E-Autobauer

Rivian-Kurs könnte unter Druck geraten

Um die Aktie des Elektroautoherstellers Rivian ist ein Hype entstanden. Spätestens mit dem Ende der Sperrfrist für Aktienverkäufe der Altaktionäre könnte der Titel aber deutlich unter Druck geraten.

Rivian-Kurs könnte unter Druck geraten

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Das Lieblingsauto der Amerikaner ist der Pick-up Truck oder in der deutschen Übersetzung der Pritschenwagen. Schon über viele Jahre ist das Modell Ford F150 das meistverkaufte Fahrzeug in den USA, das natürlich mit einem großvolumigen Benzinmotor ausgestattet ist. Nun will ein Start-up-Unternehmen in diesem Marktsegment eine Wende zum Besseren herbeiführen und mit einem umweltfreundlicheren elektrischen Pritschenwagen reüssieren: Rivian Automotive ist in der vergangenen Woche an die Nasdaq gegangen.

An dem Initial Public Offering (IPO) ist vieles bemerkenswert. Aus dem Stand hat Rivian mit einer Marktkapitalisierung von inzwischen 127 Mrd. Dollar bzw. in der Spitze rund 150 Mrd. Dollar die beiden amerikanischen Autoriesen General Motors (94 Mrd. Dollar) und Ford (80 Mrd. Dollar) sowie zeitweise auch Volkswagen hinter sich gelassen. Die Finanznachrichtenagentur Bloomberg merkte dazu süffisant an, bei Rivian handele es sich um das weltweit wertvollste Unternehmen ohne Umsatz. „Das ist wirklich haarsträubend, weil das Unternehmen noch keinen erkennbaren Umsatz erwirtschaftet hat“, zitiert Bloomberg Michael Hewson, Chief Market Analyst von CMC Markets. Die massive Bewertung von Start-up-Unternehmen im Bereich Elektromobilität sei ein klarer Hinweis dafür, dass General Motors unterbewertet sei, ließ sich GM-Chefin Mary Barra vernehmen, womit sie als Reaktion allerdings eher Heiterkeit auslöste – mit Blick auf das Desaster bei dem GM-Elektrofahrzeug Chevy Bolt, das die unschöne Eigenart entwickelte, in Flammen aufzugehen.

Immerhin gibt es schon ein paar fertige Rivian-Fahrzeuge – was einen großen Unterschied darstellt beispielsweise zum angeblichen Elektro-Lkw-Fabrikanten Nikola, der nach einem kurzen Hype inzwischen nur noch auf eine Marktkapitalisierung von knapp 6 Mrd. Dollar kommt. Autotester äußern sich sehr positiv zu dem Pritschenwagen-Modell „R1T“ und seinen Fahreigenschaften, auch wenn das Styling der Frontpartie so aussieht, als sei als Designer ein künstlerisch ausgesprochen unbegabter Fünfjähriger am Werk gewesen.

Amazon als Ankeraktionär

Es sind bei weitem nicht nur unbedarfte Privatanleger, die sich bei Rivian engagieren. So hält Amazon inzwischen mehr als 20% der Aktien, wobei der Internet-Handelsriese auch zum Zuteilungspreis der Aktie von 78 Dollar zugriff und den Anteil aufstockte. Dies erwies sich als gutes Geschäft, denn zeitweise kletterte die Rivian-Aktie auf 179,47 Dollar – am Mittwochnachmittag notierte sie dann mit rund 137 Dollar, gegenüber dem Zuteilungspreis immerhin ein Kursgewinn von 76%. Amazon hat auch 100000 elektrische Lieferfahrzeuge geordert, die bis 2030 geliefert werden sollen. Allgemein wird erwartet, dass Amazon einen stabilen Ankeraktionär darstellt, der notfalls auch Kapital zuschießt, falls einmal eine Krise kommen sollte. Ebenfalls an Rivian beteiligt ist Ford mit rund 500 Mill. Dollar.

