Finanzmärkte

Sinkt die Inflation schneller als erwartet?

Entspannung bei Konjunktur und Gasversorgung hat den Finanzmärkten einen furiosen Jahresauftakt beschert. Möglicherweise werden die Notenbanken schneller als erwartet den Fuß von der Bremse nehmen.

Sinkt die Inflation schneller als erwartet?

Nach einem völlig verkorksten Anlagejahr 2022 sind die Kapitalmärkte fulminant ins neue Jahr gestartet. Der Dax hat mit einer Wertentwicklung von 8% das Jahresendziel vieler Analysten nach nicht einmal vier Wochen erreicht, zehnjährige Bundesanleihen weisen ein Plus von 4% auf, und die 30-jährige Bund erweist sich mit 12% Wertzuwachs wie so oft in der Vergangenheit wieder einmal als die bessere Aktie. Ist dies nur eine Momentaufnahme oder besteht die Chance auf eine Fortsetzung dieser Entwicklung?

Drei Gründe sprechen dafür, dass sich die positive Marktentwicklung zunächst fortsetzen dürfte: Nachdem die wichtigsten Frühindikatoren für die deutsche Wirtschaft im Herbst 2022 auf mehrjährige Tiefstände gefallen waren und damit eine bevorstehende Rezession signalisierten, ist es in den vergangenen Monaten zu einer kräftigen Erholung gekommen. Vor allem die vom Ifo-Institut erhobene Einschätzung der Unternehmen zu ihrer aktuellen Geschäftslage hat sich in der Vergangenheit als zuverlässiger Indikator für die wirtschaftliche Entwicklung erwiesen, und von dieser Seite kommt vorsichtige Entwarnung.

Gaskrise abgewendet

Das bedeutet nicht, dass die Bäume für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr in den Himmel wachsen, doch gemessen an den pessimistischen Einschätzungen vieler Marktteilnehmer hat sich die Situation deutlich entspannt. Dies hat vor allem etwas mit den rückläufigen Energiepreisen und den gut gefüllten Gasspeichern zu tun. Die aktuellen Börsenpreise für Gas und Strom liegen rund 20% Prozent unter dem Vorjahresniveau und etwa 75% tiefer im Vergleich zu den Rekordpreisen des letzten Sommers. Mit knapp 84% (Stand: 24. Januar 2023) ist der Füllstand der Gasspeicher zudem deutlich höher als in den vergangenen beiden Jahren, die Gefahr einer Gasmangellage in diesem Jahr ist damit gebannt. Und auch für den Winter 2023/24 verbessern sich die Perspektiven, weil die Speicherstände bis zum Ende der Heizperiode nicht auf null sinken werden. Spielt das Wetter weiterhin mit, dürften die Vorräte im kommenden Herbst wieder gut aufgefüllt sein. Für 2023 zeichnet sich somit für das Wirtschaftswachstum in Deutschland ein leichtes Plus von rund einem halben Prozent ab. Obwohl die deutschen Unternehmen in den vergangenen zehn Monaten kaum neue Aufträge erhalten haben, verfügen sie mehrheitlich immer noch über einen sehr hohen Auftragsbestand. Davon profitiert beispielsweise die Investitionsgüterindustrie und speziell der Maschinenbau. Aus diesem Grund wird sich auch an der außerordentlich robusten Arbeitsmarktsituation kaum etwas ändern. Der Konsum als wichtigstes volkswirtschaftliches Aggregat wird von daher trotz sinkender Realeinkommen relativ stabil bleiben, zumal viele Privathaushalte immer noch über überdurchschnittlich hohe Ersparnisse verfügen, die sie in der Hochzeit der Corona-Pandemie gebildet haben.

Auch die Abkehr Chinas von der Null-Covid-Politik und die wohl weitgehend abgeschlossene Regulierung großer Technologie-Unternehmen sind gute Nachrichten für die Konjunktur und Kapitalmärkte. Nachdem China als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft 2022 ausfiel, werden von einem dynamischeren Wachstum nicht nur die asiatischen Nachbarländer, sondern auch alle Handelspartner Chinas profitieren. Für Deutschland könnte eine Erholung Chinas gerade zum richtigen Zeitpunkt kommen, da nicht auszuschließen ist, dass sich die konjunkturelle Situation unseres größten Exportpartners, den Vereinigten Staaten, ab Mitte 2023 verschlechtert.

Im ersten Halbjahr wird die US-Wirtschaft – ähnlich wie es bei uns der Fall ist – noch von der niedrigen Arbeitslosigkeit und dem Überschuss an Ersparnissen profitieren. Auch wenn es in den vergangenen Wochen viele Berichte über anstehende Entlassungen bei großen Technologiefirmen gab, können diese negativen Effekte derzeit noch durch die hohe Arbeitskräftenachfrage von kleineren US-Unternehmen kompensiert werden. Da die US-Notenbank aber zunächst noch weitere Zinserhöhungen plant, die das Wachstum weiter bremsen, besteht das Risiko einer zumindest milden US-Rezession im zweiten Halbjahr.

Basiseffekte

Damit kommen wir zu den beiden wichtigsten Einflussfaktoren für die Kapitalmarktentwicklung im Jahr 2023: der Inflation und der Geldpolitik. Nachdem das Ausmaß und die Hartnäckigkeit des Inflationsanstieges von den Notenbanken lange Zeit unterschätzt wurde, könnte es 2023 passieren, dass die Zentralbanken denselben Fehler, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, begehen. Unter der Voraussetzung, dass die Energiepreise auf ihrem derzeitigen Niveau verharren, werden Basiseffekte dazu führen, dass die Inflationsrate in der Eurozone im Frühjahr drei bis vier Prozentpunkte niedriger ausfallen wird als heute.

Hinzu kommt, dass sich die Lieferkettenprobleme deutlich entspannen und sich die Transportkosten wieder verbilligen. So notieren Containerfrachtraten fast 80 % unter dem Vorjahreswert. Ein Blick auf die Preiskomponenten der Einkaufsmanagerindizes legt zudem nahe, dass die Inflationsraten bei uns und in den USA bis Ende des Jahres wieder Richtung 3 % sinken werden. Bleiben negative Schocks im weiteren Jahresverlauf aus, könnten wir vielleicht sogar die Zwei-Prozent-Marke schon gegen Jahresende wiedersehen. Hebt die Federal Reserve wie angekündigt den Leitzins auf 5 % an, wäre die Geldpolitik gemessen an einer Preissteigerungsrate von 3 % restriktiv, bei 2 % zu restriktiv. Auch die Europäische Zentralbank lässt derzeit nicht erkennen, von ihrem Weg hin zu einer strafferen Geldpolitik abrücken zu wollen. Im Februar und März scheinen Leitzinserhöhungen um insgesamt 100 Basispunkte sicher zu sein, denen im Mai und Juni ein oder zwei weitere Anpassungen nach oben folgen könnten. Dies wird von den Marktteilnehmern aber auch schon weitgehend so erwartet. Schlägt die Inflation dagegen tatsächlich den oben beschriebenen Weg ein, könnten die Notenbanken schneller als momentan erwartet den Fuß von der Bremse nehmen.

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