Petra Justenhoven

„Es wird keine Deglobali­sierung geben“

Viele Konzerne stecken in Transformationsprojekten, doch akute Krisen zwingen sie, kurzfristig ihre Ertragsbasis zu stabilisieren und Märkte neu zu bewerten. Petra Justenhoven, Europa- und Deutschlandchefin von PwC, erläutert, wie die Gratwanderung gelingen kann.

„Es wird keine Deglobali­sierung geben“

Sabine Wadewitz.

Frau Justenhoven, Zinswende, Inflation, Krieg in der Ukraine, Lieferketten, Pandemie, Energiepreise – die Unternehmen sind derzeit mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Müssen aus Sicht eines Beratungsunternehmens die in den vergangenen Jahren angestoßenen großen Transformationsprojekte erstmal angehalten werden, um die kurzfristigen Herausforderungen zu bewältigen?

Ich würde gerne erstmal auf das Szenario eingehen, denn das ist mehr als außergewöhnlich. Wir sehen seit Jahren die drei Megatrends Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie. Diese Themen manifestieren sich immer konkreter. Zu diesen Herausforderungen kommen derzeit eine Menge kurzfristiger Probleme aus aktuellen Krisen wie Ukraine-Krieg, Inflation und Corona hinzu. Das ist neu. In der Vergangenheit gab es fast jedes dieser Themen schon einmal, sogar mit größerer Amplitude, aber erstmalig findet das alles gleichzeitig statt. Das ist die große Herausforderung für Unternehmen und Gesellschaft.

Verschiebt das die Prioritäten in den Unternehmen. Hat die akute Problemabwehr Vorrang?

Unternehmen müssen die kurzfristigen Krisen in den Griff bekommen, dabei aber die langfristig wichtigen strategischen Projekte nicht aus den Augen verlieren. Denn die langfristigen Themen sind struktureller Natur. Wer sich heute nicht mit Digitalisierung und Klimaneutralität befasst, dessen Geschäftsmodell ist nicht nachhaltig überlebensfähig. Dazu kommt gesamtgesellschaftlich, dass das Thema Klimaneutralität keinerlei Aufschub verträgt.

Unternehmen könnten die Mittel fehlen, um gleichzeitig auf die akuten Krisen zu reagieren und ungebremst ihre großen Transformationsprojekte voranzubringen? Das spricht doch für ein Verzögern in den strategischen Themen, es wäre ja nicht von Dauer?

Das ist ein mögliches Szenario, wäre aber zu kurz gedacht. Denn die akuten Krisenthemen wie Rezession, Inflation, steigende Zinsen und hohe Energiepreise werden sich hinziehen. Dazu kommt ein Unterangebot an Arbeitskräften, und qualifiziertes Personal wird teurer. Die Kosten fast aller Unternehmen erhöhen sich deutlich, bei energieintensiven Firmen ist es noch gravierender.

So unterschiedlich die Krisenthemen sind, sie lassen sich am Ende als Kostenproblem subsumieren?

Die Kostenbasis in Unternehmen geht nach oben. Energie- und Arbeitskosten steigen, vor dem Hintergrund der Digitalisierung muss zudem mehr Geld in die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investiert werden. Mit dem Zinsanstieg nehmen zudem die Finanzierungskosten zu. Es gibt natürlich auch Branchen, die weniger stark getroffen sind oder in ihrem Geschäftsmodell sogar von der Krise profitieren.

Wie sieht der Ausweg für die Krisenverlierer aus?

Wenn man analysiert, welche Konzerne in dieser schwierigen Situation outperformen, stellt man fest, dass es diejenigen Unternehmen sind, die fokussiert investieren.

Die Mittel also nicht mit der Gießkanne verteilen?

Es sind aktuell diejenigen Unternehmen erfolgreich, die bei den Investitionen nicht auf die Bremse treten und die ausschließlich in Märkte mit überproportionalem Wachstum investieren.

Und alle anderen Geschäftsbereiche werden kurz gehalten?

Unternehmen müssen sich auf ihre aussichtsreichen Zukunftsmärkte fokussieren und in renditeschwachen und wachstumsarmen Aktivitäten die Kosten senken. Es geht darum, die ganze Kostenbasis dahingehend anzuschauen, welche Werte jeweils geschaffen werden. Althergebrachtes Geschäft muss in Aktivitäten in neuen Märkten gelenkt werden. Die Innovationspipeline ist auf die zukünftigen Kompetenzen auszurichten.

An Kostensenkung kommen die Unternehmen aus Ihrer Sicht nicht vorbei?

Für viele Unternehmen gibt es derzeit keine Alternative. Sie müssen an beiden Enden arbeiten. Auf der einen Seite Kosten herausnehmen, um auf der anderen Seite ihren großen Herausforderungen nach wie vor gerecht werden zu können. Wer jetzt Zukunftsprojekte stoppt, gefährdet sein Geschäftsmodell.

Halten sich Ihre Kunden an diese Empfehlung?

Wir beobachten, dass Unternehmen kleinere, spezifische Projekte auf Eis legen, sie aber die großen Programme weiterlaufen lassen. Das haben sie in der Coronazeit gelernt. Am Anfang der Pandemie herrschte große Unsicherheit, wie lange die Folgen zu spüren sein würden. Ein Jahr später sind die großen Programme alle wiederaufgenommen worden.

Weil kurz- und langfristige Ziele doch ineinandergreifen?

Umfassende Transformationsprojekte sind ja oft getriggert durch Technologie. Durch die Digitalisierung von Lieferketten und Finanzfunktion erzielen Unternehmen auch Kostensenkungen, sie überdenken aber gleichzeitig ihre Prozesse. Das bringt Mehrwert, sonst gehen sie von einem ERP-System ins nächste. Damit hat man nichts gewonnen.

