Bill Winters

„Die Zeiten haben sich geändert“

Die Märkte von Standard Chartered sind dem Klimawandel am stärksten ausgesetzt. CEO Bill Winters hat klare Vorstellungen, was der private Sektor dagegen tun kann, bis es eine politische Lösung gibt.

„Die Zeiten haben sich geändert“

Andreas Hippin.

Herr Winters, bisher gibt es keine Einigung darüber, wie man dem Klimawandel entgegenwirken kann. Es scheint schwierig zu sein.

Es ist schwierig! Ich denke, wir können alle erkennen, dass es eine globale Vereinbarung zu einem System geben muss. Es könnte ein CO2-Handelssystem oder eine CO2-Besteuerung sein. Wenn es so ein globales Abkommen gäbe, könnte es funktionieren.

Warum denken Sie das?

Der Beweis dafür, dass es funktioniert, ist das europäische Emissionshandelssystem. Es funktioniert, im globalen Kontext zwar in ziemlich kleinem Maßstab, aber es funktioniert. Stromversorger haben ihre Emissionen drastisch reduziert. China entwickelt jetzt sein eigenes System des CO2-Handels. Ich würde sagen, es ist im Entstehen, und für den größten Emittenten der Welt könnte das ein Schritt in die richtige Richtung sein. Wir wissen aber auch, dass China ein Net-Zero-Ziel von 2060 hat, so dass es im Vergleich zum Großteil der Welt ein wenig hinterherhinkt. Aber ich denke, sie nehmen das Thema jetzt ernster.

Wo stehen wir?

Wenn es ein globales Abkommen zwischen den Regierungen gäbe, wäre dies der einfachste und effizienteste Weg. Aber es gibt kein globales Abkommen. Und ich wage zu wetten: Wenn wir COP26, den UN-Klimagipfel in Glasgow, hinter uns haben, wird es immer noch kein umfassendes globales Abkommen geben.

Was ist Ihr Plan?

Bei der Taskforce on Scaling Voluntary Carbon Markets, die ich leite, dreht sich alles um ein vereinbartes Set globaler Standards. Wird sich jeder auf der Welt genau darüber einig sein, was diese Standards sind? Nein.

Warum nicht?

Zunächst einmal werden einige Leute andere Standards wollen. Und sie werden bereit sein, etwas zu zahlen, um sicherzustellen, dass sie nicht nur ein legitimes Kohlenstoffasset erhalten, sondern auch Merkmale des Artenschutzes oder der lokalen Beschäftigung. Was wir in das Framework einbauen, ist die Möglichkeit für die Leute, mehr zu bezahlen, um etwas zu bekommen, das ihnen mehr von dem gibt, was sie wollen. Im Mittelpunkt stehen jedoch die sogenannten Core Carbon Principles, ein vereinbarter Satz von Standards mit einem Verifizierungsprotokoll und einer Governance, die einem einzigen globalen Markt angemessen ist.

Was wird das bedeuten?

Das könnte die Situation im Vergleich zu dem sein, was wir heute haben, einen sehr fragmentierten Markt ohne vereinbarte Standards, komplett verändern. Was nicht heißen soll, dass es heute keine Standards gibt. Ich denke, verschiedene Standardsetzer haben ihre eigenen Standards. Aber sie sind ziemlich unterschiedlich. Wenn Sie dafür einen Beleg haben wollen, schauen Sie sich Kontrakte an, die zum EU-Emissionshandelssystem zugelassen sind und jetzt zu mehr als 50 Euro pro Tonne gehandelt werden. Kontrakte an der Chicago Mercantile Exchange (CME) werden zu zwei bis drei Dollar pro Tonne gehandelt. Der gleiche Kohlenstoff, die gleiche Wirkung auf den Planeten.

Großartige Arbitrage!

Wenn Sie diese Kontrakte in einen anderen Teil der Welt liefern könnten, wäre es das. Aber Sie können es nicht, weil es zwei verschiedene Märkte sind. Der wirkliche Unterschied ist: Wenn Sie sich die CME ansehen, haben sie in den letzten fünf Monaten drei verschiedene Kontrakte gestartet. Sie akzeptieren nur Verträge, die vom Corsia-Konsortium genehmigt wurden. Das ist die Gruppe von Fluggesellschaften, die sich vor über 15 Jahren zusammengefunden und auf einige Standards geeinigt hat. Sie haben wirklich gute Arbeit geleistet. Aber sie haben die Standards wohl ein wenig niedrig angesetzt.

Was folgt daraus?

Die Lieferungen in diesem Chicagoer Kontrakt werden mit drei Dollar pro Tonne gehandelt. Dies sind nicht die tatsächlichen CO2-Kosten, die eher dem europäischen Preis als dem Chicago-Preis entsprechen.

