David Watson, Swift

„Unser Ziel sind zentralisierte Lösungen“

David Watson, Chief Strategy Officer von Swift, verrät im Interview der Börsen-Zeitung Details über die neue Strategie. Das Ziel ist, die Finanznachrichtendienste perspektivisch zum Transaction Management auszubauen.

„Unser Ziel sind zentralisierte Lösungen“

Karin Böhmert.

Herr Watson, Swift hat im Oktober 2020 eine neue Strategie an­ge­kündigt und will bis Ende 2022 eine neue Plattform für Transaction Management aufbauen. Wofür braucht Swift eine neue Plattform?

Swift wurde mit dem Ziel gegründet, das globale Finanzsystem elektronisch zusammenzubringen, also Brücken für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr zu bauen. Einheitliche Formate im Financial Messaging haben effiziente, grenzüberschreitende Transaktionen für Zahlungen, Handelsfinanzierung, Devisen oder Wertpapiere ermöglicht. Heute gibt es neue Triebkräfte eines Wandels.

Welche sind das?

Erstens: Die Disintermediation durch neue Marktteilnehmer in allen Trans­aktionsfeldern, gleich ob sie alte oder neue Technologien nutzen. Dies sind zwar oft in sich effiziente, aber auch geschlossene Systeme, so­genannte Closed Loops, die damit das Risiko einer Zahlungsverkehrslandschaft mit vielen Insellösungen wie damals in den 1970er Jahren bergen. Als Kooperative sehen wir es aber als unsere Aufgabe, die Interoperabilität weltweit aufrechtzuerhalten, also auch die neuen Systeme nahtlos zu integrieren. Der zweite Faktor ist der sich wandelnde Markt und der Kundenwunsch nach Echtzeitzahlungen, voraussehbaren Kosten und Transparenz.

Was folgt daraus?

Kombiniert man beide Faktoren und berücksichtigt noch den steigenden Aufwand infolge von Regulierung, Compliance und Digitalisierung, dann erhöhen diese Treiber die Kosten für alle Marktteilnehmer enorm. Das mündet in den „perfect storm of opportunity“, also den perfekten Zeit­punkt für eine Weiterentwicklung unseres Lösungsportfolios. Wir können unsere Dienstleistungen für unsere Mitglieder verbessern, indem wir die Herausforderungen angehen, mit denen sie konfrontiert sind, also Berechenbarkeit und Transparenz bieten und indem wir eine Plattform schaffen, die reibungslose Echtzeittransaktionen von Konto zu Konto überall auf der Welt ermöglicht.

Wofür braucht es dazu Swift?

Wir sind dafür einzigartig positioniert, denn unser gemeinschaftlicher Ansatz für Innovationen bedeutet, dass wir offen sind für die Zusammenarbeit mit Akteuren aus dem gesamten Ökosystem von Fintechs über neue Herausforderer, etablierte Finanzinstitute und Zentralbanken bis hin zu Marktinfrastrukturen. Zudem sind unsere Angebote verlässlich sowohl hinsichtlich der Kosten als auch der Durchführung, und wir nutzen die neuesten Technologien. Unsere neue Strategie ist darauf ausgerichtet, die Finanzindustrie zu­kunftssicher zu machen und die richtigen Grundlagen zu schaffen, um für die absehbare Zukunft kontinuierliche Innovationen voranzutreiben.

Ändert sich dadurch die Aufgabenstruktur von Swift?

Wir wollen den nächsten Schritt gehen und auf unserer starken Basis ein umfassendes Management von Transaktionen bieten. So stärken wir unsere Kerndienstleistungen: Wir gehen über die Übermittlung von Finanznachrichten hinaus und reichern diese mit zusätzlichen Daten und Mehrwertdiensten an. Bereits heute bieten wir beispielsweise Sanktionslisten- und Embargoprüfungen an mit dem Vorteil, dass Marktteilnehmer ihre compliancegetriebenen Dienste effizient bei uns abwickeln und eigene Innovationen und Produkte auf dieser Basis passend für ihre Kunden aufbauen können. Wir sehen unsere Rolle darin, eine sichere und robuste Infrastruktur mit State-of-the-Art-Prozessen anzubieten, die großen wie kleinen Marktteilnehmern ein effizientes Management von grenzüberschreitenden Transaktionen ermöglicht.

Kommt Swift damit nicht zu spät?

Im Gegenteil: Swift hat die Grundlage für diese Entwicklung geschaffen, und jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um sie weiter umzusetzen. In den letzten fünf Jahren hat die Global Payments Innovation (GPI) Initiative von Swift den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr grundlegend verändert. Die Entwicklung der Plattform von Swift baut auf dieser soliden Basis auf, um ein reibungsloses Management von Echtzeittransaktionen zu ermöglichen. Die Märkte sind reif dafür, die Technologien sind verfügbar und entwickeln sich dahingehend zunehmend weiter.

Was ist der Kern von GPI?

