Türkei

Risikobehaftete Situation am Bosporus

Nach dem Erdbeben und vor den Wahlen ist die Gemengelage in der Türkei noch zu riskant und der Ausblick zu unsicher, um das Land – lokalwährungsseitig – wieder auf die Kaufliste zu setzen.

Risikobehaftete Situation am Bosporus

Von Ronald Schneider*)

Wieder einmal blicken Anleger und Anlegerinnen mit Spannung auf die Türkei. Zum einen aufgrund des furchtbaren Erdbebens, zum anderen aufgrund der wahrscheinlich im Mai stattfindenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, auf die vor allem jene hinfiebern, die nach neun Jahren autokratischen Regierens durch Recep Tayyip Erdogan einen politischen Systemwandel herbeisehnen. Darüber hinaus spielt das Nato-Land Türkei eine wichtige Mittlerrolle zwischen der Ukraine und Russland. In An­betracht dieser Gemengelage und der Wirtschaftspolitik ist die Sta­bilität der türkischen Lira erstaunlich.

Das entsetzliche Erdbeben, das Anfang Februar die Türkei an der Grenze zu Syrien erschüttert hat, hat auch enorme wirtschaftliche Auswirkungen auf die Türkei. Jüngste Kostenschätzungen gehen davon aus, dass das zerstörte Vermögen an die 4,5 bis 5% des BIP ausmachen könnte. Auf das Wirtschaftswachstum haben diese Zahlen ersten Schätzungen zufolge etwas geringere Auswirkungen. Hier gehen jüngste Prognosen davon aus, dass der negative Wachstumseffekt bei rund 1% liegen wird, denn in der betroffenen Region leben zwar rund 16% der Bevölkerung, ihr Beitrag zur Wertschöpfung ist allerdings kleiner als 10%. Allerdings werden sich die negativen Folgen auf der Budgetseite niederschlagen, denn allein die Rekonstruktionskosten werden enorm sein. Es könnte nach der Wahl Steuererhöhungen geben, doch diese Mittel werden bei weitem nicht ausreichen, um den Wiederaufbau zu bezahlen. Auch auf die Inflation, die derzeit bei 55% liegt, wird diese Entwicklung negative Effekte haben, der Inflationsrückgang wird weniger stark ausfallen als angenommen. Was die Außenwirtschaft betrifft, werden viele Importe im Bereich Baumaterialien, Chemiestoffe und einer Vielzahl anderer Güter notwendig sein. Das wird sich negativ auf die Handelsbilanz niederschlagen.

Lira relativ stabil

Schon seit langem ist die Türkei aufgrund ihrer unorthodoxen Geldpolitik in einer wirtschaftlich riskanten Situation. Das hat sich zuletzt nicht verbessert. Andererseits profitiert sie – in der Mittlerrolle zwischen Russland und der Ukraine und aufgrund der Tatsache, dass sie die Wirtschaftssanktionen des Westens nicht mitträgt – von positiven Effekten, die sich aus dem Krieg ergeben. So profitierte die Türkei von der Kapitalflucht aus Russland, aber auch von der Unterstützung, die es seitens der Golfstaaten bei den Devisenreserven gab. Durch deren Zur-Verfügung-Stellen von Devisen-Swaps, aber auch durch kreative Regeln der Notenbank und die Einführung von währungsgesicherten Spareinlagen ist es der Türkei gelungen, die Lira relativ stabil zu halten. Allerdings birgt dieser Spagat zwischen Nato-Mitgliedschaft, Vermittlerrolle im Krieg und dem Nichtmittragen der Sanktionen auch politische Risiken. Diese Risiken werden vom Kapitalmarkt derzeit zwar noch nicht thematisiert, stehen aber latent im Raum und könnten die Lira rasch unter Druck bringen.

