Corona-Politik

Lockdown hält China-Aktien gefangen

Chinas rigide Corona-Politik zeigt heftige Wirtschaftsschäden, die in Verbindung mit geopolitischen Unsicherheiten in eine Rezession münden könnten. Können geldpolitischen Lockerungen das Blatt wenden?

Lockdown hält China-Aktien gefangen

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Wer als gestandener Ökonom zu Jahresbeginn die Prognose abgegeben hätte, dass China im Frühjahr auf eine selbstverschuldete Rezession zuschlittern könnte, wäre vielleicht als Kandidat für die geschlossene Anstalt angesehen worden. Nun sind es aber ausgerechnet die von der Pekinger Zentralregierung verordneten Sperrungsmaßnahmen in chinesischen Großstädten, allen voran der Wirtschaftsmetropole Schanghai, die den Konjunkturelan in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft dermaßen abwürgen, dass Ökonomen mit ungewohnten Szenarien zu hantieren beginnen.

Hartnäckiges Festhalten

Tatsache ist, dass Pekings hartnäckiges Festhalten an der mittlerweile berühmt-berüchtigten Zero Covid Policy, also der Nulltoleranz gegenüber Corona-Ansteckungen, die Marktteilnehmer vor eine völlig neue Situation stellt. Chinas Staatsführung lässt diesmal nicht erkennen, dass sie sich, wie bisher gewohnt, einer grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Räson verpflichtet fühlt, mit der es über Jahrzehnte hinweg und auch durch die erste Coronakrise des Jahres 2020 hindurch gelungen ist, die Wirtschaft auf einem hohen Wachstumskurs zu halten. Muss das die Aktienanleger über Gebühr erschrecken?

Die wichtigsten Bestimmungsfaktoren für den Börsentrend sind über die Jahre hinweg einerseits die geldpolitische Linie der Zentralbank und ihrer Bereitschaft zu Zins- und Liquiditätsimpulsen gewesen, und andererseits die Tonlage der Pekinger Regierung. Dieser scheint es immer wieder zu gelingen, mit neu ausgerufenen Kampagnen und Fördermaßnahmen in bestimmten Sektoren von Immobilien über Elektromobilität, den Hochtechnologiebereich oder auch konsumverwandten Sektoren den Takt zu bestimmen und mit verbalen Botschaften die Leitindizes wieder aus dem Tal zu ziehen.

Ein besonders prägnantes Beispiel dafür ist der brutale Absturz der Märkte in Schanghai und Hongkong zur Märzmitte, als sich die Wirrungen um Chinas Haltung im Ukraine-Krieg mit der Nachricht von Omikron-Wellen in Shenzhen und dann auch Schanghai zu einer Panikwelle verdichteten, die aber nur zwei Tage anhielt. Dann reichte ein reichlich diffuser Versprechungskatalog der Regierung und Finanzregulatoren zu einer umsichtigen Corona-Politik, Rücksicht auf Investorenbedürfnisse und einem gemäßigteren Vorgehen gegenüber der Techbranche, um das Blatt genauso ruckartig wieder zu wenden. Seitdem befinden sich die Märkte in Schanghai, Shenzhen und Hongkong weitgehend auf einem Seitwärtstrend. Allerdings belasten mehrende Hiobsbotschaften zu Lieferkettenstörungen, Produktionsstopps und weiteren landesweit ausstrahlenden Lockdown-Beeinträchtigungen des Wirtschaftslebens.

Baldige monetäre Hilfe

Seitens der Regierung sind nun in immer kürzeren Abständen Verlautbarungen gefolgt, dass man zu „gegebener Zeit“ mit geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen auf die Konjunktureintrübung reagiere, neue Freigaben für Bondemissionen der Lokalregierungen zur Ankurbelung von Infrastrukturinvestitionen erteile und zudem fiskalische Pakete zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen schnüre. Am Donnerstag hat der neueste Verweis des Staatsrates auf baldige monetäre Hilfe, und damit entweder eine weitere Rücknahme der Mindestreservesätze für Geschäftsbanken oder ein leichtes Zurückschrauben der Benchmarkzinsen für Unternehmens- und Hypothekenkredite (vgl. Grafik) zumindest auf dem Festland Wirkung gezeigt. Dort zog der CSI-300-Index um 1,3% auf 4192 Punkte an und könnte im Zuge einer beherzteren Zinslockerung oder der Kombination mit einer Mindestreservesenkung an Fahrt aufnehmen.

Analysten geben allerdings zu bedenken, dass die geldpolitische Geste, wie schon bei Lockerungsschritten im Dezember und zuletzt Februar wenig an der grundsätzlichen Malaise ändern dürften, die von der Hängepartie mit ständig verlängerten und geografisch ausgedehnten Lockdowns und den Entwicklungen in der Ukraine ausgehen.

Schon wieder Schnäppchen

Zwar verweisen zahlreiche Aktienprofis darauf, dass chinesische Aktien von ihren historischen Bewertungsrelationen her gesehen wieder als Schnäppchen angesehen werden können und raten zum breiteren Wiedereinstieg. Die große Frage ist allerdings, ob das von der Nulltoleranzpolitik ausgehende Risiko einer Konjunkturabkühlung, die sich zu einer echten Rezession verdichtet, bereits eingepreist ist.

Just am Donnerstag haben die China-Watcher bei Credit Suisse ein Szenario vorgestellt, bei dem das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 5,9% anziehen und damit an das Tempo vor Ausbruch der Corona-Pandemie im Jahr 2019 anknüpfen würde. Damit läge man sogar noch deutlich über dem offiziellen Wachstumsziel für 2002 der Regierung von 5,5%, das nach Einschätzung der meisten Ökonomen als extrem ambitiös, um nicht zu sagen unrealistisch gilt. Bei Credit Suisse rechtfertigt man den Konjunkturoptimismus mit einem starken Schub der Anlageinvestitionen auch im derzeit stark eingetrübten Immobiliensektor, und der Einschätzung dass die Lockdown-Phase der Industrieproduktion wesentlich geringer zusetzen wird als dem Konsum. An diese Einschätzung koppelt sich dann auch die Perspektive von robusten Unternehmensgewinnen und Rally-Potenzial.

Beträchtliches Potenzial

Das Gros der Analysten setzt die Obergrenze für das diesjährige Wachstum bei 5%, allerdings dürfte die Konsensschätzung im Zuge fortgesetzter Lockdowns bis in den Mai hinein eher herabgesenkt werden. Bei Goldman Sachs rechnet man zwar damit, dass das diesjährige BIP-Wachstum in China nicht über 4,5% hinauskommen wird, sieht aber dennoch beträchtliches Kurspotenzial für chinesische Aktien zwischen 20 und 30%. Damit wird dem CSI 300 bis Jahresende ein Überschreiten der Marke von 5000 Punkten und eine Rückkehr zum Niveau vom Dezember 2021 zugetraut.

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