Martin Beyer, Atruvia

„Standard­isierung ist ein schwieriges Feld“

Der genossenschaftliche IT-Dienstleister Atruvia stellt Primärbanken 2023 ein Angebot zum Kauf und Verkauf von Kryptowährungen bereit. Widerstand gegen Standardisierung im Verbund begegnet Vorstandssprecher Martin Beyer mit neuen Formen der Entwicklungsarbeit.

„Standard­isierung ist ein schwieriges Feld“

Der genossenschaftliche IT-Dienstleister Atruvia wird es den Volks- und Raiffeisenbanken in der ersten Hälfte des kommenden Jahres ermöglichen, Kunden den Kauf und Verkauf von Kryptowährungen im Online-Banking sowie per App anzubieten. Dies kündigt Vorstandssprecher Martin Beyer im Gespräch mit der Börsen-Zeitung an. In einem zweiten Schritt werde im Jahr darauf eine entsprechende Verwahrstelle angeboten; vorerst würden Atruvia und DZ Bank auf einen Drittanbieter zurückgreifen, erklärt er. Verhandlungen mit entsprechenden Dienstleistern liefen noch. Einen Prototyp für eine Kryptowallet hat Atruvia demnach bereits konzipiert.

Ob Bitcoin momentan heute noch so kräftig strahle wie noch vor Jahresfrist, sei eine andere Debatte, sagt Beyer mit Blick auf den jüngsten Kursabsturz der bekanntesten Kryptowährung. Zugleich stellt er klar: „Anders als andere Kryptoassets wird der digitale Euro eine echte digitale Währung werden. Das ist für die genossenschaftliche Finanzgruppe ein großes Thema.“ Der Distributed-Ledger-Technologie generell komme für Atruvia eine hohe Bedeutung mit Blick auf die Firmenkunden der Finanzgruppe zu. Von verbrieften Transaktionen bis hin zur Exportfinanzierung sieht Beyer da ein breites Anwendungsfeld: „Dafür brauchen wir Lösungen.“

Seine Äußerungen ergänzen das Bild einer genossenschaftlichen Finanzgruppe, die sich, anders als die Sparkassen-Finanzgruppe, zusehends für Kryptowährungen öffnet. Im März hatte Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiff­eisenbanken (BVR), erklärt, die Genossen prüften die Einführung eines Bitcoin-Angebots. Auch planen DZ Bank und der Wertpapierabwickler DWP einen Prototyp zum Kauf von Bitcoin durch Kunden. Die Volksbank Raiffeisenbank Bayern Mitte offeriert derweil ihren Kunden, als „idealen Begleiter für den Einstieg in die Bitcoinwelt“, bereits eine „VR-Bitcoin Go Card“, die über ein bestehendes Girokonto online oder an einem Bitcoin-Automaten gegen Bargeld mit Bitcoins aufgeladen werden kann.

Die Systeme öffnen sich

Derzeit ist Beyer ansonsten unter anderem damit beschäftigt, die Systeme der Atruvia bzw. mittelbar der rund 800 Primärinstitute für externe Dienstleister zu öffnen. Nachdem der IT-Dienstleister der Genossen die Cloud-Infrastruktur ihrer beiden Fusionspartner Fiducia und GAD bis Ende 2021 konsolidiert hat, öffnet das Unternehmen nun seine Infrastruktur für die hybride Cloud – in enger Abstimmung mit der BaFin, wie Beyer betont. Den Anfang macht dabei die Einführung der per Public Cloud betriebenen Abonnement-Dienste Microsoft 365. Die ersten drei Institute sind geräuschlos umgestellt, wie der Manager festhält, im kommenden Jahr soll bis 2025 der „Roll-out“ von Outlook, Teams und anderen Diensten im großen Stil folgen. Die Digitalstrategie sehe vor, für alle Volks- und Raiffeisenbanken, für die DZ Bank sowie für die zentralen Dienstleister die Basis für eine neue Art der Zusammenarbeit zu schaffen, sagt Beyer.