Was würden Ihre Core Carbon Principles bewirken?

Sie würden effektiv einen großen Teil der typischerweise älteren Projekte disqualifizieren, die in einigen Fällen vielleicht nie als Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen qualifiziert gewesen wären. Andere sind in vielerlei Hinsicht überholt. Einige wurden bereits 2011 hergestellt, aber sie sind noch heute gültig. Wir wollen einen hohen Standard für den Markt setzen. Wir wollen keinen Preis festlegen, das ist nicht unsere Aufgabe. Aber wenn wir uns auf die Prinzipien einigen, haben wir 450 Mitglieder dieser Taskforce, 250 verschiedene Organisationen, die umsichtigsten NGOs zu diesem Thema, ich würde sagen, die erfahrensten Akademiker, viele der größten Umweltverschmutzer, Fluggesellschaften, Ölgesellschaften und Schieferölgesellschaften.

Aber wer wird die Governance übernehmen?

Wir haben einen sehr klaren Rahmen für ein Leitungsorgan, den wir in einem Konsultationspapier vorschlagen, das vor einigen Wochen veröffentlicht wurde. Das Leitungsorgan wird aus Experten auf diesem Gebiet bestehen, von denen keiner ein Eigeninteresse an diesem Markt hat.

Wie können Sie das garantieren?

Es wird in diesem Gremium keine Emittenten, keine Banken, Händler oder Einzelinvestoren geben. Im Grunde sind es NGOs, Akademiker und Investorenkonsortien, die speziell dafür gegründet wurden, auf Net Zero zu kommen. Eine davon ist die Net Zero Asset Owners Alliance, die von Günther Thallinger von der Allianz geleitet wird. Wir haben auch Ben Pincombe von PRI, einem der Investorennetzwerke hinter Climate Action 100. Das ist eine viel größere Gruppe von Investoren, die typischerweise kleiner sind, aber besonderen Fokus auf den Schutz des Planeten legen. Das Governance-Panel wird von einem Expertengremium beraten.

Gibt es dort Interessenkonflikte?

Keiner der bestehenden Verifizierer oder Standardsetzer ist darin enthalten, es sei denn, die jeweilige Person wäre seit zwei Jahren oder länger nicht mehr im Amt. Wir bemühen uns sehr sicherzustellen, dass die Governance dieses von uns vorgeschlagenen Marktes völlig unabhängig ist. Und dann würde es noch eine Konsultationsgruppe mit allen Mitgliedern geben. Bislang gehören dieser Taskforce 250 Firmenmitglieder an. Wir hoffen, dass sie alle Mitglieder dieses neuen Marktes werden und noch viele mehr.

Warum keine CO2-Steuer?

Ich denke, eine CO2-Steuer ist eine großartige Idee. Aber das müssen die Regierungen entscheiden.

Und die sind sich in nichts einig.

Vor sechs Monaten hatten wir Donald Trump.

Und der wollte ganz sicher keine CO2-Steuer einführen.

Sicher nicht. Ich hoffe natürlich, dass es keine Rückkehr von Donald Trumps Vorgehensweise geben wird, aber wer weiß, wie die Stimmung in Sachen Steuern in Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder den USA in ein paar Jahren sein wird?

Aber wie im EU-Emissionshandelssystem zu sehen ist, bringt der CO2-Handel Volatilität mit sich, die Unternehmen nicht brauchen.

Die Schwäche des CO2-Handelssystems besteht darin, dass die Preise effektiv zentral verwaltet werden, da die Regierungen entscheiden können, wie viel sie in Form von Quoten zulassen. Wenn ihnen also der Preis von drei Euro nicht gefällt, verschärfen sie die Quote. Bei einem Preis von 50 bis 60 Euro könnten sie das Kontingent lockern, wenn sie wollten. Ich glaube nicht, dass sie das wollen, aber sie könnten es. Der Preis ist volatil, aber er ist um einen verordneten Rahmen herum volatil. Eine offene CO2-Steuer wäre ein Ersatz für ein Cap-and-Trade-System. Aber niemand wird eine CO2-Steuer einführen, solange er nicht sicher ist, dass er vor niedrigen CO2-Steuern in anderen Ländern geschützt ist.

Was halten Sie von CO2-Zöllen?

Die Idee einer CO2-Steuer in Kombination mit einem CO2-Grenzzoll ist ein glaubwürdiges Rezept. Aber das wird Probleme mit der WTO geben. Regierungshandeln ist kompliziert, insbesondere auf globaler Ebene. Der Privatsektor ist kompliziert, aber bei weitem nicht so kompliziert wie die Regierungen.

