Großbritannien

„Jeder wird mehr Steuern zahlen müssen“

Den Briten stehen erhebliche Steuererhöhungen und Leistungskürzungen ins Haus. Derweil kämpft Innenministerin Suella Braverman ums politische Überleben. Ihre Gegner stammen aus den eigenen Reihen.

„Jeder wird mehr Steuern zahlen müssen“

hip London

Die britische Regierung hat die Öffentlichkeit nach ei­nem Treffen von Premierminister Rishi Sunak und Schatzkanzler Jeremy Hunt auf Steuererhöhungen und Leistungskürzungen eingestimmt. „Jeder wird in den kommenden Jahren mehr Steuern zahlen müssen“, zitiert die BBC eine nicht genannte Quelle im Schatzamt. Sie wollte „das schwarze Loch“ im Haushalt, das es zu stopfen gilt, nicht näher beziffern. Früher war von mehr als 50 Mrd. Pfund die Rede. Konkrete Pläne wurden nicht bekannt. Der „Telegraph“ berichtete, dass Hunt die Hälfte durch Steuersenkungen und die andere Hälfte durch Ausgabenkürzungen aufbringen will. Verteidigungsminister Ben Wallace stellte bereits seinen Rücktritt in Aussicht, sollten die Verteidigungsausgaben nicht wie von einer Vorgängerregierung versprochen auf 3 % des Bruttoinlandsprodukts steigen.

Die Mehrheit der Briten würde einer aktuellen Umfrage zufolge Ausgabenkürzungen Steuererhöhungen vorziehen. Wie eine Umfrage von Redfield  Wilton Strategies ergab, sind 52 % für eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben. Der Wert lag um 10 Prozentpunkte über dem Ergebnis einer vergleichbaren Umfrage aus dem Juli 2021. Doch Boris Johnsons Ziel, den Beamtenapparat um rund 91 000 Stellen zu verkleinern, wurde aufgegeben. „Wir müssen gemeinsam sicherstellen, dass wir mit jedem Pfund der Steuerzahler so viel wie möglich erreichen“, sagte Sunak in einer Botschaft an die Beamten. Er glaube nicht, dass sich das mit von oben verordneten Stellenstreichungen erreichen lasse.

Tories bekriegen sich weiter

Unterdessen kämpft Innenministerin Suella Braverman um ihr politisches Überleben. Sunak hatte mit ihrer Ernennung für Überraschung gesorgt, wurde sie doch wenige Tage zuvor von seiner Vorgängerin Liz Truss entlassen, weil sie sechs E-Mails mit Regierungsdokumenten von einem persönlichen E-Mail-Konto aus verschickt hatte. Sie habe sich entschuldigt, die Verantwortung übernommen und sei zurückgetreten, sagte sie am Montag im Unterhaus. „Was ich auf keinen Fall tun werde, ist mich für Dinge entschuldigen, die ich nicht getan habe“, sagte Braverman. Doch geht es mittlerweile um weit mehr als einen Verstoß gegen IT-Sicherheitsrichtlinien. Der stete Zustrom von Zuwanderungswilligen über den Ärmelkanal hat zu unhaltbaren Zuständen in den Auffanglagern auf der britischen Seite geführt. Allein in diesem Jahr machten sich rund 40 000 Menschen aus Frankreich auf den Weg. Im Lager Manston brach Diphtherie aus. In Dover verübte ein 67-jähriger Mann, der wenig später verstarb, einen Brandanschlag auf ein Auffangzentrum. Eigentlich sollten die Neuankömmlinge nur kurze Zeit in den Lagern verbringen und nach Bearbeitung ihres Asylantrags weiterverteilt werden. Doch die Bearbeitung ihrer Anträge hat sich in den vergangenen Jahren – offenbar durch Pandemie und Work-from-Home – erheblich verlangsamt. Das Innenministerium behalf sich damit, die Menschen in Hotels unterzubringen, was für die Steuerzahler mit erheblichen Kosten verbunden ist. Der Tory-Abgeordnete Roger Gale warf Braverman vor, die politische Entscheidung getroffen zu haben, keine weiteren Zimmer zu buchen, und damit die Schuld an den katastrophalen Verhältnissen zu haben. Die Innenministerin wies das zurück. „Die britische Bevölkerung verdient zu erfahren, welche Partei es ernst damit meint, die Invasion an unserer Südküste zu stoppen, und welche nicht“, sagte Braverman. „Hören wir doch auf damit, so zu tun, als handele es sich bei allen um Flüchtlinge in Not.“ Das ganze Land wisse, dass dem nicht so sei. „Das System ist kaputt, die illegale Zuwanderung ist außer Kontrolle“, fügte sie hinzu. Braverman hat reichlich Feinde in den eigenen Reihen und im Beamtenapparat. Doch sie ist der Liebling des rechten Flügels der Partei. Sunak braucht dessen Unterstützung für die anstehenden Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen.

Unterdessen teilte der Hypothekenanbieter Nationwide mit, dass die Wohnimmobilienpreise im Oktober um 0,9 % zurückgegangen sind. Im Vergleich zum Vorjahr sind sie zwar immer noch um 7,2 % gestiegen. Doch im September hatte das Wachstum noch bei 9,5 % gelegen. „Der Markt wurde zweifellos von dem Durcheinander nach dem Mini-Haushalt beeinflusst“, sagte Nationwide-Chefvolkswirt Robert Gardner. Der Wachstumsplan von Kwasi Kwarteng hatte die Renditen für Staatsanleihen nach oben getrieben.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.