GPI von Swift ermöglicht es, Zahlungen Realtime zu verfolgen, schafft damit eine ganz neue Transparenz mit durchgängiger Nachverfolgung (End-to-End Tracking) und hat zu einer wesentlichen Beschleunigung grenzüberschreitender Zahlungen im Korrespondenzbankensystem beigetragen: 42% der grenzüberschreitenden Zahlungen im Netzwerk werden heute innerhalb von fünf Minuten durchgeführt, 56% innerhalb von 30 Minuten und fast 100% innerhalb von 24 Stunden. Das ist ein signifikanter Fortschritt in den vergangenen fünf Jahren. Wir ruhen uns auf diesem Erfolg aber nicht aus, sondern unterstützen die Finanzindustrie weiter.

Die Finanzindustrie ist aber auch nicht untätig geblieben, und viele Institute entwickeln eigene Technologien. Banken haben doch bereits massiv in Compliance und Compliance-Systeme investiert. Ist das nun überflüssig?

Jede Bank investiert für sich derzeit große Summen in verschiedene Projekte, wie etwa Financial Crime Compliance. Unser Ziel ist, in Bereiche zu investieren, in denen eine zentralisierte Lösung Vorteile für alle bietet, und die Kosten gleichmäßig auf alle Banken umzulegen. Das senkt die Gesamtkosten und den Arbeitsaufwand für jede Bank. Diesen Ansatz haben wir beispielsweise schon im Bereich der Referenzdaten für Zahlungen umgesetzt. In der Vergangenheit hatte jede Bank ihr eigenes, selbst aufgebautes Referenzdatensystem. Durch die Zentralisierung bei Swift haben die Institute von einer deutlichen Kostenersparnis profitiert. Das kann man auch bei regulatorischen Vorgaben oder Financial Crime Compliance erreichen.

Fokussieren Sie sich bei der neuen Strategie auf große Banken, die aber bereits hohe Investitionen in diesen Bereichen getätigt haben, oder eher auf kleinere Institute, die diesen Aufwand nicht mehr selbst stemmen können?

Wir betrachten stets das gesamte Spektrum der Community. Alle Entwicklungen werden vom Bedarf unserer Mitgliedsbanken getrieben. Manche unserer Dienstleistungen werden sowohl von großen als auch von kleinen Instituten nachgefragt, manche nur von der einen oder anderen Gruppe. Am Ende hängt es von der Infrastruktur und den Wünschen der jeweiligen Bank ab. Wir richten unser Angebot aber grundsätzlich an alle unsere 11000 Mitgliedsinstitute in 200 Ländern. Dabei bestehen durchaus auch symbiotische Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Instituten, denn oftmals sind die kleineren Institute Kunden der großen Häuser. Oftmals wollen Korrespondenzbanken, dass ihr Netzwerk sicherer wird, indem kleinere Häuser das Swift-Netzwerk nutzen und somit Sicherheit und Compliance für die gesamte Finanzindustrie erhöht werden.

Ein zentrales System wie Swift reduziert die Kosten für alle. Können Sie das quantifizieren?

Das ist sehr unterschiedlich je nach dem Ausgabenniveau und der Größe eines Instituts. Als von unseren Mitgliedern getragene Kooperative streben wir nicht nach Gewinnmaximierung, sondern danach, unsere Branche so effizient und kostenbewusst wie möglich zu unterstützen.

Swift strebt die Transformation von einem reinen Messaging Provider zu einem Anbieter von Transaction Management mit Mehrwertdiensten an. Dringt Swift da nicht in ureigenes Bankgeschäft ein und wird zu deren Wettbewerber?

Wir haben unsere Strategie in Zusammenarbeit mit den Banken erarbeitet und sie dabei genau befragt, was sie von uns erwarten. Wir gehen dabei keineswegs in den Bereich der Bankprodukte und bieten Kredite oder Ähnliches an. Wir stellen aber die Technologie für sofortige und friktionslose Transaktionen. Die Banken sind frei, diese für Konto-zu-Konto-Zahlungen in Echtzeit weltweit zu nutzen. Etwa 60 Länder haben bereits im Inland die eine oder andere Form von Realtime-Zahlungen implementiert, und wir können das dann auf ein grenzüberschreitendes Niveau heben. Darauf aufbauend können Banken wiederum neue Produkte und Dienstleistungen anbieten. Insofern sind wir kein Wettbewerber der Banken, sondern ein sehr aktives Mitglied der Bankencommunity für die Entwicklung des Zahlungsverkehrs der Zukunft. Das hilft den Banken, bei der eigenen Evolution die neuesten Kundenanforderungen zu erfüllen, die Kosten mit Blick auf Compliance zu senken oder die Interoperabilität zwischen den eingangs beschriebenen Insellösungen herzustellen.

Braucht es dank Swift überhaupt noch ein Korrespondenzbankennetzwerk?

Das Korrespondenzbankensystem ist weiterhin gesund und munter, und der Ausbau unserer Strategie zum Transaktionsmanagement bringt zeitnahe, friktionsfreie und simultane Transaktionen auf den Stand des digitalen Zeitalters. Das wird es großen Banken ermöglichen, kleineren Instituten zusätzliche Dienstleistungen anzubieten. Kleinere Häuser erhalten wiederum besseren Zugang zum weltweiten Finanzsystem und bekommen auch ein besseres Verständnis dafür, was Kunden wünschen und benötigen.