Es dürfte branchenspezifische Unterschiede geben?

Manche Branchen sind natürlich ex­trem von hohen Energiepreisen getroffen. Man kann nur hoffen, dass die Gaspreise so im Griff gehalten werden können, dass wir nicht sehr langfristig über eine Veränderung der Preislandschaft nachdenken müssen. Diese Herausforderungen haben aber auch Chancen.

Also Ärmel hochkrempeln?

Deutschland war in der Vergangenheit immer in der Lage, sich neu zu erfinden. Wer in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Verantwortung trägt, hat die Aufgabe, diese Herausforderung gemeinsam zu bewältigen und den Weg nach vorne zu bahnen. Es gibt eine Reihe von Unternehmenslenkern, die bereit sind, voranzugehen und Technologie und Innovation zu forcieren.

Wie decken Unternehmen in der Transformationsphase ihren Kapitalbedarf, zumal in Zeiten von Zinswende und Inflation?

Das Thema Treasury hat wie schon zu Pandemiezeiten aktuell abermals eine herausgehobene Bedeutung. In den Unternehmen wird stark auf Liquidität geachtet mit aktivem Working-Capital-Management und straffer Kostensteuerung.

Wie gehen die Firmen mit geopolitischen Risiken um, hier hilft nicht nur Kostensenkung, es sind Investitionen und Absatzmärkte neu zu bewerten?

Für die Unternehmen ist es neu, geopolitische Risiken viel intensiver in ihre Entscheidungen einzubeziehen – wenn man allein die Herausforderungen betrachtet, die sich aus dem Krieg in der Ukraine ergeben etwa im Zusammenspiel zwischen den USA und China. Das hat für Standortentscheidungen eine viel größere Relevanz bekommen. Für die deutsche Wirtschaft ist China jedoch unverändert ein bedeutender Ab­satzmarkt.

Es gibt viel Druck in Öffentlichkeit und auf Investorenseite, dass regionale Abhängigkeiten abgebaut und künftig vermieden werden. Wird es zukünftig noch goutiert werden, wenn deutsche Unternehmen sehr stark auf China als Standort und Handelspartner setzen?

Es wäre fatal, wenn wir von einer globalen Ausrichtung der Unternehmen Abstand nehmen müssten. In einer global agierenden Welt müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir unsere internationalen Handelspartner behalten. Wir müssen für diese Themen andere Lösungswege finden, als die Handelsbeziehungen aufzugeben. Natürlich müssen die Firmen überlegen, ob sie sich nur auf einen Handelspartner oder Zulieferer verlassen wollen. Doch das sind individuelle unternehmensstrategische Entscheidungen. Die Zukunftsthemen Digitalisierung, Dekarbonisierung oder Arbeitskräfte können nur global bewältigt werden, sie machen nicht an Landesgrenzen halt.

Globalen Trends zur Nationalisierung können sich die Unternehmen wohl schwerlich entziehen? Die wirtschaftliche und technologisch Entflechtung zwischen den USA und China wirkt doch global?

Darüber denken die Unternehmen intensiv nach. Es geht darum, Lieferketten zu analysieren und über Diversifizierungen zu entscheiden. Sicherlich werden Konzerne nachdenken, ob und wie sie den Absatzmarkt USA stärken, um nicht mehr vorrangig den Fokus auf China zu haben. Doch es wird keine Deglobalisierung geben, sondern eine neue globale Aufstellung.

PwC ist als Unternehmen selbst auch mit diesen Problemen konfrontiert. Folgen Sie dem, was Sie auch Ihren Kunden empfehlen?

Wir haben den Vorteil, dass wir als Professional Services Firm keine harten Assets haben, es gibt keine Fabriken in unserem Portfolio. Insofern stellt die ökologische Transformation keine riesige Herausforderung für uns dar. Gleichwohl tragen wir nach Kräften zum Ziel der Klimaneutralität bei. So haben wir uns verpflichtet, bis zum Jahr 2030 global ein Net-Zero-Klimaziel zu erreichen. Darüber hinaus analysieren wir unsere Klimarisiken, um entsprechend darauf zu reagieren. Genauso ist PwC wie unsere Kunden seit Jahren dabei, die digitale Transformation voranzutreiben.

Wie geht PwC international mit den geopolitischen Risiken um?

Das kann ich Ihnen am Beispiel Russland präzise schildern. Schon wenige Tage nach dem Angriff auf die Ukraine haben wir entschieden, dass PwC keine russische Firma mehr im Netzwerk haben möchte. Das war eine intensive und keine einfache Entscheidung, aber wir haben sie sehr schnell und sehr klar getroffen. Nach 124 Tagen war die Trennung formal vollzogen.

Wie geht PwC mit dem Sanktionsthema um?

Jede Sanktion, die global aufgerufen wird, wenden wir weltweit an. Wird also in einem Land eine Sanktion verhängt, führen wir sie in allen anderen Ländern auch aus. Das ist ein großer Schritt für uns, aber wir waren hier sehr schnell sehr konsequent.

Wie sieht es mit Blick auf China und die derzeit kritische öffentliche Debatte über das Land aus?

Das Verhältnis zu unserem chinesischen Partner im internationalen Netzwerk ist unberührt von dem, was wir derzeit auf politischer Ebene sehen. Wir beobachten die geopolitischen Themen sehr genau, äußern uns aber nicht zur politischen Lage in einem bestimmten Land.

Das Interview führte

BZ+
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