Oliver Bolton

„Wir haben nie aufgehört, Mittel einzusammeln“

Earthly hat Google als Investor gewonnen. Das Start-up von Oliver Bolton bietet Firmen, die sich auf Net Zero verpflichtet haben, die Möglichkeit, über den Emissionsausgleich hinauszugehen.

„Wir haben nie aufgehört, Mittel einzusammeln“

Andreas Hippin.

Herr Bolton, interessieren sich Investoren immer noch für Klima-Start-ups?

Es gibt viel Geld da draußen, um in grüne Initiativen zu investieren. Aber ich höre oft von einer Minimalsumme von 50 Mill. Pfund, und ich kann mir vorstellen, dass das an der erforderlichen Due Diligence und dem Verwaltungsaufwand liegt. Sonst würde ein Fonds diese Belastung nicht auf sich nehmen. In diesem grünen Marktsegment gibt es mit Sicherheit mehr Start-ups als Scale-ups.

Hatten sie in letzter Zeit beim Fundraising mit Problemen zu kämpfen?

Wir haben nie aufgehört, Mittel einzusammeln. Wir hatten bislang das Glück, dass die Investoren im Segment Climate Tech immer noch ordentlich Appetit hatten. Wir gehen gerade in unsere „Series A“-Finanzierungsrunde. Es wird noch ein paar Monate dauern, bevor das richtig losgeht. Was ich von anderen Firmen höre, die gerade dabei sind, ist, dass das Segment Climate Tech viel widerstandsfähiger ist als andere Segmente. Das ist vielversprechend.

Wer sind ihre Kunden?

Firmen aller Größenordnungen. Der Schwerpunkt liegt auf größere Unternehmenskunden, deren Ge­schäft typischerweise auch die größten Auswirkungen auf unser Klima hat. Viele haben sich öffentlich auf Net Zero verpflichtet. Jetzt müssen sie das Versprechen einlösen und haben deshalb ein Gefühl der Dringlichkeit.

Wie stellen sich sicher, dass sie über qualitativ hochwertige Zertifikate verfügen?

Die einfache Antwort lautet: Je neuer das Zertifikat, desto besser, insbesondere unter Qualitätsgesichtspunkten. Als Faustregel versuchen wir, die neuesten Zertifikate bestimmter Projekte zu kaufen. Ein Teil dieser Projekte ging vor zehn oder 15 Jahren an den Start. Nun gibt es neue Technologien, die ein besseres Monitoring ermöglichen. Uns hilft das, die Projekte mit größerer Integrität und besserer Qualität zu identifizieren.

Wie?

Wir haben ein Scoring-System entwickelt, das sich die CO2-Vermeidung, Biodiversität und die sozialen Auswirkungen verschiedener Projekte ansieht. Und schon innerhalb des Verra-Standards (Verified Carbon Standard), der unter Reputationsgesichtspunkten einer der populärsten zu sein scheint, sehen wir aus unserer Analyse, dass es bei der Qualität eine große Bandbreite gibt. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass das Geld unserer Kunden an die besten Projekte mit den neuesten Zertifikaten geht.

Wie verarbeiten Sie die ganzen Daten?

Wir haben ein Python-Tool für maschinelles Lernen entwickelt, das öffentliche Dokumente überprüft, nach bestimmten Schlüsselwörtern sucht und uns Hinweise dazu liefern kann, was wir für hohe Qualität halten. Dann führen wir eine de­tailliertere Be­wertung durch, die wir mit unseren wissenschaftlichen Beratern entwickelt haben, die in unserem wissenschaftlichen Beirat sitzen. Dabei sehen wir uns die Auswirkungen auf Emissionen, Biodiversität und so­ziale Folgen von Projekten an. Wir nutzen auch an­dere Datenquellen wie die rote Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources). Wir beziehen das mit ein und erzeugen neue Scores. Dann gehen wir auf die Entwickler der Projekte mit den höchsten Werten direkt zu.

Ist das in erster Linie eine Übung in Big Data?

Für die detaillierte Bewertung ist viel Handarbeit erforderlich. Wir sehen uns an, wie wir das automatisieren können. Aber am Ende muss ein Analyst eine ganze Menge Zeit darauf verwenden, Dokumente und Datenquellen durchzugehen und zu verifizieren. Wir arbeiten auch mit anderen Analytikfirmen zusammen, die ihre eigenen Analysen erstellen. Wir führen die Daten zusammen, um eine detailliertere Auflösung zu bekommen und zu erkennen, ob etwas gut ist oder nicht.

Sie gehen also die Extrameile…

Teil meines Jobs ist, Firmen dazu zu ermuntern, vom reinen Emissionsausgleich wegzukommen und durch Investments einen fast schon positiven Einfluss auf den Planeten auszuüben. Zu uns kommen Unternehmen, die nahezu regenerativ sein und netto positive Auswirkungen erreichen wollen. Sie wollen Naturinvestments in ihre Geschäftsmodelle integrieren, indem sie einen bestimmten Teil ihres Umsatzes oder Gewinns investieren. Diese zeitlich unbegrenzten Natur-Integrationen sind wirklich aufregend.

