Währungskrise

Argentiniens ewiges Gespenst namens Inflation

Erstmals seit 1991 ist die Teuerungsrate wieder dreistellig. Eine Rekorddürre hat die Preise zusätzlich angetrieben, aber das Übel wurzelt im fehlenden Vertrauen in den Peso.

Argentiniens ewiges Gespenst namens Inflation

Als Sergio Massa vor gut einem halben Jahr das Finanzministerium übernahm, verglichen viele Leitartikler im fußballverrückten Argentinien den Profipolitiker mit jenen Trainern, die kurz vor Saisonende verpflichtet werden, allein um das Team vor dem Abstieg zu bewahren. Und wie die „Feuerwehrmänner“ des Abstiegskampfes ergriff Massa eine Reihe von Maßnahmen, die – weit entfernt von Reformen oder einem langfristigen Strategiewechsel – das Schlimmste verhindern sollen vor den Wahlen im zweiten Halbjahr.

Zu Massas Arsenal gehören weiter verschärfte Währungskontrollen, ebenso wie Preisvorschriften für mehr als 1 700 Produkte sowie immer stärkere Importbeschränkungen. Die Reserven an Hartwährungen konnte Massa etwas auffüllen, weil er den Agrarexporteuren zweimal – jeweils zeitlich beschränkt – günstigere Wechselkurse anbot und diese ihre gehorteten Bestände zu Markt trugen. Mit den eingesammelten gut 8 Mrd. Dollar aus Exportzöllen konnte der Finanzminister die Anforderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen, der verlangt, dass Argentinien Reserven anlegt. Der IWF erwartet, dass Argentinien in den nächsten Jahren den größten Kredit zurückzahlt, den die Organisation jemals gewährt hat. Er beläuft sich auf insgesamt 45 Mrd. Dollar.

Doch nun hat sich Massas Mission deutlich erschwert. Denn sein Land durchlebt eine dramatische Dürre. Das in drei aufeinanderfolgenden Jahren aufgetretene Klimaphänomen La Niña bewirkte, dass zum ersten Mal in der Geschichte des argentinischen Ackerbaus beide Ernten des Jahres im fruchtbarsten Gebiet des Landes um bis zu 50% eingebrochen sind.

Nach Berechnungen der Getreidebehörde von Rosario hat sich die gesamte argentinische Erntemenge um 35% im Vergleich zum Durchschnitt der Vorjahre reduziert, was allein im Ackerbau einen Gesamtverlust von 20,8 Mrd. Dollar bedeutet. Aber auch die Viehwirtschaft verzeichnet massive Einbrüche, so dass Branchenvertreter die gesamten Schäden auf 25 Mrd. Dollar taxieren.

Für die Regierung bedeutet das einen doppelten Rückschlag, denn die Missernte wird einen deutlichen Fehlbetrag bei den Steuereinnahmen hinterlassen. Und sie treibt die inländischen Preise für Nahrungsmittel. Für Argentiniens Fiskus gehören die Exportzölle für Weizen, Mais und vor allem Soja zu den wichtigsten Devisenbringern. Vorläufige Berechnungen ergeben, dass in diesem Jahr mindestens 5 Mrd. Dollar ausbleiben werden. Und das ist doppelt dramatisch, weil dem Land, das Devisen braucht, um Waren und Industriegüter zu importieren, die privaten Kreditmärkte praktisch verschlossen sind. Und auch vom IWF kann es keine weiteren Milliarden erwarten. Mehr als eine Stundung von in diesem Jahr fällig werdenden Zahlungen, die der Fonds in der Vorwoche zusagte und die noch vom Board des IWF genehmigt werden muss, kann Argentinien nicht erwarten. Die Dürre hat noch eine zweite Auswirkung, die Massas Durchwurstel-Strategie beeinträchtigen kann: Sie treibt die Preise für Lebensmittel. Und das spüren vor allem die ärmeren Argentinier, traditionell die Stammwähler der linkspopulistischen Peronisten – insbesondere die informell Beschäftigten und die Rentner.

Teuerungsrate dreistellig

Zwei Inflationswerte lösten vorige Woche in Buenos Aires Alarm aus: Im Februar war die Teuerungsrate im Jahresvergleich erstmals seit 1991 wieder dreistellig, sie lag bei 102,5% und platziert Argentinien mit Venezuela, Simbabwe, dem Libanon und Syrien unter die fünf Länder mit dem höchsten Preisauftrieb. Besonders fatal ist, dass die Preise für Lebensmittel allein im Februar um 9,8% anzogen. Sollten die Preise weiter steigen, muss die Regierung mit sozialen Unruhen rechnen und ihre Wahlhoffnungen wohl begraben.

