Christophe Braun

„Aktien­märkte bleiben volatil“

Nach Meinung von Christophe Braun, Investment Director von Capital Group, bietet das derzeit volatile Umfeld gute Möglichkeiten für die aktive Aktienauswahl.

„Aktien­märkte bleiben volatil“

Christopher Kalbhenn.

Herr Braun, befinden sich die Aktienmärkte Ihrer Einschätzung nach in der Nähe ihres Bodens, oder sehen Sie noch Abwärtspotenzial?

An den Aktienmärkten spielen derzeit sehr viele Faktoren eine Rolle. Wir haben die geopolitische Unsicherheit. Wenn sich der Krieg in der Ukraine noch länger fortsetzt, wird das einen erheblichen Einfluss auf den Euroraum haben. Ferner sind wir nun in einer Phase konstant hoher Inflation. Sie ist höher und resilienter, als viele, auch die Zentralbanken, gedacht haben. Die Zentralbanken gehen der Inflation jetzt an den Kragen. Die Fed und die Bank of England haben schon losgelegt, die EZB fängt demnächst an.

Was wird die EZB Ihrer Einschätzung nach machen?

Sie wird den Leitzins in diesem Monat um 25 Basispunkte anheben. Das ist ein Meilenstein, noch liegt der Leitzins bei − 0,50%. Zudem hat sie signalisiert, dass sie den Leitzins gegebenenfalls auch schneller anheben könnte. Dann wären wir bei null. In diesem Umfeld bleiben die Aktienmärkte kurzfristig volatil. Anhaltend hohe und häufige Zinserhöhungen können sich nachteilig auf Wachstumsunternehmen mit langer Laufzeit auswirken, die sich in den letzten Jahren sehr gut entwickelt haben. Die Zinserhöhungen in diesem Jahr haben dies bereits gezeigt.

An den Aktienmärkten grassiert Rezessionsfurcht. Wie sehen Ihre konjunkturellen Erwartungen aus?

Europa beziehungsweise der Euroraum halten sich trotz der Lieferkettenprobleme und der Gas- und Ölverknappung sehr gut. Das gilt sowohl für den Herstellungs- als auch für den Dienstleistungssektor. Wir rechnen für den Euroraum für dieses Jahr mit einem BIP-Wachstum zwischen 2,5% und 3%. Trotz all der Unsicherheiten werden wir selektiv positive Zeichen sehen, vor allem im Dienstleistungssektor. In den zurückliegenden zehn Jahren betrug das Wachstum im Durchschnitt 1%. Somit wäre der Euroraum in diesem Jahr eigentlich sehr gut aufgestellt.

Ist die Korrektur beziehungsweise der Bärenmarkt eine Übertreibung?

Wir haben vor allem in Growth-Aktien, etwa in den Technologie- und Konsumsektoren, Korrekturen gesehen. Wir glauben, dass diese Kor­rekturen notwendig sind, denn wir haben von einer Auswalzung der Bewertungen gelebt. Für uns als ­fundamental researchorientierte Stock Picker ist das aktuelle Umfeld interessant, weil es wieder um die Gewinne geht und nicht nur um eine Bewertungsexpansion. In einem volatilen Umfeld vergrößert sich die Spanne zwischen relativ teuren und relativ billigen Unternehmen, so dass sich eine Vielzahl von Möglichkeiten für eine aktive Aktienauswahl ergibt. Wir haben wieder die Chance, selektiv zu sein und uns konkret mit den Fundamenten auseinanderzusetzen.

Wodurch zeichnete sich das bisherige Umfeld aus?

In den zurückliegenden zwölf Jahren mit Helikopter-Geld und billigem Wachstum auf Basis niedriger Zinsen konnte man als Unternehmen und als Investor mehr Risiken eingehen. Jetzt wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Wir kommen in ein Umfeld, in dem man genauer hinschauen muss, wie gut sich die Unternehmen bei diesen Herausforderungen schlagen beziehungsweise wie sie sich darauf einstellen und wo es Chancen zu erschließen gibt.

In welchen Bereichen sehen Sie Chancen?

