Autoindustrie

Ritt auf einem toten Pferd

Das Geschäftsmodell, das die Autobauer über Jahrzehnte erfolgreich gemacht hat, trägt nicht mehr. Zeit, vom toten Pferd abzusteigen.

Ritt auf einem toten Pferd

Die deutsche Autoindustrie stellt rasant auf Elek­tromobilität um. So lautet das Narrativ der Branche. Und mit Blick auf die Zahl der mit elektrischem Antrieb ausgestatteten Modelle in den Portfolien der traditionellen Autobauer stimmt das Narrativ auch. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Denn die Transformation der Branche auf den Antrieb zu reduzieren, greift zu kurz. Insbesondere der Kampf um eine weniger anspruchsvolle Umsetzung der EU7-Abgasnorm zeigt Defizite in der strategischen Ausrichtung der Autobauer. Die Umsetzung der diskutierten EU7-Szenarien sei nur mit tiefgreifenden technischen Maßnahmen möglich, die aufwendig und damit sehr kostenintensiv seien, hat etwa Frank Welsch, der scheidende Volkswagen-Qualitätschef, der „Automobilwoche“ zu Protokoll gegeben. Dies bedeute, dass auch Kleinwagen deutlich teurer werden müssten und damit vom Markt zu verschwinden drohen.

Dass es Kleinwagen künftig nicht mehr gibt, ist unwahrscheinlich. Denn am grundsätzlichen Bedarf hat sich nichts geändert. Und gerade bei zunehmender Platzknappheit in Städten ergeben sie Sinn. Als Verbrenner könnte es aber sein, dass sie sich nicht mehr lohnen – zumindest nicht in ihrer derzeitigen Form. Doch wenn es um Kosten geht, scheinen die hiesigen Autobauer immer nur den Antrieb bzw. beim E-Auto die Batterie zu sehen. Dass die unzähligen Extras und individuellen Anpassungsoptionen einen Kleinwagen aus Sicht des Käufers schnell teuer werden lassen, übersehen sie. Kein Wunder: Im bisherigen Geschäftsmodell wird hier die Marge gemacht. So ist ein neuer VW Polo in der Basisversion zwar unter 20000 Euro zu haben. Mit ein paar Extras schießt der Preis aber schnell nach oben. Voll ausgestattet werden für den Kleinwagen gut 36000 Euro fällig – knapp 5000 Euro mehr als für einen Tiguan in der Basisvariante. Optionales Upselling ist die Basis der Profitabilität. Aber muss das so sein?

Tesla oder auch die Chinesen machen vor, dass es auch anders geht. Die Basisausstattung ist umfangreich, aber kaum konfigurierbar. Der Kunde bekommt ein Auto von der Stange. Die Argumentation, dass die Käufer ihr Auto gerne individuell gestalten können wollen, mag für den Käufer eines Porsche 911 oder auch einer Mercedes-G-Klasse gelten. Im Kleinwagenbereich geht es primär um den Preis. Und hier zeigen Optionen den meisten Kunden vor allem, was sie alles nicht bekommen, weil sie dafür das nötige Geld nicht haben oder nicht zahlen wollen.

Mit der jüngsten Preissenkung hat Tesla den traditionellen Autobauern erneut den Fehdehandschuh hingeworfen. Bekommen die Amerikaner ihre zuletzt gestiegenen Qualitätsprobleme in den Griff, können die klassischen Autobauer im Preis-Leistungs-Verhältnis kaum mithalten. Denn sie werden über Nacht die Komplexität nicht aus ihren Fahrzeugen bekommen. Traurig ist, dass sich hier Geschichte zu wiederholen droht. Tesla hat den Autobauern schon vor einer Dekade angezeigt, dass zur Steigerung der Akzeptanz teurer E-Autos ein umfangreiches, eigenes Ladeangebot gehört. Dennoch haben die Autobauer gezögert, hier kräftig zu investieren. Erst vor wenigen Wochen hat Mercedes-Chef Ola Källenius angedeutet, dass die Marke mit dem Stern ein eigenes Schnellladenetz aufbauen will. Geredet wurde zwar viel über die Ladeinfrastruktur – vornehmlich aber mit Blick nach Berlin und Brüssel. Dass die Politik schnell Vorgaben macht, ohne den nötigen Infrastrukturausbau sicherzustellen, kann indes weder die Autoindustrie noch deren Lobbyisten überrascht haben.

Auch über Komplexitätsreduktion wurde in den vergangenen Jahren mehr gesprochen als umgesetzt. Es ist zwar etwas passiert. Die Ansätze waren für Premiumfahrzeuge auch ausreichend, wie die zuletzt gestiegenen Margen gezeigt haben. Für Klein- und Mittelklassewagen wären aber radikalere Ansätze nötig gewesen, um preislich mit der vor allem aus Fernost nach Deutschland drängenden Konkurrenz mitzuhalten. Im stark gewachsenen E-Auto-Geschäft sind die Unterschiede eklatant. Der ID.3 startet bei knapp 44000 Euro und ist damit kaum günstiger als Teslas deutlich größeres Model Y – bei weniger Ausstattung. Der VW-Kooperationspartner SAIC bietet seinen vergleichbar großen MG4 sogar für knapp unter 30000 Euro an. Wenn die deutschen Hersteller nicht aus dem Markt gepreist werden wollen, braucht es ein radikales Umdenken. Günstiger Basispreis und teure Optionen – das ist kein Geschäftsmodell für alle Fahrzeugklassen. Es ist ein Auslaufmodell – auch beim Verbrenner. Die deutschen Autobauer reiten hier ein totes Pferd. Je eher sie absteigen, desto besser.

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