Mittelmeerpipeline

Wasserstoff marsch!

Spanien und Portugal wollen dank einer neuen Pipeline zum Energielieferanten Europas werden. Doch an dem Mammutprojekt gibt es Kritik – und viele Fragen bleiben offen.

Wasserstoff marsch!

Spanien und Portugal kämpfen seit langem mit den Folgen ihrer abgeschotteten geografischen Lage am Rande Europas – vor allem bei der Energieversorgung. Die Anbindung an die Strom- und Gasnetze Mitteleuropas ist schwierig, weshalb die beiden iberischen Staaten als Energieinsel betrachtet werden. Der russische Überfall auf die Ukraine im Februar bot den beiden Nachbarn diesbezüglich eine Chance. Spanien und Portugal boten den Mitteleuropäern ihre Kapazitäten an, um so schnell wie möglich von Putins Erdgas loszukommen.

Den Schlüssel sollte eine neue Gaspipeline durch die Pyrenäen namens Midcat bilden. Auch die Bundesregierung setzte sich stark für das Projekt ein, doch der Druck auf Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wirkte nicht. Er hielt den Bau einer neuen Infrastruktur für fossile Brennstoffe für die Energiewende für unangemessen. Und so wird nun statt einer Erdgasleitung durch die Berge eine Unterseeleitung durchs Mittelmeer von Barcelona nach Marseille gebaut, durch die ausschließlich grüner Wasserstoff fließen soll. Darauf einigten sich Macron und seine Kollegen aus Spanien und Portugal, Pedro Sánchez und António Costa, am Rande des Euromed-Gipfels vergangenen Freitag in Alicante. Kein Wort mehr vom enormen Potenzial der Iberer mit ihren insgesamt sieben Aufbereitungsterminals für Flüssiggas, was einem Drittel der Kapazitäten in Europa entspricht.

Durchbruch einer „Blockade“

Sánchez feierte dennoch den Durchbruch der „Blockade“ und das vermeintliche Ende des iberischen Energieinselstatus. Nun eben mit Wasserstoff statt Erdgas. „Spanien strebt danach, weltweit ein Führer im Wasserstoffbereich zu werden und dieses Projekt wird der erste große Wasserstoffkorridor der Europäischen Union“, jubelte der Spanier. Costa dankte Macron dafür, dass dieser „die Hindernisse überwunden“ habe, und der Franzose seinerseits unterstrich die Bedeutung der Pipeline für die Souveränität Europas in Energiefragen, die durch den Krieg in den Vordergrund gerückt sind . Die eigens für die Verkündung des H2Med getauften Projekts angereiste EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte sogar in noch höheren Tönen: „Der Wasserstoff wird die Geschichte Europas verändern und einer der Hauptbestandteile unseres Energiesystems werden.“

Derzeit macht Wasserstoff gerade einmal 2% des Energieverbrauchs in der EU aus. Dieser wird noch dazu fast ausschließlich mit Strom aus fossilen Quellen erzeugt. Für die Elektrolyse zur Gewinnung von H2 sind große Mengen Elektrizität nötig. Damit der erzeugte Wasserstoff als „grün“ gilt, muss der Strom daher aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Hier sehen Spanien und Portugal ihre große Chance. Dank Sonne und Wind wollen die Iberer ihre bereits stark entwickelten Ökostromkapazitäten massiv ausbauen, auch um damit grünen Wasserstoff für den Export erzeugen zu können.

Nach den Vorstellungen von Sánchez, Costa, Macron und von der Leyen soll die Iberische Halbinsel 10% der 20 Mill. Tonnen an grünem H2 liefern, die Brüssel für 2030 einplant. Das will sich die Kommission einiges kosten lassen. Die drei Initiatoren von H2Med wollen auf dem EU-Gipfel diese Woche dafür werben, dass ihr Projekt als Vorhaben von gemeinsamem Interesse eingestuft wird. Die Hälfte der 2,5 Mrd. Euro für die 455 Kilometer lange Pipeline durchs Mittelmeer – plus die 385 Mill. Euro für eine Verknüpfung zwischen Portugal und Spanien – sollen aus EU-Fonds kommen. Von der Leyen signalisierte in Alicante schon einmal ihre Zustimmung.