Banken sind doch bereits mit Swift via API etc. verbunden. Wozu braucht es da noch eine neue Plattform?

Die Plattform hat drei Kategorien. Erstens: Transaction Management. Heute übermitteln wir einen „elektronischen Brief“, in Zukunft werden wir die eigentliche Transaktion managen. Das ist der Kern der neuen Plattform. Zweitens: Unsere Mehrwertdienste mit der Global Payments Innovation (GPI) Initiative an erster Stelle. Sie stärken nicht nur mit Sanctions und Name Screening die Financial Crime Compliance, sondern be­schleunigen auch durch die Vorabvalidierung von Zahlungen den gesamten Zahlungsprozess. Das ermöglicht Banken dann eine Leverage für eigene Angebote. Da sind wir selbstverständlich auch offen für Partner, die ihre Dienste über das System beziehungsweise die Plattform anbieten. Drittens: Das Thema Connectivity.

Was bedeutet das?

Wir bieten zwar heute schon Schnittstellen (APIs) an, aber unser Ziel ist es, dass sich mehr und mehr Institute über APIs an die Transaction-Mana­ge­ment-Plattform anschließen. Wir betrachten dies aber als evolutionären Prozess. Denn wir wollen einerseits keine Nachteile für die „fastest movers“ schaffen, die sich schnell über APIs an die neue Plattform an­schließen wollen, andererseits aber auch jene nicht benachteiligen, die dafür noch etwas Zeit benötigen. Dieses in jede Richtung offene und interoperable System werden wir so lange aufrecht halten, bis die gesamte In­dustrie für eine Verbindung allein über APIs bereit ist.

Inwieweit wirkt Swift bei den vor allem von den Zentralbanken propagierten Initiativen zu Instant Payments mit?

Da sind wir sehr aktiv. Es gibt zahlreiche Gespräche mit Zentralbanken und Regulatoren, insbesondere mit dem bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) angesiedelten Ausschuss für Zahlungsverkehr und Marktinfrastrukturen (CPMI). Viele davon sind auch Swift-Nutzer. Sie haben die gleichen Ziele wie wir, denn wir sind im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr zu Hause und stellen auch inländischen Zahlungssystemen unsere Infrastruktur zu Verfügung, können also unsere Expertise einbringen. GPI ist ein wesentlicher Faktor, dies zu beschleunigen.

Viele Banken sind aber zurückhaltend, grenzüberschreitende Instant Payments zu implementieren oder zu nutzen. Liegt das an den relativ hohen Kosten, die Kunden dafür bezahlen müssen? Werden Zentralbanken Instant Payments daher verpflichtend einführen?

Grenzüberschreitende Zahlungen in Echtzeit sind sehr komplex mit vielen Hürden, die im inländischen Zahlungsverkehr nicht existieren. Einige liegen in der bankeigenen Infrastruktur. Dort können wir helfen, indem wir die Kosten auf die gesamte Bankencommunity umlegen. Dadurch wird es einfacher und kosteneffizienter für alle. Mit GPI können wir Korridore für grenzüberschreitende Echtzeit-Zahlungen aufbauen, die Devisenkontrollen oder Dokumentenanforderungen für Gelder, die aus einem fernen Land kommen, berücksichtigen. Die Finanzindustrie will in Richtung Instant Payments gehen, ob mit oder ohne klare Anweisung. Banken unterstützen uns dabei, diesen Weg mit ihnen zu gehen.

Swift will auch die Cloud nutzen. Wie weit sind Sie damit?

Banken, Unternehmen und Fintechs setzen zunehmend auf cloudbasierte Dienste, um die Gesamtbetriebskosten zu senken, die Agilität und Automatisierung zu verbessern sowie die Sicherheit und Compliance zu optimieren. Auch Swift hat in den letzten Jahren stark in die Entwicklung einer brandneuen Cloud-Infrastruktur in­vestiert, die in den kommenden Jahren das Rückgrat vieler unserer Produkte und Services sein wird.

Welche Cloud wird es?

Diese neue Cloud-Infrastruktur basiert auf der neuesten Container-Technologie, die die Geschwindigkeit beim Entwickeln, Testen und Bereitstellen innovativer Dienste zum Nutzen der Community deutlich erhöht. Diese Infrastruktur wird die technologische Grundlage für die neue Swift-Plattform bilden und als solche ein entscheidender Faktor für unser Bestreben sein, ein Transaktionsmanagement-Netzwerk zu werden. Darüber hinaus wird unser wachsendes Public-Cloud-Angebot unseren Kunden ermöglichen, Swift-Infrastruktur- und Konnektivitätskomponenten in Hyperscale-Public-Cloud-Plattformen wie Microsoft Azure, Google Cloud Platform und Amazon Web Services einzusetzen.

Das Interview führte