Tradesg

Prinzip „Do it yourself“ gegen Greenwashing

Greenwashing wird am ehesten verhindert, wenn Kunden selbst über ihre nachhaltige Benchmark entscheiden, meint Tradesg. Das hessische Start-up will bald ein entsprechendes Minimum Viable Product samt Absicherungsstrategie präsentieren.

Prinzip „Do it yourself“ gegen Greenwashing

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Der Raum, den die Debatte um Greenwashing einnimmt, kommt inzwischen jenem gleich, den die Diskussion um Nachhaltigkeit insgesamt beansprucht, und mit der darüber vergossenen Tinte ließe sich vermutlich die komplette EU-Taxonomie schreiben. Wie verhindern, dass gute Absichten von Privatanlegern diese Kunden in weniger gute Produkte führen? Indem der Retail-Investor gemäß dem Prinzip Do-it-yourself (DIY) selbst bestimmt, was für ihn nachhaltig ist und was nicht, lautet die Antwort, die das hessische Start-up Tradesg unter dem Motto „Sustainable Investing for Everyone“ propagiert. „Man kann das Greenwashing-Risiko herausnehmen, indem jeder Anleger seine Benchmark selbst definiert“, sagt Firmenchef Dennis Groh.

Wo der provisionsbasierte Vertrieb von Finanzprodukten Interessenskonflikte produziert und Robo-Advisor eine begrenzte Palette an ESG-ETF offerieren, winkt der Tradesg-Chef, der Erfahrungen aus der Management-Beratung unter anderem bei Accenture mitbringt, mit einer Kombination aus Dienstleistung und Selbstermächtigung, garniert mit dem Versprechen erhöhter Transparenz: „Wir sind die Ersten, die ein umfassendes personalisiertes Impact Investing in Aktien, Anleihen, ETFs und Fonds ermöglichen und zusätzlich die Sicherung der Altersvorsorge von Privatanlegern berücksichtigen“, heißt es in einer Präsentation von Tradesg sehr selbstbewusst.

Als Mitstreiter hat Groh Fach- und Führungskräfte aus dem Banken- und Versicherersektor aus den Bereichen Software-Entwicklung, System-Administration, Risikokontrolle und Wertpapieranalyse um sich versammelt. Sie wollen ihre Namen indes teils noch nicht öffentlich machen, weil ihr Abschied beim alten Arbeitgeber in den kommenden Wochen erst noch bevorsteht.

Das Konzept: Die Tradesg-App analysiert das Portfolio eines Kunden nach Aspekten der Nachhaltigkeit, zeigt etwaige Diskrepanzen zu dem vom Retail-Anleger präferierten ESG-Profil an und schlägt für die einzelnen Wertpapiere Alternativen im jeweiligen Sektor mit einem besseren Nachhaltigkeitsprofil vor; derweil verfolgt ein „Protector“ mit Hilfe von durch künstliche Intelligenz ge­stützte Algorithmen den Nachrichtenfluss und lässt An­­legern, analog zu einer Verkehrsampel, grüne Informationen, gelbe Warnungen und roten Alarm zukommen, wenn einem Wert in seinem Portfolio Unheil droht.

„In der Finanzkrise hätte ich mir einen solchen Autopiloten gewünscht, der mir gesagt hätte, was zu tun sei“, sagt Groh. Beim Thema Wirecard hätte die Risikomatrix von Tradesg frühzeitig angeschlagen, sagt er. An einer Kombination von Robo-Advisory und ESG arbeiten derzeit auch andere Anbieter, wie die beiden Manager einräumen. Überhaupt könnte sich, neben den üblichen Stolpersteinen für Start-ups, als ein Risiko für Tradesg erweisen, dass man ihnen mit ihrer Idee zuvorkommt. Keiner der Konkurrenten verbinde aber personalisiertes Benchmarking mit einer Absicherungsstrategie, argumentiert Groh.

