Hans Joachim Reinke, Union Investment

„Die Chancen sind trotzdem größer als die Risiken“

Trotz Krieg, Inflation und der Rückschläge an den Börsen bleibt die Nachfrage der privaten Anleger nach Fonds lebhaft, berichtet die Fondsgesellschaft Union Investment. Im Interview der Börsen-Zeitung spricht Vorstandschef Hans Joachim Reinke über den Geschäftsverlauf im ersten Halbjahr.

„Die Chancen sind trotzdem größer als die Risiken“

Detlef Fechtner.

Herr Reinke, das Umfeld für die Investmentfondsbranche war in den vergangenen sechs Monaten nicht mehr so günstig wie in den Vorjahren. Wie ist das erste Halbjahr bei Union Investment ge­laufen?

Wir können über einen sehr robusten Absatz im ersten Halbjahr 2022 berichten – trotz Krieg, trotz hoher Inflation und anhaltender Pandemie. In der ersten Jahreshälfte belief sich der Nettozufluss auf 9,6 Mrd. Euro.

Das ist ein merklicher Rückgang gegenüber dem Vorjahr.

Ja, das ist weniger als im Rekordjahr 2021, da hatten wir im ersten Halbjahr 24,4 Mrd. Euro. Das ist für uns allerdings nicht der Maßstab. Denn der Nettozufluss in der ersten Hälfte 2022 ist signifikant höher als im ersten Jahr der Corona-Pandemie. Damals hatten wir 4,3 Mrd. Euro. Die Geschäftsentwicklung ist eine Bestätigung unserer Arbeit und zugleich Ausdruck der guten Zusammenarbeit mit den genossenschaftlichen Partnerbanken, für die ich mich herzlich bedanke.

Wie hat sich das verwaltete Vermögen verändert?

Die Assets under Management lagen per Ende Juni 2022 bei 416 Mrd. Euro. Sie betrugen zwölf Monate zuvor 427 Mrd. Euro. Das ist im Wesentlichen der Tatsache geschuldet, dass wir signifikante Bewegungen an den Aktien- und Rentenmärkten haben.

Wie lautet Ihr Ausblick für die nächsten Monate?

Ich glaube, dass die Perspektiven weiterhin gut und die Chancen weiter intakt sind. Die Risiken sind zweifelsohne gestiegen. Aber: Die Chancen sind trotzdem größer als die Risiken.

Was nimmt sich Union Investment für das Gesamtjahr vor?

Wir sind für das Gesamtjahr positiv gestimmt. Wir sagen: Wir werden das, was wir im ersten Halbjahr erreicht haben, vielleicht nicht verdoppeln, aber doch spürbar steigern. Natürlich vorausgesetzt, dass Russland nicht den Gashahn komplett zudreht.

Welche Rolle spielten für die Zu­flüsse im ersten Halbjahr die privaten Kunden?

Das Privatkundengeschäft war wieder die tragende Säule. Von den 9,6 Mrd. Euro Neugeschäft entfielen 8,1 Mrd. Euro auf private Anleger. Ein Jahr zuvor lag dieser Wert übrigens bei 9,7 Mrd. Euro, also nur leicht höher. Die Assets under Management im Privatkundengeschäft beliefen sich auf 193 Mrd. Euro, vor zwölf Monaten waren das 196 Mrd.Euro. Das spiegelt die schwache Kapitalmarktentwicklung wider.

Was wurde von den Privatanlegern vor allem nachgefragt?

Träger des Neugeschäfts waren vor allem Aktienfonds mit 4 Mrd. Euro, Mischfonds mit 3 Mrd.Euro und offene Immobilienfonds mit 1,4 Mrd. Euro. Nachhaltigkeitslösungen hatten innerhalb dieses Neugeschäfts übrigens einen Anteil von 59 %. Zur Erinnerung: 2018 waren das gerade einmal 9 %.

Sie sind also mit dem Absatz bei den Privatkunden zufrieden?

Auf der Privatkundenseite haben wir im ersten Halbjahr ein sehr gutes Geschäft erlebt.

Und im Geschäft mit Institutionellen?

Hier hatten wir Nettomittelzuflüsse von 1,5 Mrd. Euro, im ersten Halbjahr 2021 waren es 14,7 Mrd. Euro. Die Assets under Management beliefen sich auf 223 Mrd. Euro. Die lagen im Vorjahr bei 232 Mrd. Euro, auch hier macht sich wieder die Kapitalmarktentwicklung bemerkbar. Den größten Absatzanteil bildeten die Spezialfonds mit 4,1 Mrd. Euro. Aus institutionellen Publikumsfonds wurden 3,1 Mrd. Euro abgezogen.