Immerhin ist die Produktion des Pick-up im Rivian-Werk im US-Bundesstaat Illinois, wo das Unternehmen eine ehemalige Fabrik von Mitsubishi übernahm, schon angelaufen. Allerdings stellt ein Kauf der Aktie auf dem gegenwärtigen Preisniveau ein Glücksspiel dar, weil die Risiken groß sind. Wie das Desaster bei GM zeigt, ist es alles andere als trivial, ein auch in der langfristigen Verwendung gut funktionierendes Elektroauto zu bauen. Außerdem will auch der in diesem Segment als Platzhirsch geltende Ford-Konzern im kommenden Jahr mit dem „F150 Lightning“ einen elektrischen Pritschenwagen anbieten, wobei schon die Existenz eines gut ausgebauten Händler- und Werkstättennetzes einen nicht zu unterschätzenden Vorteil darstellt. General Motors will sich ebenso mit einem elektrischen Geländewagen der Militär- und Abenteuermarke Hummer im Segment engagieren. Und auch Tesla hat sich diesen erfolgversprechenden Markt mit ihrem ebenfalls ungewöhnlich aussehenden „Cybertruck“ vorgenommen, dessen Produktion nun allerdings erst Ende 2022 aufgenommen werden soll. Aufgrund der bereits relativ hohen Stückzahlen von Tesla könnte es dem Elektroauto-Pionier leicht gelingen, Rivian preislich zu unterbieten.

Die Ambitionen von Rivian sind gleichwohl haushoch. Bis 2030 will das Unternehmen eine Million Fahrzeuge ausliefern, obwohl die Pick-up Trucks mit Preisen ab 67500 Dollar durchaus teuer sind. Bislang wurden lediglich 156 Exemplare des „R1T“ ausgeliefert und bis Ende des Jahres sollen es 1000 Stück werden – zuzüglich 15 Fahrzeugen des SUV-Modells „R1S“. Im Jahr 2023 soll die Fabrik aber bereits 200000 Fahrzeuge ausspucken. Anleger, die sich jetzt noch für die Rivian-Aktie interessieren, sollten sich über ein weiteres Risiko im Klaren sein. Angesichts des enormen Kursanstiegs ist damit zu rechnen, dass Investoren, die bereits vor dem IPO eingestiegen sind, den Ablauf der Sperrfrist am 9. Mai 2022 dazu nutzen werden, um Kasse zu machen. Das könnte den Kurs der Aktie deutlich unter Druck setzen.

Andere Beispiele von börsennotierten Start-up-Unternehmen aus dem Bereich der Elektromobilität zeigen jedenfalls, dass hohe Kursgewinne nicht nachhaltig sein müssen. So hatte beispielsweise der in den USA gelistete chinesische Elektro-SUV-Hersteller Xpeng zunächst mit einem Kursgewinn von rund 210% in drei Monaten geglänzt. Nach dem Ende der Lock-up-Periode ging es abwärts, und noch heute notiert die Aktie deutlich unter ihrem Allzeithoch. Auch die Lucid Group hatte nach einem fulminanten Börsenstart eine längere Hängepartie durchzustehen. Erst kürzlich begann wieder eine enorme Aufwärtsbewegung.

Probleme bei Canoo

Ähnliches gilt für Canoo, ebenfalls ein Pionier bei den elektrischen Pick-up Trucks und ähnlichen Vehikeln, bei dem sich kurz nach dem IPO im Dezember 2020 Probleme zeigten, die zur Auswechslung des CEO und des Finanzchefs führten. Canoo hat noch kein Fahrzeug ausgeliefert und verfügt über keinerlei Erlöse. In der Spitze kletterte der Aktienkurs auf über 20 Dollar. Derzeit notiert der Titel bei weniger als 10 Dollar.

Mit Blick auf diese Entwicklungen zeigen sich Beobachter skeptisch, ob die Rivian-Aktie ihr hohes Kursniveau wert ist. Es könnte daher klüger sein, vor Investments in den Titel das Ende der Sperrfrist für Altaktionäre abzuwarten.

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