Wie muss man sich das vorstellen?

Wie das aussehen kann, hängt von der Unternehmensgröße ab. Für gewöhnlich suchen sich die Firmen drei oder vier Projekte aus, die zu ihren Werten passen. Eins davon kann lokaler Natur sein, so dass sie es mit ihren Mitarbeitern und Kunden besuchen können. Wir informieren sie über die Wirkung, die ihr Investment hat. Zudem erhalten sie dafür verifizierte CO2-Zertifikate. Wir bewegen uns auch zunehmend in Richtung verifizierte Biodiversitätszertifikate. Das kann einen Beitrag zu den eingegangenen CO2-Verpflichtungen liefern.

Gibt es denn schon Biodiversitätszertifikate?

Verifizierte Biodiversitätszertifikate sind ein faszinierendes Thema. Es ist viel komplexer als CO2. In Großbritannien ist bei großen Bauvorhaben nun ein Beitrag zur Biodiversität rechtlich vorgeschrieben. Das dürfte zu einem Kickstart für die Branche beitragen. Ich habe mit einem Projekt namens Highlands Rewilding gesprochen, die innerhalb von sechs Monaten mit einem Biodiversitätszertifikat an den Markt gehen wollen. Dann ist da noch der Woodland Trust und ein paar andere, die Initiativen gestartet haben. Ich denke, dass wir bereits vor Jahresende die ersten Zertifikate sehen werden.

Wie finden Sie Ihre Projekte?

Wir arbeiten mit Projekten anderer. Wir haben bislang keine eigenen Projekte. Üblicherweise kommt ein Unternehmen mit einer Net-Zero-Strategie an unseren Marktplatz, um nach qualitativ hochwertigen Zertifikaten, die mit den Firmenwerten übereinstimmen, zu suchen und eine authentischere Partnerschaft einzugehen. Wir haben immer mehr Unternehmen, die unsere Anwendungsschnittstelle (API) nutzen, um diese Natur-Investments zu automatisieren. Das lässt sich als Belohnung dafür nutzen, wenn jemand ein Produkt kauft, oder als Anreiz, etwas zu tun, etwa eine App herunterzuladen. Umgekehrt kann es damit verbunden sein, einen bestimmten Anteil des Umsatzes oder Gewinns regelmäßig zu investieren.

Woher kommt der Umsatz von Earthly?

Wir werden in Apps und Plattformen anderer integriert. Der Umsatz stammt aus Transaktionsgebühren. Wir berechnen für jedes Investment in Natur-basierte Projekte eine Gebühr von 20 %. Das deckt die Kosten und enthält eine kleine Marge für uns. Wir sind dabei komplett transparent. Normalerweise tätigen wir Sammelbestellungen bei den Projektentwicklern, um Preisnachlässe zu erhalten, die wir an unsere Kunden weitergeben. Die Gebühren, die wir nehmen, werden meist von den Rabatten ausgeglichen, die wir herausholen können. Der Marktplatz, unmittelbare Käufe und laufende Subskriptionen über die API sind der größte Teil unseres Geschäfts. Es gibt aber noch einen dritten Bereich: der Start neuer Projekte. Dabei bringen wir lieber Projektentwickler und Unternehmen zusammen, als unsere eigenen Projekte zu machen, denn unsere Expertise liegt woanders. Im Prinzip geht es um eine Vorauszahlung, die den Start eines neuen Projekts befördert, der üblicherweise bei Erreichen bestimmter Meilensteine weitere Zahlungen folgen. Am Ende werden dem Investor zu einem festen Zeitpunkt in der Zukunft eine bestimmte Mindestzahl von CO2-Zertifikaten zu Verfügung gestellt. Und wenn Investoren zusätzliche Zertifikate haben, die sie nicht benötigen, dann können sie unseren Marktplatz nutzen, um sie an Firmen mit unmittelbarem Bedarf zu verkaufen.

Wie haben Sie es geschafft, sich auf diesem Markt zu etablieren?

Wir haben unsere Reputation langsam aufgebaut. Unser Fokus liegt weiterhin darauf, Vertrauen aufzubauen. Wir haben Glück gehabt. Wir hatten am Anfang Kunden wie Caixabank, die uns wirklich unterstützt haben. Mittlerweile haben wir 380Unternehmen, mit denen wir arbeiten. Immer wenn wir mit einem größeren Kunden arbeiten, erzeugt das mehr Vertrauen. Seit einem Jahr haben wir einen wissenschaftlichen Beirat. Wir haben viel von ihnen gelernt. Wir setzen den Weg fort, unser Scoring, unsere Arbeitsweise, selbst die Architektur unseres Geschäfts zu verbessern. Derzeit sehen wir uns an, wie wir ein öffentliches Verzeichnis (public ledger) aller Transaktionen haben können, die wir tätigen, um weiter Vertrauen und Transparenz durch unser Geschäft aufzubauen.

Wie sind Sie an Ihre ersten Kunden gekommen?