Eine Prognose lässt sich dabei schon jetzt wagen: Wenn Atruvia per Digitalisierung Skaleneffekte erzielen und Kosten senken will, nimmt der Druck zur Standardisierung zu. In einem dezentralen Verbund gefällt dies nicht allen Akteuren. Widerstände gebe es immer zu überwinden, räumt Beyer ein: „Standardisierung ist ein schwieriges Feld, denn jeder definiert seinen Standard als Standard für die Gruppe.“ Die Leistungen müssten eben überzeugen.

Um die Primärinstitute ins Boot zu holen, hat Atruvia nun ein Referenzbankenmodell ersonnen, in dem 50 Banken Beschäftigte an Atruvia entsenden. Beim IT-Dienstleister sollen sie an Prototypen mitarbeiten, wobei sich die Institute dazu verpflichten, daraus entstandene Produkte auch einzusetzen: „Dann haben wir eine andere Verbindlichkeit“, sagt Beyer, der mit der Aussicht auf ganz neue Produkte und Dienste aus der Cloud winkt. Im September soll es losgehen.

Der Vertragsmanager kommt

Unter anderem schwebt Beyer die Anbindung von Portalen zum Wechsel etwa von Stromverträgen oder von anderen Anbietern vor, wobei die Daten immer in der Gruppe bleiben sollen. In einer Pilotphase mit fünf Instituten befindet sich bereits ein entsprechender Vertragsmanager, den Atruvia bis Jahresende breit anbieten will. Für Beyer ist ein solches Angebot von zentraler Bedeutung, kann ein Kunde an eine Buchung doch gleich ein Dokument anhängen und im Vertragsmanager Belege deponieren – dies kann als Vorstufe zu einem digitalen Belegarchiv am Konto dienen. „Das wünsche ich mir als Kunde einer VR-Bank schon lange“, sagt er. Auf Sicht bietet dieses Verfahren die Perspektive, per Click alle steuerrelevanten Rechnungen zu selektieren und Kunden damit die Vorbereitung ihrer Steuererklärung zu erleichtern.

Auch hier laufen Gespräche mit Dienstleistern. Beyer räumt freilich ein, dass es dabei immer dann rasch komplex wird, wenn ein Angebot nicht verbundweit einheitlich, sondern lokal unterschiedlich eingeführt werden soll, weil Institute etwa lokale Anbieter bevorzugen wollen.

Kommunikativ eine Herausforderung nennt der Manager auch die Einführung der neuen VR Banking App, die etwa im App-Store von Apple von Nutzern mehrheitlich entweder sehr gut oder sehr schlecht bewertet worden ist. Da die App zumindest zu Beginn noch nicht über alle Funktionen verfügt habe, seien die Urteile in den Bewertungsportalen „nicht nur positiv“ ausgefallen, sagt Beyer. Dennoch sei der Weg einer stillen Einführung am Markt ohne festes Startdatum richtig gewesen, weil die Primärinstitute auf diese Weise die Freischaltung hätten steuern können.

Der Manager betrachtet die Nachfolgerin der bisherigen App, die im Herbst aus den Stores genommen und später abgeschaltet werden soll, als entscheidenden Hebel zur Kundenbindung. Seit Herbst hat sich die Nutzerquote unter den Kunden seinen Angaben zufolge von 12% auf 20% erhöht – Beyer schweben allerdings Werte von 70 bis 80% wie bei Neobanken vor. „Das muss unser Ziel sein, denn nur so lassen sich die Skalierungsmöglichkeiten nutzen“, sagt er auch angesichts der verbundweiten Strategie, über sogenannte „Lebenswelten“ bankferne Dienste zu vermitteln. Den Anfang soll dabei Bauen und Wohnen machen, Ge­sundheit und Pflege sowie Mobilität sollen hinzukommen. Einher gehen diese Bemühungen dem Konzept zufolge mit sogenannten Next-Best-Action-Angeboten, das Kunden auf Basis gespeicherter Daten und Präferenzen Vorschläge für weitere Dienste macht, die diese andernfalls womöglich bei Konkurrenten kaufen. Die Kontoanzeige sei nach der Startseite von Google die meistaufgerufene Website, zeigt Beyer das Quervertriebspotenzial des Verbunds auf. Im Durchschnitt registriert Atruvia drei Millionen Log-ins pro Tag oder rund 2 100 pro Minute.

