Neues Milliardenloch im britischen Haushalt
Neues Milliardenloch im britischen Haushalt
Premier Keir Starmer kann Kürzungen im Sozialbereich im Unterhaus nicht durchsetzen
hip London
Die britische Schatzkanzlerin Rachel Reeves weinte im Unterhaus, als Premierminister Keir Starmer keine Garantie dafür abgeben wollte, dass sie im Amt bleibt. Oppositionsführerin Kemi Badenoch hatte ihm während der regelmäßigen Fragestunde im Parlament vorgeworfen, Reeves als „menschlichen Schutzschild“ für seine Inkompetenz zu missbrauchen. Zuvor war die Regierung mit ihrem Vorhaben gescheitert, 5 Mrd. Pfund durch Kürzungen im Sozialbereich einzusparen. Damit droht ein neues Milliardenloch im Staatshaushalt.
Es ging dabei vor allem um einen Zuschuss zur Sozialhilfe für Arbeitsunfähige namens Personal Independence Payment (PIP). Die Fronten waren klar. Die eine Seite warf der Regierung vor, gegen die Schwächsten in der Gesellschaft vorzugehen: Menschen, die zu krank seien, um zu arbeiten. Die andere Seite verwies darauf, dass die Zahl der PIP-Empfänger seit der Pandemie dramatisch zugenommen hat.
Komplexes Problem
Zu den Gründen dafür gehören Tiktok-Videos, die erklären, wie man ziemlich sicher in den Genuss des attraktiven Zuschusses kommt. Wer psychische Erkrankungen vortäuscht, hat gute Chancen auf Erfolg. Der Umstand, dass im öffentlichen Dienst immer noch sehr viel aus dem Home Office gearbeitet wird, erschwert eine Lösung des Problems.
Denn telefonisch lässt sich beim besten Willen nicht klären, ob ein berechtigter Anspruch vorliegt. Zudem kann Menschen fernmündlich nicht die nötige individuelle Unterstützung vermittelt werden, die sie bräuchten, um ins Arbeitsleben zurückzufinden.
Immer weiter verwässert
Offenbar war man sich in 10 Downing Street nicht darüber im Klaren, wie stark die innerparteiliche Opposition gegen jegliche Kürzung von Sozialleistungen ist. Milliardenloch im Haushalt hin oder her, das diesbezügliche Gesetz wurde bis kurz vor der Abstimmung immer weiter verwässert. Denn es zeichnete sich ab, dass sich im House of Commons keine Mehrheit dafür finden könnte.
Am Ende stimmten immer noch 49 Abgeordnete der Regierungspartei dagegen. Es wurde mit einer Mehrheit von 335 zu 260 Stimmen in zweiter Lesung beschlossen.
Ausgabenkontrolle schwindet
„Obwohl man wiederholt Argumente für die moralische und wirtschaftliche Notwendigkeit der Reform vorgebracht hat, wurde sie willkürlich fallengelassen,“ sagte Neil Mehta, Portfoliomanager bei RBC Bluebay Asset Management. Das parlamentarische Chaos zeuge davon, dass die Kontrolle der Regierung über die öffentlichen Ausgaben schwinde. Reeves fehlen im Herbst weitere 5 Mrd. Pfund im Haushalt, nachdem die Kehrtwende beim Heizkostenzuschuss für Rentner bereits ein Milliardenloch riss.
Helen Miller, die Paul Johnson diesen Monat an der Spitze des Institute for Fiscal Studies ablösen wird, hält Steuererhöhungen deshalb für „zunehmend wahrscheinlich“. Die Ausgaben für soziale Sicherheit dürften höher ausfallen als im März erwartet.
Höhere Anleiherenditen
Ihrer Sprecherin zufolge weinte die Schatzkanzlerin aus persönlichen Gründen. Gleichwohl steht sie politisch vor einem Scherbenhaufen. Sie hat nicht nur ein weiteres Milliardenloch zu stopfen. Ihr drohen zudem höhere Ausgaben für den Schuldendienst. Denn die Anleiherenditen liegen mittlerweile über den Schätzungen der unabhängigen Haushalthüter vom Frühjahr.