Es war schwierig. Wir haben zuerst mit kleineren Firmen gearbeitet. Da gab es eine Marktlücke: sich auf hochwertige Zertifikate zu konzentrieren, mit dem dazugehörigen Storytelling und der wissenschaftlichen Analyse. Diese Differenzmerkmale haben uns ermöglicht, loszulegen. Mein Hintergrund liegt in der Nahrungsmittel- und Getränkebranche und in der Gesundheitsbranche. Das sind sehr herausfordernde Märkte. Man muss alles richtig hinbekommen, vom Branding über die Werbung bis hin zur Vermarktung und dem Team, wenn man Erfolg haben will. Ich habe versucht, diese Erfahrungen auf Earthly zu übertragen. Als Markeneigner kann ich mich auch in einen Fabrikanten hineinversetzen, weil ich meine eigenen Produkte an den Start gebracht habe, meine eigenen Marken und damit auch mein Netzwerk. Dadurch, und durch die B Corp Community, habe ich einige unserer ersten Kunden gefunden. Meine erste Firma, Waterbomb, war 2015 eine der ersten UK B Corps. Dadurch habe ich diese Gruppe wirklich kennengelernt. CO2-Analyse und Offsetting sind eine der Anforderungen, die etwa acht der 18 Punkte liefert, die man erfüllen muss, um eine B Corp zu werden.

Woher kam am Anfang das Geld?

Ganz am Anfang von Freunden und Familienmitgliedern. Wir haben einen Angel Investor aus den USA, der sich sehr für den Klimaschutz engagiert. Wir hatten Glück. Das ist eine Sache, für die sich Leute begeistern. Wir hatten 2020 unseren ersten institutionellen Investor: Evenlode Capital. Es war großartig, von Evenlode und One Planet Capital validiert zu werden. Und vor kurzem hat Google durch ihren neuen Impact-Fonds investiert. Wir waren eines der ersten Investments, das sie getätigt haben. Wir arbeiten seit ungefähr zwei Jahren mit Google. Sie haben uns unterstützt und beraten. Wir suchen nach Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Sie tun große Dinge, um ihren historischen und aktuellen CO2-Fußabdruck auszugleichen, möglicherweise durch Zertifikate. Also versuchen wir, sie von hochwertigen Natur-basierten Zertifikaten zu überzeugen.

Wie arbeiten Sie bei Earthly?

Wir sind komplett remote. Wir verwenden Slack, Notion und die Business-Tools von Google. Wir haben viele Berater und Leute, die für Techfirmen arbeiten, getroffen, die gerne weniger Gehalt in Kauf nehmen würden, um ihre Karriere in Richtung Impact weiterzuentwickeln. Ich war absolut beeindruckt von der Qualität der Bewerber auf unsere jüngsten Stellenausschreibungen.

Ist Remote-Arbeit denn effizient?

Ich habe festgestellt, dass man mit einem Remote-Team konzentrierter arbeitet. Wir haben keine Veränderung des Outputs beobachtet, als wir vor einem Jahr die Vier-Tage-Woche eingeführt haben. Es ist wirklich effizient. Es gibt keinen Anreiz, Dinge auf die lange Bank zu schieben. Wir haben die Kennziffern verfolgt und von allen Feedback eingeholt. Für uns ist das ein echter Erfolg.

Gibt es weitere Vorteile?

Mir gefällt an der Remote-Arbeit, dass ich mit weit mehr Risikokapitalgebern aus aller Welt sprechen kann. Wenn man in London zwei nichtvirtuelle Meetings am Tag hat, ist der Tag gelaufen. Online kann ich in der Zeit acht Meetings mit Venture-Capital-Gesellschaften aus aller Welt haben. Ich habe den Eindruck, die effizientesten Jahre meiner Karriere erlebt zu haben. In den vergangenen Jahren habe ich so viel geschafft wie nie zuvor, die Zeit am besten genutzt. Ich habe es geliebt. Aber mir ist klar, dass das nicht für jeden gilt.

Wie wichtig sind Kunden aus der Finanzbranche für Sie?

Wir haben einige Pensionsfonds und Risikokapitalgesellschaften unter unseren Kunden. Bei unseren Gesprächen mit ihnen geht es um ihre Scope-3-Verpflichtungen und ihre Portfolio-Unternehmen. Fintech ist für uns ein wichtiger Sektor. Wir haben auch mit großen Banken über Origination gesprochen. Sie machen sich Sorgen um ihre Net-Zero-Verpflichtungen und darüber, hohe Qualität zu einem fairen Preis zu bekommen.

Gibt es vergleichbare Firmen?

In Großbritannien gibt es zwei Firmen: Sylvera und Bezero, aber sie konzentrieren sich nur auf CO2.

Was war Ihre letzte Neuentwicklung?

Wir haben ein Visualisierungs-Tool entwickelt. Als Unternehmen kann man damit vier Projekte aussuchen, in die man investieren will. Vier Ökosysteme: Seetang, Regenwald, Man­grovenwälder, regenerative Landwirtschaft. Sie werden als Teile einer Insel dargestellt. Die Größe des Ökosystems hängt davon ab, wie viel man investiert. Wenn man mehr investiert, wachsen die Ökosysteme auf der Insel. Das Tool ist fertig und wird in den kommenden Wochen an den Start gehen.

Das Interview führte

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