In dieses Strickmuster passt auch Amberra, der neue Accelerator als Finanzierer für „bankfremde Lebenswelten“, dessen Gründung die Mitgliederversammlung der Genossen vor wenigen Tagen beschlossen hatte. Die Tochter, an der neben Atruvia, der DZ Bank, DG Nexolution und VR-Networld zunächst der BVR Anteile halten, soll sich an Start-ups beteiligen, deren Angebot in wenigen Jahren relevant sein könnte. „Wir müssen nicht nur die Services rund ums Konto und Finanzthemen anreichern, sondern brauchen auch darüber hinaus gehende Angebote, um die Alltagsrelevanz unserer digitalen Kundenkontaktpunkte zu steigern und so die digitale Verweildauer zu erhöhen“, sagt Beyer und kündigt an: „Es werden sicherlich noch weitere Beteiligungen kommen. Wir halten die Augen für Opportunitäten offen.“

Positiv fällt sein Resümee unterdessen mit Blick auf den Cyberangriff aus, der Atruvia im vergangenen Jahr in die Schlagzeilen gebracht hatte, weil in seiner Folge die Dienste von Atruvia vorübergehend nicht verfügbar waren. Aus Sicherheitsgründen habe man dies entschieden, sagt Beyer. Experten zufolge habe diese zu den bislang komplexesten DDoS-Angriffen im deutschen Finanzsektor gezählt. Atruvia habe die Attacke relativ schnell abgewehrt, indem die Gesellschaft mittels Geoblocking zunächst alle IP-Adressen aus einer bestimmten Region gesperrt habe, um diese anschließend sukzessive wieder freizugeben.

Die Anfragen, welche die Systeme der Atruvia überfordern sollten, waren zunächst aus dem asiatischen und russischen, später dem US-amerikanischen Raum gekommen. Die Angreifer seien nicht in die Systeme eingedrungen, sagt Beyer. Ermittlungen zu den Tätern verliefen im Sand.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der Sorge vor damit ­einhergehenden Cyberattacken hat Atruvia einen Bereitschaftsdienst eingerichtet, zusätzlich zu dem mit der DZBank betriebenen Security Operation Center, das etwa mit Künstlicher Intelligenz verdächtigten Mustern von Aktivitäten nachspürt.

Privatbanken stehen Schlange

Regen Andrang macht Beyer derweil bei Privatbanken aus, die sich an die Systeme des genossenschaftlichen IT-Dienstleisters anschließen lassen wollen. Nachdem Mitte Juni die Umweltbank als neuer Kunde präsentiert wurde, steht der Wechsel von neun weiteren Privatbanken an, wie er berichtet: „Wir müssen eher schauen, wie wir dies auf der Zeitschiene sortieren können“, deutet er Terminprobleme bei der Anbindung der Institute an, zu denen seinen Angaben nach kleinere, aber auch mittelgroße Häuser zählen.

Als Grund für die Nachfrage gibt er nicht zuletzt an, dass Atruvia inzwischen Erfahrung mit solchen Migrationen habe. Banken wüssten, was sie bekämen. Zudem hätten die alternativen Anbieter „Avaloq und Sopra die angekündigten Kundenakquisitionen im deutschen Markt meines Wissens nach nicht erreichen können“, stellt Beyer wohl auch mit Blick auf die misslungene Migration der Apo-Bank auf Avaloq fest.

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