Wir schauen beispielsweise auf einzigartige Geschäftsmodelle neuer etablierter Unternehmen, deren Produkte in den privaten Haushalten nicht mehr wegzudenken sind. Dazu zählen Internet-Unternehmen. Heute konsumieren wir Internet wie Gas und Wasser. Internet-Unternehmen sind disruptive Versorger. Das sind Unternehmen, denen es gelingt, erfolgreich zu sein, und die aufgrund der Art und Weise, wie wir kon­sumieren, weiter expandieren, die also strukturelles Wachstum auf­weisen.

Gerade Growth-Aktien haben unter den steigenden Zinsen gelitten. Ist das nicht ein Problem für die Aktienmärkte?

Man muss im Hinterkopf haben, dass sowohl eine gesunde Inflation als auch steigende Zinsen nicht unbedingt etwas Schlechtes für die Aktienmärkte sind. Bei gesunder Inflation und einem gesunden Zinsanstieg entwickeln sich die Aktienmärkte gut. Auch lassen sich in einem solchen Umfeld Unternehmen finden, die sich aufgrund ihrer Ge­schäftsmodelle sehr erfolgreich schlagen. In einer Phase höherer Inflation ist es sehr wichtig, Unternehmen im Portfolio zu haben, die Preissetzungsmacht haben, Unternehmen, die in der Lage sind, durch ihr Branding – etwa im Luxus- und Basiskonsumbereich – Kostenerhöhungen eins zu eins an die Verbraucher weiterzugeben. Diese Unternehmen zahlen in der Regel auch Dividenden und können auf eine lange Geschichte von Cash-Erträgen und soliden Kapitalallokationsentscheidungen zurückblicken. Diese Art von Unternehmen kann in Zeiten volatilerer Märkte eine defensivere Rolle im Portfolio spielen. Solche Unternehmen findet man auch im Halbleiterbereich.

Ist das denn nicht ein eher zyklischer Bereich?

Halbleiter werden heutzutage in fast jeder Branche – vom Gesundheitssektor bis hin zur Autobranche – gebraucht. Die Nachfrage steigt, das Angebot nicht in gleicher Weise. Manche Halbleiterhersteller haben 25000 Patente. Sie sind hoch spezialisiert, Unternehmen sind auf sie angewiesen, weil Geschäftsmodelle auf die Halbleiter abgestellt sind. Als Folge sind die Margen hoch. Auch in einem Umfeld mit Herausforderungen gibt es immer noch Unternehmen, die in der Lage sind, dieses Wachstum zu generieren. Unser Fokus liegt auf Growth und strukturelles Wachstum, auf Unternehmen mit wiederkehrenden Ertragsströmen, die auch konstant gute Dividenden auszahlen können. Der Tech-Bereich ist weniger zyklisch geworden.

Auch in Rezessionen?

Viele Regionen sind in einem späten Zyklus. China wird sich nach unserer Einschätzung der Rezession nähern. In den USA ist der Arbeitsmarkt ein wichtiger Faktor. Hier stellt sich die Frage, ob es zu noch mehr Lohnwachstum kommen wird und ob die Fed die Inflation in den Griff bekommen wird. Für uns wird entscheidend sein, wie sich die Unternehmen schlagen, wenn eine Rezession – von der Deutschland und Europa unserer Meinung nach noch anderthalb Jahre entfernt sind – kommt. Wir rechnen mit einer moderaten Rezession. Wenn man ein breit aufgestelltes Portfolio hat, kann man sehr gut durch eine Rezession kommen. Rezession heißt nicht: keine Aktien. Wenn man in zurückliegenden Marktzyklen investiert geblieben ist, hat sich das stets gelohnt. Wir glauben, dass dies auch dieses Mal der Fall sein wird.

Welche weiteren Bereiche oder Themen finden Sie interessant?

Dividendenstarke Unternehmen, die sich auch in schwächeren Phasen gut schlagen und Dividendenwachstum bieten. Dividenden werden in einem Niedrigzinsumfeld gebraucht. Die Zinsen werden zwar steigen, aber insgesamt gesehen niedrig bleiben. Es sind nicht mehr nur Old-Economy-Unternehmen, die attraktive Dividenden und Dividendenwachstum bieten, sondern beispielsweise auch Halbleiterunternehmen.

Das Interview führte

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