Ralf Degenhart, Debeka

„Ich glaube nicht an eine Rückkehr der Garantien“

Ralf Degenhart will seine Kapitalanlage weiter diversifizieren und mehr Infrastruktur-Investments. Wie der CFO eines der größten institutionellen Investoren in Deutschland die Zinswende meistert.

„Ich glaube nicht an eine Rückkehr der Garantien“

Antje Kullrich.

Herr Degenhart, die Debeka gehört mit rund 100 Mrd. Euro Assets under Management zu den großen Kapitalanlegern der Republik. Wie haben Sie auf die ziemlich abrupte Zinswende reagiert?

Es ist natürlich positiv, wieder Zinsen erzielen zu können, die den Verpflichtungen auf der Passivseite wieder gerecht werden. Also aus dieser Sicht herrscht Entspannung und Freude über die Entwicklung. Klar ist aber auch, dass wir einen sehr hohen negativen Realzins haben. Chancenorientierte Kapitalanlage auch abseits von Festverzinslichen steht deshalb weiter bei uns im Fokus. Deshalb halten wir auch an unserer grundsätzlichen Strategie fest: weiter diversifizieren und unser Anlagespektrum verbreitern.

Hat die Zinswende dazu geführt, dass die Debeka stille Lasten aufgebaut hat?

Im Laufe des Jahres 2022 haben wir die hohen Bewertungsreserven tatsächlich dahinschmelzen sehen wie ein Schneemann in der Sonne. Das hat die ganze Branche getroffen. Wir haben unsere Bewertungsreserven komplett aufgebraucht und lagen am Jahresende bei deutlichen stillen Lasten. Wir haben mit den Wirtschaftsprüfern intensiv über die Bewertung der Kapitalanlagen diskutiert und mehr Arbeit in die Dokumentation gesteckt. Es handelt sich bei uns um rein zinsinduzierte temporäre stille Lasten, die sich mit Fälligkeit der Papiere auflösen werden. Wir haben deshalb gemäß §341b HGB keinen Abschreibungsbedarf.

Wie viel Rendite erzielen Sie denn derzeit in der Neuanlage?

Über alle Assetklassen hinweg haben wir im vergangenen Jahr zwischen 2 und 2,5% in der Neuanlage erzielt, aktuell sind es mehr als 3%.

Die Debeka war traditionell auf festverzinsliche Anlagen stark fokussiert. In den vergangenen Jahren haben Sie angefangen, das Aktienportfolio auszubauen. Welche Rolle werden künftig Aktien und andere Assetklassen bei Ihnen spielen?

Wir müssen differenzieren zwischen Lebensversicherung und Krankenversicherung. In der Lebensversicherung haben wir durch das gestiegene Zinsniveau wieder die Möglichkeit, für viele Verträge wieder Erträge über dem Garantieniveau auch im festverzinslichen Bereich zu erzielen. Wir werden in der Lebensversicherung weiter diversifizieren – auch in Immobilien und Infrastruktur –, aber wir können entspannter die übrige Liquidität in festverzinsliche Papiere mit Kupons von 3 bis 3,5% stecken.

Das heißt, der Anteil der konservativeren festverzinslichen Anlage in der Lebensversicherung ist höher als in der Krankenversicherung?

In der Krankenversicherung haben wir eine dynamischere Entwicklung hin zu chancenreicheren Assets als in der Lebensversicherung.

Ist das auch der Solvenzsituation geschuldet? Denn die Solvenzquote in der Debeka Leben war ja in den vergangenen Jahren nicht gerade üppig.

Das spielt sicher eine Rolle, wobei die Solvenzquote in der Lebensversicherung durch das gestiegene Zinsniveau und unsere Maßnahmen in den vergangenen Jahren für uns weniger relevant ist. Die Situation ist jetzt entspannt, aber wir wissen, wie volatil die Märkte sein können. Deshalb sind wir etwas zurückhaltend, dort in Risikopapiere in größerem Maß zu investieren.

Was machen Sie in der Krankenversicherung?