Geldgeber gesucht

Noch steht Tradesg ganz am Anfang. Die GmbH ist in Gründung, das Minimum Viable Product soll im September fertiggestellt werden. Und natürlich sucht man Investoren. 1,5 Mill. Euro braucht das bislang selbstfinanzierte und acht Leute zählende Start-up bis Ende kommenden Jahres, um seine Pläne zügig zu realisieren. „Gute Ideen werden sich immer durchsetzen“, kommentiert Groh den momentanen Kehraus im Fintech-Sektor und lässt zugleich keinen Zweifel daran, in welches Lager er Tradesg zählt.

Tradesg will die Kunden dazu bringen, für den Protector zu zahlen, parallel aber gratis eine Standardversion anbieten. Produktempfehlungen werde es nicht geben, heißt es. Nicht zahlenden Kunden werde allenfalls Werbung für Nichtregierungsorganisationen gezeigt. Groh: „Sonst hätten wir diese Schiedsrichterfunktion nicht mehr und würden unsere Neutralität verlieren.“

Schon die kostenlose Version aber böte etwa die Möglichkeit, mit Daten zu den Präferenzen von Kunden im B2C-Geschäft Geld zu verdienen. Zunächst würde es allerdings zuerst darum gehen, im B2C-Geschäft Erträge zu erzielen, wenn Kunden über Tradesg Wertpapierorders platzieren, Absicherungen ordern oder für die Depotverwaltung zahlen. Im Geschäft mit anderen Unternehmen schwebt dem Start-up zudem vor, sein Produkt anderen Dienstleistern anzubieten sowie Unternehmen auf Basis eigener Erfahrungen, Produkte und Daten zu beraten. So lange Tradesg kein eigenes Brokerage anbiete, könne man sich zudem eine Weiterleitung von Orders bezahlen lassen. „Wir wollen kein Gambling erzeugen wie bei Gamestop und Robinhood, sondern verantwortungsbewusstes und wissensbasiertes Investieren fördern“, sagt Groh.

Setzt sich das Produkt durch, sind einer Ausweitung der Erlösbasis zumindest theoretisch kaum Grenzen gesetzt. Tradesg könnte sich etwa mit einer Organisation wie Greenpeace oder dem Alpenverein zusammentun und einen gemeinsamen ETF auflegen. Per White-Label-Lösung ließe sich ein Brokerage anbinden. Und sollte sich Tradesg als Marke etablieren, könnte die Gesellschaft dereinst ein Gütesiegel vergeben, ins B2B-Geschäft einsteigen oder eine Banklizenz erhalten.

Der These, dass letztlich auch Tradesg wenig anderes anbiete als die bislang mäßig erfolgreichen Robo-Advisors, nur individualisierter, tritt Groh entgegen: „Unser Modell ist fundamental anders als das eines Robo-Advisors. Wir verdienen nicht an den verwalteten Vermögen und an den verkauften Produkten, sondern sind der Schiedsrichter für alle Depots und Vermögenswerte unserer Kunden.“ Ein Robo-Advisor entscheide automatisch über die Investitionen. Tradesg indes mache Kunden selbst in jeder Börsenphase handlungsfähig.

Mag dabei die künstliche Intelligenz allerdings noch so gut sein: Grundsätzlich stehen auch Groh und das Tradesg-Team vor dem Problem, dass der Output ihres Protectors kaum besser sein kann als der Input. Und da sind die Manager auf die Bewertungen und Parameter eines der handelsüblichen Datenlieferanten angewiesen. Derzeit wälzen sie Angebote von Anbietern wie MSCI und Sustainalytics, was auch eine Kostenfrage ist. „Man kann das Greenwashing-Risiko minimieren, indem jeder Anleger seine Benchmark selbst definiert“, räumt Groh ein: „Würden die Daten der reportenden Unternehmen nicht taugen, wäre das datengetriebenes Greenwashing.“ Tradesg könne mit ihrem Ansatz aber „zumindest ein methodengetriebenes Greenwashing ausschließen“.

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