Das Erdbeben hat Erdogan und die AKP in Bedrängnis gebracht, vor allem die forcierte Bautätigkeit verbunden mit dem Nichteinhalten von Vorschriften für erdbebensicheres Bauen. Auch wenn Erdogan u. a. einen schnellen Wiederaufbau versprochen hat, steht sein Krisenmanagement schwer in der Kritik und ist Munition für seine politischen Gegner. Diese sehen ihre Chancen wachsen, bei den Wahlen einen Systemwechsel herbeizuführen und der AKP und vor allem Erdogan die Macht zu entreißen. Es wird jedoch kein Selbstläufer, und einige Marktteilnehmer gehen schon von einer weiteren Regierungsperiode Erdogans aus. Denn dieser nützt derzeit seine Möglichkeiten, Wahlgeschenke zu verteilen. Positiv ist jedenfalls, dass die Institutionen der Türkei so stark sind, dass sich keine Partei und auch keine Person über ein eindeutiges Wahlergebnis hinwegsetzen kann. Ob dieses klare Ergebnis erzielt wird, ist ungewiss und sorgt natürlich auch für Besorgnis. Sicher ist jedenfalls, dass die beiden Seiten sehr unterschiedliche Ansätze hinsichtlich Wirtschafts- und Zinspolitik verfolgen. Für Währung und Zinsentwicklung ist das natürlich von hoher Relevanz.

Im Falle eines Sieges Erdogans wird es vermutlich zu einer Fortsetzung der unorthodoxen Wirtschafts- und Geldpolitik kommen. Der lokale Markt hat 2022 trotz negativer realer Zinsen sehr gut performt, was auch damit zu tun hat, dass die Notenbank die Zinsen gesenkt und selbst Staatsanleihen gekauft hat. So hat sie den Markt gleichzeitig von ausländischem Kapital abgeschottet und das Risiko innerhalb der Türkei von der einen Seite auf die andere verschoben, es aber nicht verschwinden lassen. Denn wenn die Zinsen jetzt sehr stark angehoben werden, hätte das einen negativen Effekt auf die Anleihehalter. Insofern hat es einen Risikotransfer – weg von Unternehmen, die im Ausland verschuldet waren, hin zum öffentlichen Sektor – gegeben.

Kein Ausfallrisiko

Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor in einem guten Zustand, relativ niedrige Staatsverschuldung, ein Budgetdefizit, das aufgrund von Pandemie und Erdbeben deutlich angestiegen ist, aber trotzdem noch relativ moderat ist. D. h. es gibt zwar Wechselkurs- und Zinsrisiken in lokaler Währung, aber kein Ausfallrisiko. Dennoch verschlechtert sich der Trend, was sich auch darin zeigt, dass die Türkei in den letzten Jahren von Ratingagenturen auf ein „B“ herabgestuft wurde. Wenn Erdogan wiedergewählt wird, ist die Fortsetzung dieses Systems wahrscheinlich und ausländische Investoren werden den Markt aufgrund zu hoher Risiken eher meiden. Früher oder später wird sich dieses System ausreizen und dann doch wieder in einer Krisen­situation münden.

Sollte die Opposition gewinnen, würde es zu einem Wechsel der Zinspolitik kommen und wahrscheinlich auch bei der Währungspolitik, wobei die Lira nicht wirklich überbewertet ist. Zwar gibt es ein hohes Leistungsbilanzdefizit, doch das hat mit starken Gold- und verteuerten Energieimporten zu tun. Aber die zugrundeliegende Bilanz ist nicht dramatisch und die Wettbewerbsfähigkeit intakt. Die Zinsen sind aber mit 8,5% in Hinblick auf die Inflation von 55% viel zu niedrig. Bei einer deutlichen Zinsanhebung wäre mit negativen Effekten zu rechnen, die das Wachstum stark dämpfen würden. Andererseits kann das Land mit einem glaubwürdigen Programm zur Änderung der Wirtschaftspolitik wieder attraktiv für ausländisches Kapital werden, was zur Stabilisierung nach einer möglicherweise volatilen Anfangsphase beitragen dürfte.

Derzeit ist die Gemengelage jedoch noch zu riskant und der Ausblick zu unsicher, um den Markt – lokalwährungsseitig – wieder auf die Kaufliste zu setzen. Noch dazu, wo andere Schwellenländer attraktivere Zinsen mit weniger Risiko bieten. Auf der Hartwährungsseite zahlt die Türkei eine recht hohe Risikoprämie. Anfang des Jahres ist eine Dollar-Emission mit einer Verzinsung von knapp unter 9% auf den Markt gekommen.

*) Ronald Schneider ist Leiter Anleihen, CEE & Global Emerging Markets bei Raiffeisen Capital Management.

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