Wir haben in den vergangenen Jahren in der Krankenversicherung jeden Monat 50 Mill. Euro an Kapitalanlagen in Aktienfonds investiert. Das macht in Summe etwa 600 Mill. Euro im Jahr, das wollen wir beibehalten. Wir sind weiter auf der Suche nach Infrastrukturinvestments und führen da auch Diskussionen mit der Politik.

Was ist Ihr Anliegen?

Es ist der Wille der Politik, mit Public-Private-Partnerships mehr Geld in die Infrastruktur in Deutschland zu lenken. Das würden wir auch gerne tun, da langfristige Investments mit soliden planbaren Cashflows gut zu unseren Verpflichtungen passen. Es gibt jedoch einige Hemmnisse, die uns derzeit noch hindern, stärker in Infrastruktur zu investieren.

Welche Hürden sind das?

Wir haben oftmals gar nicht die Möglichkeit, die Volumina, die wir zur Verfügung hätten, in entsprechende Projekte zu stecken. Das liegt nicht nur an Genehmigungsprozessen und deren Dauer. Teilweise passen auch die Rendite-Risiko-Verhältnisse nicht. Wir haben weiterhin eine relativ hohe Unterlegung mit Eigenkapital, auch wenn es mittlerweile die Assetklasse qualifizierte Infrastruktur gibt. Die Anforderungen an diese Assetklasse sind jedoch sehr hoch, auch das ist ein Ansatzpunkt für mögliche Erleichterungen.

Aber eine geringere Unterlegung mit Eigenkapital wäre ja mit einer Reform von Solvency II verbunden. Danach sieht es ja mit dem auf den Weg gebrachten Review kurzfristig nicht aus. Wo liegen denn die realistischen Stellschrauben, Infrastruktur-Investments zu erleichtern?

Es gilt, Wege zu finden, um Investitionen in Infrastruktur für Versicherer so attraktiv zu machen, dass sie im Wettbewerb mit anderen Assetklassen bestehen können. Es braucht intelligente Konstrukte für Infrastruktur-Investments. Ich denke als Vorbild an den Wachstumsfonds Deutschland, der ein Teil des von der Bundesregierung initiierten Zukunftsfonds ist. Die Politik ist dafür auf die Versicherer zugegangen mit der Frage, wie Venture-Capital-Investments für die Branche attraktiv gemacht werden können. Heraus kam der Wachstumsfonds. Er hat ein Zielvolumen von 1 Mrd. Euro, das erste Closing des Vehikels, das mit der KfW konzipiert wurde, lag bei 750 Mill. Euro. Es bestand dabei die Möglichkeit, in diesen Fonds mit einer Fremdkapitaltranche zu investieren, die besichert und mit einem Rating versehen ist. Das macht es für Versicherer gangbar. Wir haben uns auch mit 50 Mill. Euro beteiligt. Da frage ich: Ist so etwas bei Infrastruktur nicht auch möglich? Dazu müsste man gar nichts an Solvency II ändern.

Wie weit sind denn die Gespräche mit der Politik?

Es gibt den Willen zuzuhören. Wir sind der Initiative Deutsche Infrastruktur beigetreten. Die hat das Ziel, in den Dialog mit der Politik zu treten. Die Erwartung besteht, jetzt mal ein paar Vorschläge auf den Tisch zu bringen. Die Zeit ist jetzt reif, im Jahr 2023 konkreter zu werden. Ich gehe davon aus, dass das Thema in diesem Jahr an Fahrt aufnimmt.

Der Branchenverband GDV hat vergangene Woche berichtet, dass die Beitragseinnahmen in der Lebensversicherung 2022 um 6% eingebrochen sind. Wo liegt die Debeka im Vergleich zum Marktdurchschnitt?

Wir haben deutlich besser als der Markt abgeschnitten – auch, weil wir nicht so ein großes Einmalbeitragsgeschäft haben. Detaillierte Zahlen kommen im März. Im Neugeschäft hat sich das Jahr jedoch in zwei extrem unterschiedliche Hälften geteilt.