1,5 Mrd. Euro Nettozuflüsse hört sich sehr überschaubar an. Wa­rum war der Absatz nicht höher?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Etwa das sehr volatile Marktumfeld. Das führt natürlich zu Verunsicherung und Zurückhaltung. Hinzu kommt, dass Versicherer oder Pensionsfonds ihre Risiko-Assets regulatorisch bedingt oder wegen anlagepolitischer Restriktionen reduzieren und dass Investoren, etwa Unternehmen, Liquidität aufbauen mussten.

Sind Sie mit dem ersten Halbjahr insgesamt zufrieden?

Ja, das erste Halbjahr war sehr robust und sehr zufriedenstellend – vor allem im Vergleich zum Wettbewerb.

Sind Sie überrascht, dass die Kurseinbußen an den Börsen die privaten Anleger nicht verschreckt haben?

Nein. Anders als 2008 erleben wir aktuell keine Vertrauenskrise. Trotz kurzfristiger Kurseinbußen an den Märkten wissen die Anleger, dass langfristig an der kapitalmarktbasierten Anlage kein Weg vorbeiführt. Weil die meisten Kunden noch immer zinslastig unterwegs sind, bedeutet dies, dass die Mischung mit Substanz- und Sachwerten weiterhin für sie ein Thema ist.

Hat die Zinswende etwas im An­legerverhalten verändert?

Nein, denn auch die Anleger begreifen, dass der Zins zwar nominell zurück ist, aber eben nicht real wegen der hohen Inflationsraten. Vor dem Hintergrund der starken Teuerung ist die Situation sogar noch dramatischer. Aus Sicht der Anleger – das habe ich gerade auf fünf Kundenveranstaltungen in den vergangenen Wochen gelernt – lautet daher die Perspektive: nachhaltig Wohlstand sichern.

Was ist daran neu?

Nun, bis vor vier Jahren war vielen Anlegern gar nicht klar, dass man mit nachhaltigen Anlagen Geld verdienen kann. Und was den Wohlstand angeht: Wir können den Anlegern nicht versprechen, dass der Wohlstand Jahr für Jahr weiter steigt. Aber wir können mit fundiertem, aktivem Management einen Beitrag dazu leisten, trotz einer Teuerungsrate von zuletzt 7,5 % den Wohlstand zu verteidigen.

Ist so eine Ansage für den Anleger überzeugend?

Wir haben in der Vergangenheit gezeigt, dass der Anleger uns vertrauen kann. Bei Aktienfonds beispielsweise haben wir in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt ein Plus von 7 % jährlich geschafft. Und wenn man sich die vergangenen zehn Jahre anschaut, dann waren es sogar 9,3 %.

Aber jetzt drohen eine Gasversorgungskrise und eine Rezession?

Wir gehen in Sachen russische Gaslieferungen davon aus, dass wir ein Stop-and-go erleben werden, denn Gas ist das einzige Faustpfand, das Russland hat. Zugleich sagen wir: Deutschland wird selbst im besten Falle um eine leichte Rezession nicht herumkommen. Wir gehen davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte etwas schrumpfen wird. Und wir rechnen 2023 bestenfalls mit einer Stagnation.

Was halten Sie für das Hauptrisiko?

Je geringer und volatiler die Gaslieferungen, desto größer die Risiken für dieses Konjunkturszenario. Natürlich war die Drosselung der Gasmenge, die wir alle bei Nord Stream 1 gesehen haben, keine gute Nachricht, aber die war eigentlich schon einkalkuliert – ebenso wie der Rückgang auf 20 %. Das Risiko ist, dass sich die Versorgungslage noch deutlich verschärft.

Ist Ihnen bange um Deutschlands und Europas Wirtschaft?

Nein, mir ist nicht bange. Auch wenn Geld- und Fiskalpolitik nicht mehr so frei agieren können, um die Wirtschaft zu unterstützen, wie dies noch vor kurzem der Fall war. Die Fiskalpolitik muss beispielsweise aufpassen mit ihrer Unterstützung der Wirtschaft. Zudem gibt es mit Italien in Europa ja noch einen Wackelkandidaten. Aber die EZB hat gezeigt, dass sie beherzt agieren kann. Und zudem ist der Fokus auf eine strategisch ausgerichtete und konzertierte Fiskalpolitik da. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir die Dinge noch im Griff haben.

Sie haben voriges Jahr prognostiziert, dass Union Investment binnen fünf bis sieben Jahren das private Fondsvolumen verdoppeln könnte. Ist dieser Ausblick angesichts der volkswirtschaftlichen Risiken hinfällig?