Länder wie China haben recht, wenn sie behaupten, dass westliche Länder die Umweltverschmutzung an sie ausgelagert haben.

Ja, das ist absolut richtig. Und ich würde alles begrüßen, was Regierungen tun könnten, um dies in die richtige Richtung zu lenken. In der Taskforce haben wir ganz konkret gesagt, dass wir uns nicht in die Regierungspolitik einmischen werden. Darin sind wir keine Experten. Wir können das nicht beeinflussen, wir würden uns einfach verzetteln. Wir konzentrieren uns lieber darauf, was der private Sektor selbst tun kann.

Und das wäre?

Tatsache ist, dass es Hunderte von Milliarden Dollar gibt, die in diese freiwilligen CO2-Märkte fließen könnten. Das könnte Geld von Leuten wie Standard Chartered sein, das in die Hände von Menschen geht, die tatsächlich Kohlenstoff aus der Umwelt holen, seien es Menschen, die Bäume pflanzen, oder Menschen, die dafür bezahlt werden, keine Bäume zu fällen, oder Menschen, die in bahnbrechende Technologien investieren wie die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid oder grüner Wasserstoff. Da muss das Geld hin. Und die Unternehmenswelt bereitet sich jetzt darauf vor, die Schecks auszustellen. Gerade weil unsere Stakeholder, angefangen bei unseren Aktionären, aber auch unsere Mitarbeiter, darauf bestehen, dass wir selbst CO2 so weit wie möglich reduzieren.

Und es gibt viel Liquidität.

Es sollte eine Menge Liquidität vorhanden sein. Die Nachfrage nach diesen CO2-Zertifikaten sollte groß sein. Aber ich möchte auf den Gedanken zurückkommen, dass viele der heute auf der Welt verfügbaren Zertifikate zu sehr niedrigen Preisen gehandelt werden. Die Nachfrage ist groß, aber nicht genug, um den Überschuss aufzusaugen. Und dieser Überschuss entstand über zehn Jahre hinweg.

Es wird also Arbitrage geben.

Es gibt Organisationen wie die Science-Based Target Initiative (SBTI) und VCMI, die derzeit ebenfalls einen Konsultationsprozess durchlaufen. Das sind äußerst sachkundige Umweltexperten. Sie werden effektiv die Richter darüber sein, ob ein Unternehmen seine Verpflichtungen einhält. SBTI beabsichtigt, sehr genau vorzugeben, was jemand behaupten kann. Das ist eine aktive Debatte. Sie dreht sich darum, was genau Unternehmen sich auf dem Weg zur Nullemissionswirtschaft zuschreiben können.

Was dürfen Unternehmen also ausweisen?

Es ist noch nicht klar. Klar ist nur, dass SBTI sehr streng sein will. SBTI wird mittlerweile von Hunderten von Unternehmen unterstützt. Es sind viele Mitglieder unserer Taskforce darunter. Und wir haben alle gesagt, dass wir einen ehrlichen und unabhängigen Schiedsrichter wollen. Wir möchten nicht, dass sich Unter­nehmen A mit etwas sehr Billigem vorbeischleichen kann, während Unternehmen B sich an einen höheren Standard hält. Ich denke, die Zeiten haben sich geändert. Das haben sie wirklich. Inzwischen bereitet sich die Unternehmenswelt tatsächlich darauf vor, die Arbitrage, die es in den letzten 25 Jahren an verschiedenen Stellen gab, drastisch zu reduzieren.

Wo ist der Gewinn für Standard Chartered bei alldem?

Da ist zuerst der vermiedene Nachteil. Unsere Märkte sind dem Klimawandel am stärksten ausgesetzt. Wenn wir nicht unseren Teil dazu beitragen, wenn die Welt nicht dazu beiträgt, das zu korrigieren, werden für uns sehr wichtige Märkte wie große Teile Indiens und Bangladesch entweder unbewohnbar oder unter Wasser sein. Und da ist das Thema Finanzierung. Wir sprechen von 3 Bill. Dollar pro Jahr, die für den Übergang zu Net Zero in den Entwicklungsländern benötigt werden. Davon ist nur ein Zehntel verfügbar. Das ist eine beängstigende Zahl, nicht nur auf makroökonomischer Ebene.

Was also tun?