Aber auch ohne die Berücksichtigung der Lebensmittel stiegen die Preise im Februar deutlich, die Kerninflation betrug nach Angaben des Statistikamtes Indec 7,7% im Monatsvergleich, im vorigen Monat lag dieser Auftrieb bei 5,4%, daher rechnen viele Marktteilnehmer mit einer Verschärfung der Inflation bis zum Jahresende. Auch weil die Regierung durch Interventionen und Subventionen die Kosten für Energie, öffentlichen Verkehr, aber auch private Sektoren wie Krankenversicherungen und Telekommunikation jahrelang gedrosselt hatte, was inzwischen zu erheblichen Versorgungsproblemen führt. Nun hat sich Massa gegenüber dem IWF verpflichtet, die Energiesubventionen deutlicher zu reduzieren als bislang. Das wird sicher die Preise treiben.

Die Inflation ist Argentiniens ewiges Übel. In den vergangenen achtzig Jahren betrug die durchschnittliche jährliche Teuerungsrate 70,3%. Ökonomen erklären Argentiniens Anfälligkeit mit seiner atypischen Industrialisierung. Tatsächlich muss das Land viele Vorprodukte in Dollar einführen, um die damit erzeugten Autos, Maschinen und Industriegüter dann in Pesos zu verkaufen. Weil viele der hinter hohen Zollschranken produzierten Güter nicht international wettbewerbsfähig sind, können diese nicht ausgeführt werden und bringen keine Devisen ins Land. Diese gewinnt Argentinien vor allem durch Agrarexporte und die Ausfuhr von Mineralien.

Aber andere Experten glauben, dass Argentiniens Inflationsgespenst nicht an der „äußeren Beschränkung“ liegt, sondern vielmehr am inneren Unglauben an die eigene Währung. Seit Generationen haben die Argentinier verinnerlicht, sämtliche Rücklagen in anderen Werten zu horten. In Häusern, Grundstücken, und vor allem in Dollar. Seitdem der Proto-Populist Juan Domingo Perón Ende der 1940er Jahre Ausgaben mit der Notenpresse bezahlte, hat sich die Währung aus dem Norden einen festen Platz erobert. Obwohl der Zugang zu Devisenkäufen massiv eingeschränkt wurde, werden weiterhin sämtliche Immobilienkäufe in (baren) Dollar abgewickelt. In keinem Land der Welt haben die Bürger mehr 100-Dollar-Scheine gebunkert als in Argentinien. Insgesamt sollen die Argentinier zwischen 300 und 400 Mrd. Dollar außerhalb des Finanzsystems gehortet haben – in Schließfächern, geheimen Verstecken und auf Auslandskonten.

Staatsausgaben zu hoch

Das allein beweise doch, dass Argentinien über genügend eigene Mittel verfügen könnte, um der Inflation selbst Herr zu werden, argumentiert etwa der Ökonom und Berater Carl Moses, der mit mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung in Argentiniens Wirtschaftssystem wohl der erfahrenste deutschsprachige Argentinien-Experte ist. „Die Argentinier müssten nur an ihre Währung glauben.“ Um das zu bewerkstelligen, müsste der Staat mit der lang praktizierten Gewohnheit aufhören, mehr auszugeben, als er einnimmt. Das ist wohl die vordringlichste Aufgabe jener Regierung, die das Land am 10. Dezember übernehmen wird.

Minister Massa, dem viele nachsagen, dass er sich trotz aller Dementis Hoffnungen auf die Nachfolge von Alberto Fernández macht, sieht die größte Bedrohung seiner Karriere offenbar in einer dramatischen Abwertung des Peso vor den Wahlen. Um das zu verhindern, hat Massa bislang aus den knappen Dollar-Reserven nicht nur auf dem offiziellen Devisenmarkt interveniert. Sondern durch komplizierte Mechanismen auch bewerkstelligt, dass die für Wertpapiergeschäfte angesetzten Dollarkurse nicht exzessiv steigen. Diese – fast doppelt so hoch wie der offizielle Kurs – gelten für Geldtransfers von international operierenden Unternehmen, die keine offiziellen Dollar vom Staat zugeteilt bekommen. Auch hier bekam Massa jedoch Probleme, weil er dem IWF versprechen musste, künftig keine Währungsreserven zu verwenden, um den Dollarkurs zu manipulieren.

In dieser Notsituation hat Massa nun zwei neue Kaninchen aus dem Hut gezaubert: Erstens ordnete er an, dass staatliche Kapitaleigner – vor allem der nationale Rentenfonds – sämtliche Anteile verkaufen, die in Dollar gezeichnet sind. Dafür sollen sie vom Staat mit Peso-Papieren entschädigt werden. Damit will sich Massa mindestens 4 Mrd. Dollar sichern, um auf den Devisenmärkten zu intervenieren. Und Importeure sollen schneller zum Zug kommen, wenn sie ihre Erfuhren in chinesischer Währung bezahlen. Knapp die Hälfte der noch vorhandenen Devisenreserven stammen aus zwei Swap-Geschäften mit China, sie entsprechen einem Umtauschwert von etwa 18 Mrd. Dollar. Die Regierung in Peking hat kürzlich genehmigt, dass Argentinien den Gegenwert von 5 Mrd. Dollar verwenden kann, um Rechnungen in China zu bezahlen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.