Elliot Hentov

„Jetzt muss man auch eine aktive Strategie fahren“

Die Fondsgesellschaft State Street sieht Nachholbedarf bei chinesischen Assets. Der Anteil in internationalen Portfolios fällt laut Policy-Research-Chef Elliot Hentov viel zu gering aus.

„Jetzt muss man auch eine aktive Strategie fahren“

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Die Investmentgesellschaft State Street mit einem verwalteten Vermögen von rund 4 Bill. Dollar hat Anleger dazu angeregt, ihr Engagement in China zu überdenken. Während jedoch viele namhafte Assetmanager bei chinesischen Aktien und Anleihen in der aktuellen Lage zur Vorsicht oder gar zum Verkauf raten, empfiehlt Elliot Hentov, Head of Policy Research bei State Street, eine Aufstockung der Positionen. Der Anlageexperte führt dabei in erster Linie makroökonomische Gründe an.

Bedenken hinsichtlich einer Wirtschaftsabschwächung lässt Hentov nicht gelten. „Selbst wenn sich das jährliche BIP-Wachstum auf ein beständiges Niveau von 4 bis 5% verlangsamen würde, böte dies den Unternehmen viel Spielraum für ein attraktives Gewinnwachstum.“ Die Größe Chinas bedeute außerdem, dass die Unternehmen von einem größeren Binnenmarkt profitieren könnten. „Chinas Binnenwirtschaft ist größer als die aller anderen Schwellenländer zusammen.“

Problemfaktor Regulierung

Der Research-Chef des Vermögensverwalters sieht die Regulierung in China als eine echte Herausforderung. „Man muss aber genau unterscheiden, welche Branchen betroffen sind, und diese im Portfolio meiden. Gleichzeitig ist die Regulierung Rückenwind für andere Branchen“, sagt Hentov.

Die drei großen Problemzonen der chinesischen Regulierung ließen sich gut eingrenzen. Ein Thema sei die Zufriedenheit in der Bevölkerung, die unter einem zu großen Austausch mit dem Ausland leiden könnte. „In diesem Segment wird die Regulierung bestimmte Geschäftsmodelle zurückschrauben. Es geht nicht darum, den normalen Export zu drangsalieren, sondern die Interdependenzen mit dem Ausland zu bremsen.“

Kritisch sehen Regulierer in Peking zudem Einflüsse, die die Lebenshaltungskosten der Menschen in die Höhe trieben. „Das betrifft die Gesundheit, den Immobiliensektor und die private Bildung – die es in China praktisch nicht mehr gibt“, stellt Hentov mit Blick auf die einschneidenden Maßnahmen der Regierung fest. „Unter Druck kommen auch Firmen, deren Geschäftsmodell darauf abzielt, eine eigene Infrastruktur zu etablieren.“ Wenn Daten in einem großen Ausmaß gesammelt und verarbeitet würden, werde das vom Staat als systemrelevant angesehen. „Damit haben es IT-Plattformen schwer, besonders wenn sie mit dem Ausland verflochten sind. Zwei Drittel der Regulierungsvorhaben in China betrafen im vergangenen Jahr den Tech-Sektor.“

Kleiner Aktienmarkt

Bei Investments in chinesischen Aktien rät Hentov davon ab, einen breiten China-Index zu kaufen. „Das ist definitiv nicht mehr ratsam. Jetzt muss man auch eine aktive Strategie fahren.“ Dass Chinas Aktienbörsen im vergangenen Jahr eine sehr schwache Entwicklung genommen hätten, ändere nichts daran, dass der Markt strukturell unterbewertet erscheine. Die Aktienmarktkapitalisierung Chinas liege bei 82% des Bruttoinlandsprodukts und damit weit unter den Werten aller Industrieländer. „Dieses relativ niedrige Verhältnis bietet eine Hebelwirkung für China, da wir davon ausgehen, dass die Marktkapitalisierung im Verhältnis zum BIP bis 2025 das Niveau von 100% erreichen wird, was auf die Neuemissionen und das Wachstum des Marktes zurückzuführen ist.“

Ein Mangel an chinesischen Assets in den Portfolios besteht aus Sicht von State Street nicht nur im Vergleich zur Wirtschaftskraft, sondern auch relativ zur Größe des Finanzmarktes. „Gemessen an der Marktkapitalisierung hat China noch einen großen Aufholbedarf.“ Die chinesische Wirtschaft mache etwa ein Sechstel der Weltwirtschaft aus, aber chinesische Aktien nähmen im MSCI World auf Basis des Streubesitzes nur ein Gewicht von 4 % ein. Folglich falle der Anteil von Aktien aus der Volksrepublik auch in den internationalen Portfolios viel geringer aus als angemessen. „Dieses Ungleichgewicht ist auf Dauer strukturell nicht haltbar.“

Anleihen überzeugen

Anders als der Aktienmarkt lief der chinesische Bondmarkt 2021 gut. „Dazu haben die stabile Währung und die höheren Zinsen beigetragen. Allerdings gehen in China die Zinsen herunter, während sie in den USA steigen.“ Doch vieles spricht nach Einschätzung des State-Street-Experten weiter für chinesische Anleihen. „Es gibt in der Assetklasse einen enormen Nachholbedarf, denn selbst in Indien ist der Anteil des ausländischen Kapitals am Bondmarkt dreimal so hoch wie in China.“

Chinesische Anleihen hätten außerdem unter den Emerging Markets die niedrigste Korrelation zu anderen Anleihemärkten. „Damit ist der Diversifizierungseffekt enorm, den man aber nicht mit 2 bis 3% China-Bonds im Portfolio erreicht“, betont Hentov. Ausländische Anleger besäßen nur 3,2% des chinesischen Bondmarktes, so die Analyse. Im Vergleich dazu wiesen die Anleihemärkte in Brasilien und Russland zweistellige Beteiligungsquoten ausländischer Anleger auf.

Positive Bewertung für Yuan

Positiv sei zudem der Yuan zu bewerten. „Das Währungsrisiko von Investments ist in China strukturell geringer als in anderen Schwellenländern. Der Yuan hängt stark von politischen Entscheidungen ab und das Währungssystem Chinas ist einzigartig auf der Welt: offen für ausländisches Kapital, aber stark reguliert bis geschlossen für Inlandskapital.“ Es sei daher unwahrscheinlich, dass die Währung stark abwerten werde, da Peking dies zu verhindern suche. Unterm Strich sei China so groß und so dynamisch, dass sich Investitionen in das Reich der Mitte geradezu aufdrängten.

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