Dax-Miterfinder Frank Mella

„Fürchterlicher Monat für den Dax“

Der September ist häufig ein schwieriger Monat für den Dax. Da sich deutsche Aktien derzeit in einem perfekten Sturm befinden, ist ein Einbruch des Dax in den kommenden Wochen wahrscheinlich.

„Fürchterlicher Monat für den Dax“

Von Werner Rüppel, Frankfurt

Es sind vor allem zwei Faktoren, die den deutschen Aktienmarkt in den kommenden Wochen belasten werden. Zum einen weist der Dax im Jahresverlauf ein ausgeprägtes saisonales Muster auf, und „der September ist für den Dax ein fürchterlicher Monat“, sagt Frank Mella, der Mitte der 1980er Jahre als Redakteur der Börsen-Zeitung den Dax mit entwickelte. Zum anderen hat sich das fundamentale Umfeld für deutsche Aktien seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine massiv verschlechtert. So ist die Inflation in die Höhe geschnellt, die Notenbanken haben begonnen, ihre Leitzinsen zu erhöhen, und weitere deutliche Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Fed stehen unmittelbar bevor.

Gleichzeitig steht Deutschland mitten in einem perfekten Sturm, denn die Wirtschaft ist mit einer massiven Energiekrise nebst einer Explosion der Preise für Strom, Gas und auch Öl konfrontiert. „Wenn im angelsächsischen Raum die deutsche Energiepolitik als die verrückteste (‚craziest‘) der Welt bezeichnet wird (auch wegen der Stilllegung der AKWs), so ist dies durchaus zutreffend“, kommentiert Fondslenker Jens Ehrhardt die Entwicklung. Insgesamt dürfte diese Gemengelage in eine Rezession führen, die durchaus erheblich ausfallen kann und zugleich die Unternehmensgewinne merklich drücken wird. Auch dass die Zahl der Insolvenzen klar steigt, ist vor dem geschilderten Hintergrund durchaus wahrscheinlich.

Der Dax ist übrigens ein sehr zyklischer Index, der in seiner Historie massive Einbrüche verzeichnet hat. So büßte das deutsche Börsenbarometer im Jahr 2002 satte 43,9% an Wert ein und im Jahr 2008 hohe 40,4%. Aktuell liegt der Dax nur rund 19% unter dem Schlussstand des vergangenen Jahres von 15885 Punkten. Ein im Vergleich mit früheren Einbrüchen massiver Crash des Dax ist also noch nicht erfolgt, obwohl sich das monetäre und das fundamentale Umfeld für Aktien merklich eingetrübt hat. Anders gewendet: Die Risiken am Aktienmarkt sind extrem hoch, nach jahrelanger Hausse hat eine Marktbereinigung wohl noch nicht stattgefunden.

Parallelen zu 2008

Die US-Investmentbank Lehman Brothers ging im Jahr 2008 übrigens am 15. September insolvent, und viele Marktkorrekturen am Aktienmarkt sind in der Vergangenheit nach Abschluss der Sommerpause erfolgt. Einbrüche im September von 18,1% im Jahr 1990, 17,0% im Jahr 2001, 25,4% im Jahr darauf und 9,2% im Jahr 2008 zeigen, wie schwierig der September häufig ist. Mitunter korrigiert der deutsche Aktienmarkt auch schon im August, insbesondere, wenn zuvor die Kurse bis zum Sommer heiß laufen. Jedenfalls weisen August und September im langjährigen Mittel ein Performance-Minus von 2,1% bzw. 2,4% auf. Der Oktober ist zwar seit dem Markteinbruch am 19. Oktober 1987 als Crashmonat berüchtigt, zeigt aber in den vergangenen Jahren eine positive Entwicklung.

Mehrere Strategen sehen nun in der aktuellen Energiekrise Parallelen zur großen Finanzkrise 2008 und erwarten eine ähnliche Entwicklung. „Die Taktung im Sentiment ist frappierend ähnlich“, sagt Patrick Hussy, Geschäftsführer des Analysehauses Sentix. Jedenfalls signalisiert die Sentix-Investorenumfrage, dass das Grundvertrauen der Anleger in Aktien eingebrochen ist. „Der Stimmungseinbruch für europäische Aktien am aktuellen Rand ist durchaus vergleichbar“, erläutert Hussy. „Bleiben die Parallelen intakt, könnte der Aktienmarkt nur noch wenige Tage Schonfrist haben, bevor er endgültig nach unten dreht.“ Der Vergleich zum Jahr 2008 belege, dass es noch genug Handelspielraum nach unten gebe.

Vielleicht befinden sich die Aktienmärkte nach der deutlichen Erklärung von US-Notenbankpräsident Jerome Powell in Jackson Hole und den Äußerungen von Ratsmitgliedern der Europäischen Zentralbank, dass jetzt auch in Euroland deutliche Leitzinsanhebungen von zum Beispiel 75 Basispunkten bei der anstehenden EZB-Sitzung nötig sind, auch schon mitten in einem ausgeprägten Markteinbruch – zumal sich die Energiekrise beinahe täglich zuspitzt und keine Entspannung in Sicht erscheint. Hinzu kommen Probleme wie bei der Ausgestaltung der Gasumlage.

Doch noch einmal zurück zum saisonalen Muster des Dax im Jahresverlauf. Dass Aktienmärkte vor allem im ersten Halbjahr zulegen und dass von August bis Oktober eine eher schwierige Zeit ist, gilt auch für den amerikanischen Aktienmarkt und die Börsen anderer westlicher Länder.

Auslöser Energiekrise

Für dieses saisonale Muster gibt es auch gute Gründe, die nicht zuletzt in den Zahlungsströmen liegen. So ist an den Märkten zu Jahresbeginn oft sehr viel frisches Geld vorhanden, das auch nicht durch Börsengänge oder durch Kapitalerhöhungen absorbiert wird. Diese finden meist erst im Laufe des Jahres statt, wenn auch ein Abschluss für das vorherige Geschäftsjahr vorliegt.

In Deutschland und in Europa stützen dann auch im Frühjahr die Dividendenzahlungen der Unternehmen den Aktienmarkt und sorgen bis in den Sommer für frische Gelder, die investiert werden wollen. Im Sommer ebbt der Dividendenfluss ab. Dann kann es an den Märkten gefährlich werden, insbesondere wenn diese heiß gelaufen oder hoch bewertet sind.

Der September ist zwar an der Börse ein gefährlicher Monat, doch brechen die Kurse am Aktienmarkt nicht einfach nur deshalb massiv ein, weil gerade September ist – das wäre dann doch zu einfach. Es braucht immer auch einen Auslöser. In diesem Jahr sind solche Auslöser für eine deutliche Marktkorrektur jedenfalls reichlich vorhanden: Energiekrise, Inflation, Zinswende und bevorstehende Rezession.

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