Die Delle kam vermutlich im zweiten Halbjahr.

Ganz genau. Im ersten Halbjahr lief das Neugeschäft sogar noch einen Tick besser als im Vorjahr und dann bröckelte es ab dem Frühsommer sukzessive ab. Ein erhöhtes Storno haben wir aber nicht verzeichnet. Wir liegen mit der Stornoquote sogar leicht besser als im Vorjahr.

Wird die Zinswende zu einer Renaissance der Garantieprodukte führen?

Ich glaube nicht an eine Rückkehr der Garantien. Die Einstellung der Kunden zu Aktien hat sich in den vergangenen Jahren gewandelt. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine chancenreichere Kapitalanlage der richtige Weg ist. Bei unserem jetzigen Rentenversicherungsprodukt, bei dem man die Höhe des Aktienfondsanteils zwischen 0, 50 und 100% wählen kann, entscheiden sich mehr als 90% der Kunden für eine vollständige Anlage in Aktien.

Wie weit sind Sie, ESG-Kriterien in Ihren Kapitalanlagen zu berücksichtigen?

Wir haben viel investiert, unser Portfolio zu verstehen und eine Datengrundlage zu schaffen. Wir konnten dann für unsere Kapitalanlage eine Klimastrategie anhand quantitativer Merkmale definieren. Das war eines unserer Ziele 2022. Wir haben mittlerweile die Möglichkeit, die CO2-Intensität einzelner Emittenten zu verfolgen. Die CO2-Intensität pro Million Euro investierten Kapitals liegt bei uns bei 74 Tonnen CO2 und damit etwa im Branchenschnitt, den der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft veröffentlicht hat. Wir haben dabei 68% unseres Portfolios schon erfasst. Wir wollen das Thema greifbar machen. Angaben, wie viel Prozent unseres Portfolios taxonomiefähig und taxonomiekonform sind, helfen den Kunden kaum weiter, weil kaum jemand diese Angaben einordnen kann. Wir prüfen derzeit Wald-Investments sowie Investitionen in Wasserstofftechnologien. Wir wollen auch das Thema begleitende Transformation noch mehr in den Vordergrund stellen. Wenn wir Emittenten haben, die noch nicht auf dem 1,5-Grad-Pfad sind, aber genug unternehmen, um dahin zu kommen, dann können wir sie auch begleiten und dort investieren.

Das klingt danach, dass Sie nicht viele Investment-Ausschlüsse haben.

Wir haben die Standard-Ausschlüsse mit Tabak, Kohleverstromung ab einem gewissen Anteil usw. Wir haben aber die Möglichkeit, mit einem ESG-Komitee diese nach einer genauen Prüfung aufzuweichen. Denn wir sagen, dass ein Unternehmen, das heute noch eine rote Flagge hat, aber sich auf einem guten Weg befindet, durchaus von uns Mittel bekommen kann.

Werden auch die Produkte grüner?

Wir managen die Kapitalanlage nach unseren ESG-Kriterien. Wenn unsere Kunden und Mitglieder komplett nachhaltige Produkte nachfragen würden, stünden wir bereit. Doch da ist das Interesse eher gering, wie unsere Befragungen gezeigt haben. Ein reines Ökoprodukt nach Artikel 9 der Taxonomie hätte auch den Nachteil, dass der Anlagehorizont derzeit noch sehr eingeschränkt wäre.

Thema Ottonova. Sie sind mit Ihrer Beteiligung an dem digitalen Krankenversicherer bislang nicht wirklich glücklich geworden. Was haben Sie damit vor?

Wir halten diese Beteiligung ja schon einige Jahre und begleiten aus der Ferne die Entwicklung. Wir müssen für uns erkennen, dass die rein digitale Krankenversicherung noch ein wenig Zeit benötigt. Damit wird aber gleichzeitig unser eigenes Geschäftsmodell eines Service-Versicherers bestätigt.

Eine reichlich teure Selbstvergewisserung . . .

Trotzdem halten wir an der Beteiligung fest und haben nicht vor auszusteigen.

Das Interview führte