LeitartikelUS-Fiskalpolitik

Gefährliche Verrenkungen der Ratingagenturen

S&P will glauben machen, dass Einnahmen aus Strafzöllen die Belastungen durch Washingtons expansive Fiskalpolitik auffangen können. Belastbar ist die These nicht.

Gefährliche Verrenkungen der Ratingagenturen

US-Fiskalpolitik

Die Verrenkungen der Ratingagenturen

Von Alex Wehnert

S&P will glauben machen, dass Einnahmen aus Strafzöllen die Belastungen durch Washingtons expansive Fiskalpolitik auffangen können. Belastbar ist die These nicht.

Der verantwortungslose und kurzsichtige Umgang führender Ratingagenturen mit ihrer Kernaufgabe sollte Investoren schwer zu denken geben. In der laufenden Woche hat S&P Global den nächsten erstaunlichen Aufschlag zur fiskalischen Stabilität Washingtons abgesondert: Das New Yorker Haus hat an seinem „AA+/A-1+“-Rating für die Vereinigten Staaten festgehalten und weist ihm damit nach wie vor eine starke Bonitätsnote knapp unterhalb des Spitzenratings „AAA“ zu, das sie den USA bereits 2011 entzogen hatte. Doch die Begründungen, zu denen die Analysten greifen, nehmen sich als äußerst steile Thesen aus – die entweder von besonderer Verwegenheit, Unterwürfigkeit gegenüber dem Emittenten oder geradezu fahrlässiger Ignoranz ökonomischer Entwicklungen zeugen.

Zolleinnahmen als Tropfen auf den heißen Stein

Denn S&P will glauben machen, dass Staatseinnahmen aus den von Präsident Donald Trump verhängten Strafzöllen die Mehrbelastungen durch seine expansive Fiskalpolitik auffangen werden. Schon eine vereinfachte Rechnung zeigt, dass dies nicht aufgeht: Zwischen Mai und Juli spielten die USA über Zölle 76,8 Mrd. Dollar ein. Setzt sich dieses Tempo fort, würde Washington binnen zwölf Monaten rund 307 Mrd. Dollar generieren. Im Fiskaljahr 2024 beliefen sich die Einnahmen aus Zöllen auf 77 Mrd. Dollar, der Zugewinn summiert sich also auf 230 Mrd. Dollar. Gegenüber der Belastung durch die explodierende Staatsverschuldung bedeutet dies einen Tropfen auf den heißen Stein. Die Peter G. Peterson Foundation beziffert allein den Zinsdienst der USA in den ersten zehn Monaten des Ende September abzuschließenden Fiskaljahres 2025 auf 841 Mrd. Dollar.

Trumps Mega-Steuerpaket, die im Juli unterzeichnete „Big Beautiful Bill“, verschärft die Probleme noch: Das unabhängige Congressional Budget Office (CBO) rechnet damit, dass sich das Defizit infolge erhöhter Staatsausgaben unter anderem für Militär und Grenzschutz und einer Verlängerung von Steuersenkungen aus der ersten Amtszeit des Republikaners über das kommende Jahrzehnt um zusätzliche 3,4 Bill. Dollar ausweiten wird. Im laufenden Fiskaljahr werde sich das Haushaltsloch auf 6,2% des Bruttoinlandsprodukts belaufen. Dass es über die kommende Dekade nachhaltig unter die Marke von 6% fallen wird, sehen die CBO-Prognosen nicht vor.

Verwerfungen am Bondmarkt

Damit die gewaltigen Haushaltslöcher nicht zum Problem werden, müssten die Sterne schon genau richtig stehen: Die benötigte Kombination aus massivem Wirtschaftswachstum und niedrigem Realzins erscheint in einer Welt, in der die aggressive Handelspolitik Washingtons internationale Beziehungen zerrüttet und die Planbarkeit und Investitionssicherheit für Unternehmen aushöhlt, völlig außer Reichweite. Der Bondmarkt reflektiert das trotz einer gewissen Entspannung gegenüber den schärfsten Turbulenzen aus dem Frühjahr durchaus. Die Renditen lang laufender Treasuries befinden sich noch immer auf Niveaus, wie sie während der Finanzkrise 2008 üblich waren.

Die Zinslast der USA, die quartalsweise bereits rund 35% der Steuereinnahmen auffrisst, dürfte sich damit noch schwer ausweiten. Natürlich ist ein Default der Vereinigten Staaten noch immer kein realistisches Szenario, doch die globalen Auswirkungen durch die massive Verschlechterung der US-Kreditqualität stellen ein trotz aller Warnsignale unterschätztes Problem dar.

Unabhängigkeit der Geldpolitik bedroht

Wie eine unabhängige Federal Reserve mit einer bedeutend gelockerten Geldpolitik den Anleihemarkt beruhigen soll, erschließt sich derzeit nicht. Schließlich werden Unternehmen den Großteil der Kostenanstiege durch die Zölle erst noch an Verbraucher weiterreichen. Bei S&P ist zwar von einer „glaubwürdigen, effektiven Geldpolitik“ die Rede – doch genau diese Eigenschaften der Fed stehen durch Angriffe Trumps in Zweifel. Ein Einknicken der Währungshüter vor dem Weißen Haus würde den angekratzten Glauben an die Stabilität des Dollar noch erodieren lassen. Gerade der Führungsstatus des Greenback ist aber entscheidend für die fiskalische Robustheit der USA. Bei S&P heißt es recht lapidar, die Ratings „könnten unter Druck geraten, wenn politische Entwicklungen auf der Stärke amerikanischer Institutionen lasten sollten“ – für eine so unmittelbare Gefahr ist das reichlich viel Konjunktiv, zumal noch mit der Anmerkung versehen, dass mögliche Downgrades über zwei bis drei Jahre erfolgen könnten.

Die US-Ratingagenturen haben bereits in vergangenen Krisen, allen voran dem Kollaps des Subprime-Hypothekenmarkts ab 2007, aufgrund von Interessenkonflikten versagt. Offenbar haben sie aus ihren vergangenen, peinlichen Fehlschlägen aber nicht das Geringste gelernt. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass S&P und Konsorten massive Verrenkungen anstellen, um eine Sanktionierung kritischer Analysen durch die zunehmend autokratische Regierung in Washington abzuwenden. Das ist in Zeiten, in denen der Wahrheitsgehalt offizieller US-Wirtschaftsdaten nicht mehr garantiert ist, besonders gefährlich. Doch verstohlene Hinweise auf mögliche Rating-Herabstufungen in den kommenden Jahren helfen niemandem, wenn der globale Benchmark-Emittent des Anleihemarktes schon jetzt in bedrohliche Schieflage gerät.