Nein. Ich bekräftige meinen zuversichtlichen Ausblick für die Wertpapieranlage. Allerdings muss ich ihn aktualisieren. Ich sehe, dass die Sparfähigkeit bedingt durch die Inflation jetzt abnimmt. Aber: Die genossenschaftlichen Institute haben 18 Millionen Kunden, davon mehr als 5 Millionen Fondssparer. Wir werden es zwar nicht schaffen, dass es 18 Millionen Fondssparer werden. Aber die Potenziale sind immer noch sehr, sehr groß.

Sie bleiben bei Ihrer Ansage, das private Fondsvolumen verdoppeln zu können?

Wir weichen nicht davon ab. Es gibt genug Potenziale, so dass eine Verdopplung des von Privatanlegern gehaltenen Fondsvolumens möglich ist. Wir können uns da über den Zeitraum streiten, aber das Potenzial ist auf jeden Fall da.

Wie läuft das Geschäft mit den Sparplänen?

Innerhalb des Neugeschäfts stellen die Sparpläne eine wichtige Größe dar, auch wenn die Wachstumsdynamik marktbedingt ein wenig abgenommen hat. Wir haben 3,8 Millionen klassische Fondssparpläne per Ende Juni 2022, das waren im Vorjahr noch 3,5 Millionen. Und nimmt man noch die Riester-Produkte hinzu, sind wir mittlerweile bei 6,4 Millionen.

Können Sie mit Sparplänen auch die überzeugtesten Sparer für die Wertpapieranlage gewinnen?

Nein. Denn nicht alle haben eine Affinität für Wertpapiere. Wir gehen davon aus, dass 40 % der Sparer sich niemals mit dem Thema Wertpapieranlage beschäftigen – egal, was passiert, ob Niedrig- oder Negativzinsen oder Inflation. Aber bei den anderen 60 %, da haben wir noch eine Menge Luft nach oben. Vor allem, wenn wir es im Gespräch mit der Politik schaffen, den Einstieg zu vereinfachen.

Die Ampelregierung in Berlin redet über eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild. Unterstützen Sie das?

Wir begrüßen das Konzept der Aktienrente, denn wir halten es für gut, die Aktienanlage in der gesetzlichen Rente aufzunehmen. Aber die 10 Mrd. Euro, die dafür im Gespräch sind, reichen nicht. Es sollten eher 100 Mrd. Euro sein. Zudem würde eine Aktienrente viel zu spät wirken.

Warum?

Weil sie erst in 15 bis 20 Jahren Wirkung entfalten würde. Für die rentennahen, geburtenstarken Jahrgänge käme das zu spät. Deshalb ist die Aktienrente für die nächste Generation gut und richtig. Aber sie löst das Problem nicht. Deshalb müssen wir uns mit der dritten Säule auseinandersetzen, und das ist die Frage nach der Riester-Rente.

Haben Sie die Hoffnung auf eine Reform der Riester-Rente mittlerweile nicht schon aufgegeben?

Nein, haben wir nicht. Und wir sehen ja auch schon erste Zeichen bezüglich der Weiterentwicklung, etwa, was die Zulagenüberprüfung angeht. Daneben haben wir strukturelle Forderungen. Macht die Förderung einfacher und transparenter! Erweitert den förderberechtigten Personenkreis! Lockert die Beitragsgarantie! Und es ist gut, dass wir darüber mit der Politik im Gespräch geblieben sind und bleiben.

Hätten die Kunden denn Verständnis, wenn nur 70 oder 80 % der Beiträge garantiert wären?

Natürlich wünschen sich alle Kunden am liebsten 100 %. Aber wir sprechen ja mit vielen Kunden und sagen: 100 % Beitragsgarantie in diesem Zinsumfeld ist sehr schwierig. Deshalb haben die Kunden großes Verständnis für die Überlegung, dass es eine Beitragsgarantie auf niedrigerem Niveau geben könnte.

Lassen Sie uns über Nachhaltigkeit reden. Sie haben gesagt, dass Sie Unternehmen auf ihrer Transformation von Braun nach Grün begleiten und nicht nur in dunkelgrüne Unternehmen investieren wollen.

Wenn wir nur in die heute schon grünen Unternehmen investieren würden, stünden uns nur 5 % des MSCI zur Verfügung. Wir werden nur dann als Wirtschaft Erfolg haben, wenn wir die ganzheitliche Transformation schaffen. Und das schaffen wir nur, wenn wir braune Unternehmen zu grünen Unternehmen transformieren.

Wie wollen Sie das überprüfen?