Wir haben alle multinationalen Konzerne unter unseren Kunden befragt. Sie gaben an, dass 75 % ihrer Emissionen von ihren Lieferanten stammen. Sie gehen davon aus, dass zwei Drittel ihrer Lieferanten aus Schwellenländern Schwierigkeiten haben werden, die Emissionsreduktionsziele zu erreichen. Wir haben die Lieferanten gefragt: Sind Sie bereit für das, was von Siemens, von Apple, von General Motors auf Sie zukommt, was den Anspruch an Nachhaltigkeit angeht? Denn wenn Sie nicht nachhaltig sind, sind Ihre Abnehmer nicht nachhaltig. Und sie haben sich dazu verpflichtet. Es macht also nichts aus, dass die indische Regierung Sie nicht unter Druck setzt, Ihre eigenen Verpflichtungen einzuhalten, oder dass Sie nicht wissen, wie Sie sie messen sollen oder was auch immer. Wenn Sie Ihren Kunden nicht nachweisen können, dass Sie die Investitionen getätigt haben, werden Sie vom Markt verdrängt. 15% der multinationalen Konzerne haben sich bereits von Lieferanten getrennt, bei denen sie kein Engagement für den Übergang zu Net Zero identifiziert haben. Und sie fangen gerade erst an. Dies ist ein riesiges Problem für die Entwicklungsländer.

Wie sieht es damit aus, den Firmen den Übergang zu finanzieren?

Ja, wir werden sie finanzieren. Darin sind wir sehr gut. Wir sind besonders gut in Blended Finance, wo es staatliche Fördergelder gibt, Geld von Exportkreditagenturen zusammen mit Banken und Kapitalmärkten, diese komplexen Finanzierungen insbesondere im Bereich Sustainable Finance und Projektfinanzierung. Ja, es gibt die Möglichkeit, damit Geld zu verdienen. Und es gibt CO2-Zertifikate. Einer der größten Anreize für viele Unternehmen, die diese Umstellungen vornehmen, besteht darin, dass sie dafür einige Emissionszertifikate generieren können. Und das könnte der Unterschied zwischen einem finanzierbaren und einem nicht finanzierbaren Projekt sein. Aber ehrlich gesagt, wenn wir das nicht richtig hinbekommen, hat Standard Chartered kein Geschäftsmodell mehr. Unsere Märkte werden massiv leiden.

Was ist mit Ihren Kunden aus dem Nahen Osten? Sind die nicht anders investiert?

Das dachte ich bis vor vielleicht zwei Jahren auch. Aber wenn ich mit Saudi Aramco oder der Abu Dhabi National Oil Company spreche, setzen sie sowieso zu 100% auf Nachhaltigkeit, weil ihre Stakeholder entscheiden, dass es entscheidend ist. Und das sind nicht nur ihre Regierungen, sondern auch die Kapitalmärkte. Sie könnten ihren Betrieb aus dem gleichen Grund nicht führen, wenn sie aus Nachhaltigkeitssicht nicht glaubwürdig sind, aus dem Total, BP und Shell ihren Betrieb nicht führen könnten. Sie sehen auch eine Gewinnchance. Neben viel Öl und Gas haben sie unter anderem Sonnenlicht. Für mich ist das aufregendeste nachhaltige Finanzprojekt, das wir je gemacht haben, in Dubai in der Wüste. Es heißt Muhammad bin Rashid Al Maktoum Solar Park und wird nach seiner Fertigstellung der größte Solarpark sein, den es gibt. Drei Phasen sind abgeschlossen, zwei weitere befinden sich im Bau. Wir finanzieren die Phasen 4 und 5, aber Phase 4 ist wirklich interessant. Ein Viertel davon sind konventionelle Photovoltaik-(PV)-Zellen, die bei Sonnenschein Strom produzieren. Der Rest nutzt die thermische Solartechnologie.

Was machen Sie bei diesem Projekt?

Die Technologielieferanten sind Amerikaner und Spanier. Die Eigentümer sind aus Saudi-Arabien, den Emiraten und anderen Ländern. Der Auftragnehmer ist aus China. Es gibt keine multilaterale Finanzierung und keine Finanzierung durch eine Exportkreditagentur, aber es ist eine wirklich komplizierte Finanzierung. Die Stromkosten aus den PV-Zellen betragen 2,3 Cent pro kWh, was einem Drittel der Kosten für Erdgas entspricht. Die Gesamtkosten des Stroms aus dem Projekt in Kombination mit den Kosten für den Strom, der das Salz schmilzt, das über Nacht Wärme freisetzt – effektiv eine Batterie, um in den Nachtstunden weiterhin Strom zu produzieren – beträgt 7,3 Cent pro kWh. Das ist noch ziemlich konkurrenzfähig. Offensichtlich ist die Technik ziemlich kompliziert. Der Investitionsaufwand ist enorm. Aber wenn diese Technologie breiter eingeführt würde, könnten wir die Erde mit Energie versorgen.

Das Interview führte

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