Bis vor gar nicht allzu langer Zeit galt H2 noch als eine nicht ganz gereifte Technologie mit hohem Potenzial. Doch nun gibt es einen wahren Boom an Wasserstoff-Projekten, sowohl durch staatliche Förderung als auch in der Privatwirtschaft. Die energiehungrigen Länder Mitteleuropas schauen über Europa hinaus. Vizekanzler Robert Habeck interessierte sich bei einem Besuch in Namibia Anfang Dezember für das Potenzial an H2. Von der Leyen sprach davon, H2Med auch für den Maghreb zu öffnen, wo die Sonne noch länger und intensiver scheint als auf der Iberischen Halbinsel.

Die Produktion von grünem Wasserstoff ist gegenwärtig noch teuer, verglichen mit Erdgas oder der Gewinnung von H2 etwa durch Atomkraft. Im spanischen Ministerium für die Energiewende ist man sich jedoch sicher, dass die Kosten in den kommenden Jahren drastisch fallen werden und grüner Wasserstoff ab 2030 auch beim Preis wettbewerbsfähig sein wird. Dabei verweist man auf die Entwicklung der Solarenergie, die vor Jahren ebenfalls als zu teuer gegolten hatte.

Günstiger Transport

Doch sollten die Iberer den Ökostrom nicht einfach direkt über das Stromnetz nach Mitteleuropa liefern, statt damit Wasserstoff zu gewinnen?, fragen Kritiker. Die drei Initiatoren von H2Med versichern, dass der Transport von Wasserstoff über Fernnetze zwei- bis viermal günstiger sei als der Transport von Strom. H2 ist außerdem besonders für besonders energieintensive Industrien, wie den Stahlbau, geeignet, wie auch für Schwertransporte auf Straße und Schiene. Airbus und Rolls-Royce entwickeln Turbinen mit Wasserstoffantrieb, die den Traum vom emissionsfreien Fliegen wahrmachen könnten. Schließlich dient H2 als Speicher für die Stabilität der Energienetze.

Die spanische Regierung weiß, dass es bis zum Export von grünem Wasserstoff 2030 noch ein weiter Weg ist. Derzeit wird im Land nur eine halbe Million Tonnen H2 im Jahr produziert, noch dazu fast alles mit Strom aus fossilen Quellen, hauptsächlich Erdgas. Das Land hat beim Gas nämlich erhebliche Überkapazitäten als Resultat einer falschen Planung vor 20 Jahren. Die Aufbereitungsanlagen für Flüssiggas sind derzeit nur zur Hälfte ausgelastet.

„Das Potenzial von Biogas und grünem Wasserstoff in Zukunft ist recht ungewiss, was wiederum Zweifel über die Notwendigkeit neuer Investitionen in die Gasinfrastruktur aufwirft“, kritisierte Albert Banal-Estañol, Professor an der Wirtschaftsfakultät der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, auf einer Fachtagung im September.

Mehrere Umweltschutzgruppen, darunter Greenpeace und der WWF, warnten in einem Aufruf im Oktober davor, dass der Staat erneut zu viel Geld zur Subventionierung einer aufgeblähten Infrastruktur ausgeben könnte. „Erst war es Erdgas, jetzt ist es Wasserstoff“, kritisierten die Aktivisten. Außerdem bemängelten sie, dass es keine Studien über die potenziellen Schäden der Meeresraums durch das Austreten von H2 gebe. Schließlich stellt sich die Frage des Wassers, das für die Herstellung von H2 gebraucht wird. Spanien erlebte zuletzt immer häufiger Dürreperioden. Im Ministerium versichert man jedoch, dass Entsalzungsanlagen die Lösung seien, auch wenn diese den Produktionspreis erhöhen.

Die Privatwirtschaft setzt trotz der Zweifel auf die Wasserstofftechnologie. Zuletzt wurden in Spanien dutzende Großprojekte ins Leben gerufen. Der Erdölkonzern Cepsa verkündete vor kurzem eine Investition von 3 Mrd. Euro in seinen Raffinerien in Andalusien an. Die dänische Großreederei Mærsk will in Spanien mit Wasserstoff Treibstoff für ihre Schiffe erzeugen. Der spanische Eisenbahnbauer CAF arbeitet an einem mit Wasserstoff betriebenen Zug.

Sollten Macron, Sánchez und Costa ihre EU-Kollegen von H2Med überzeugen und die Zuschüsse sichern, würde der Bau der Pipeline durchs Mittelmeer nach Plan Anfang 2026 beginnen.

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