem Fed-Chef, der in den 1970er Jahren die Große Inflation verursachte.

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