Wir haben genau dafür ein eigenes Transformationsrating entwickelt. Es prüft drei Kernfragen. Erstens: Kann das Unternehmen einen konkreten Plan mit Zahlen, Daten und Fakten für seine Transformation vorweisen? Zweitens: Stehen die nötigen Mittel zur Verfügung? Denn ohne die erforderlichen finanziellen Mittel nützen die schönsten Pläne nichts. Und drittens: Werden die richtigen Anreize gesetzt?

Anreize etwa bei der Vergütung des Managements?

Ja, zum Beispiel im Rahmen der Vorstandsvergütung. Ich lehne mich jetzt aus dem Fenster: Das wird nicht nur das Thema Vorstandsvergütung, sondern zukünftig auch ein Thema der zweiten Führungsebene sein.

Wie wirken Sie auf Unternehmen ein, damit sie die Ankündigungen auch tatsächlich umsetzen?

Erstens durch Engagement, zweitens durch Stewardship. Die zentralen Stellschrauben sind Unternehmensdialoge und direktes Engagement mit den Unternehmen. Wir sprechen auf Hauptversammlungen, wir stellen Aktionärsanträge, machen von unserem Stimmrecht Gebrauch, nehmen öffentlich Stellung. Wir führen jährlich 4 000 Gespräche mit Unternehmen. Und 700 davon hatten zuletzt schon einen starken Nachhaltigkeitsbezug. Es ist wichtig, mit dem Unternehmen klare Pläne zu diskutieren, die in Ziele gegossen und die auch investiv unterlegt sind, aber dann auch laut zu werden, wenn wir mit der Umsetzung unzufrieden sind.

Ist es nicht sehr schwierig, Anlegern, die auf Nachhaltigkeit Wert legen, zu erklären, dass ein Fonds auch in heute noch braune Unternehmen investiert, die sich gerade erst transformieren?

Es ist nicht schwierig, das institutionellen Investoren klarzumachen. Denn wir besprechen mit ihnen schon seit vielen Jahren das Thema, das für sie ja einen hohen Stellenwert hat. 83 % unserer institutionellen Investoren berücksichtigen Nachhaltigkeitskriterien.

Und wie erklären Sie das den privaten Anlegern?

Wir erklären unseren privaten Anlegern – und vorher auch unseren Vertriebspartnern in den Volksbanken und Raiffeisenbanken –,­ dass wir uns der Herausforderung bewusst sind, die das Transformationsthema mit sich bringt. Deshalb haben wir ja auch einen klaren Prozess entwickelt mit dem Transformationsrating, also mit der Prüfung von Plänen, Mitteln und Anreizen. Und wir machen deutlich, dass wir ein großes Team mit 18 Analysten haben und dass wir unsere Anlageentscheidungen nicht nur auf die fundamentalen Kennziffern gründen, sondern eben auch – begleitet durch eine selbst entwickelte Datenbank – auf Nachhaltigkeit. Kurzum: Wir betreiben einen sehr großen Aufwand, und das verstehen die Anleger.

Wie hilfreich ist die Taxonomie?

Nicht in jeder Hinsicht. Die EU-Kommission hat sich zum Beispiel bei der Ausformulierung des E in der Taxonomie keinen Gefallen damit getan zu sagen: Kernkraft ist nachhaltig – und Gas auch. Notwendig – in der aktuellen Situation ja. Aber notwendig ist nicht gleich nachhaltig.

Wie werden Sie Ihre nachhaltige Produktpalette ausbauen?

Wir erweitern unsere Produktpalette nachfrageorientiert und bedarfsgerecht. Was wir nicht machen, ist, die gesamte Produktpalette zu doppeln und zu sagen: Wir haben das einmal nachhaltig und einmal nicht.

Es scheint einen Bedarf nach Art.- 9-Fonds zu geben. Könnte da noch etwas kommen?

Ja, könnte. Wir haben zuletzt bereits zwei Artikel-9-Fonds aufgelegt.

Warum ist Nachhaltigkeit für Union Investment von so großer Bedeutung?

Nachhaltigkeit ist für uns eine große Chance. Denn durch die Nachhaltigkeit können wir die Bedeutung des aktiven Managements unterstreichen. Alles, was ich beschrieben habe, das geht mit passivem Management nicht. Es wird Ihnen nichts helfen, wenn Sie Indizes abbilden, weil Sie dann alle Probleme der Welt gleich gewichten. Vielmehr müssen Sie sich diejenigen raussuchen, die sich glaubhaft auf den Weg der Transformation gemacht haben. Der größte Treiber für das aktive Management wird deshalb das Thema ESG sein.

Das Interview führte

BZ+
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