Staatsverschuldung

Argentinien in der Zwickmühle

Die neue argentinische Finanzministerin will es dem IWF und dessen größter Kritikerin Cristina Kirchner recht machen. Die Märkte erwarten massive Probleme – und auch die Verbraucher müssen sich auf schwere Zeiten einstellen.

Argentinien in der Zwickmühle

Nach dem Rücktritt des argentinischen Finanzministers Martín Guzmán hat am Montag die bislang wenig bekannte Ökonomin Silvina Batakis die komplexe Aufgabe übernommen, die von einer schweren politischen Krise destabilisierten Staatsfinanzen zu bewahren. Batakis hatte zuletzt im Innenministerium gearbeitet, das von einem der engsten Getreuen von Cristina Kirchner geleitet wird.

Daher vermuten viele Beobachter, dass sie der mächtigen Vizepräsidentin wesentlich näherstehen wird als Guzmán, den Kirchner während der vergangenen Monate systematisch demontiert hatte. Kirchner hatte die Konsolidierungspolitik des zurückgetretenen Finanzministers für die Wahlniederlage ihrer „Front aus allen“ im vergangenen Jahr verantwortlich gemacht. Den letzten Ausschlag gaben Guzmáns vergebliche Versuche, die extrem angestiegenen Subventionen für Energie zu reduzieren.

Problem Inflation

Der Minister hatte vorgeschlagen, dass alle Bürger mittels einer eidesstattlichen Versicherung ihre Vermögensverhältnisse öffentlich machen sollten, um weiterhin in den Genuss von staatlichen Zuschüssen kommen zu können. Das Problem dabei ist vor allem das bisherige Preisniveau. Denn die meisten Verbraucher zahlen bislang nur ein Viertel der realen Energiekosten und würden eine marktkonforme Erhöhung kaum goutieren.

Dramatisch verschärft hat sich diese Schieflage durch das Ansteigen der Weltmarktpreise nach Putins Angriff auf die Ukraine. Nach einem kürzlich vorgelegten Haushaltsplan müssten die Energiesubventionen in diesem Jahr um zusätzlich 66% erhöht werden. Dabei machten diese Zuschüsse 2021 bereits 10,6% aller Staatsausgaben aus. Mehr als zwei Drittel des gesamten Staatsdefizits verursachten diese Subventionen, die vor allem die Hauptstadtregion betreffen, wo die meisten Wähler zu Hause sind.

Keine drastischen Sprünge

In den ersten Interviews nach ihrem Amtsantritt versprach die neue Ministerin, die Auflagen des Inter­nationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen zu wollen. Das im Januar von Präsident Alberto Fernández und Martín Guzmán mit dem Fonds aushandelte Umschuldungsabkommen beinhaltet drastische Subventionskürzungen. Aber Cristina Kirchner, die politische Chefin der neuen Ministerin, will ihre Wähler vor drastischen Sprüngen bewahren, denn diese sind bereits Opfer eines dramatischen Anstiegs der Inflation.

Inzwischen liegt die Teuerungsrate zwischen 5 und 7% pro Monat, was hochgerechnet mindestens 80% im Jahresvergleich entspricht. Nach der Rochade im Finanzministerium sind sämtliche parallelen Wechselkurse für Devisen um 10 bis 15% gestiegen. Das wiederum sehen die meisten Ökonomen, aber auch viele Verbraucher als Signal für weitere Preissteigerungen an.

Am Montag der Vorwoche stoppte die Zentralbank zudem weitgehend die Zuteilung an Devisen für Importeure, um die eigenen Reserven zu stärken. Das gelang zunächst, allerdings musste die Notenbank nach dem Finanzgewitter am Montag wieder 650 Mill. Dollar abgeben. Offiziellen Angaben zufolge umfassen die Reserven einen Bruttowert von 42,8 Mrd. Dollar. Aber sämtliche Experten versichern, dass nicht mehr als 3 Mrd. Dollar flüssig sind. Die extreme Maßnahme eines – bis auf Energieimporte – totalen Einfuhrstopps kann nur kurzzeitig fortgesetzt werden, denn sonst drohen weiten Teilen der Industrie Fertigungsstopps, Konkurse, Steuerausfälle sowie ein weiterer Verlust von regulären Arbeitsplätzen.

Von 47 Millionen Argentiniern sind nur noch 5,7 Millionen offiziell beschäftigt und zahlen Steuern. Der einzige Arbeitsmarkt, der in den letzten zehn Jahren deutlich zulegte, ist der informelle. Und dieser zahlt keine der 167 unterschiedlichen Steuern, die Bundesstaat, Provinzen und Kommunen ihren Bürgern abverlangen.

Künstlicher Wechselkurs

Die Personalrochade schlug auch auf dem Devisenmarkt ein. Das Land, das einen künstlich niedrigen offiziellen Wechselkurs erhält, erlebte eine sprunghafte Zunahme bei den mehr als 20 unterschiedlichen Paralleltarifen. Zuletzt hatte Guzmán den offiziellen Dollarkurs in kleinen Schritten abwerten lassen, doch blieben diese stets hinter der Zunahme der Verbraucherpreise.

Dadurch wurde die Spanne zwischen offiziellem Dollarkurs und den im freien Handel erhältlichen Varianten immer größer. Vor dem Rücktritt lag die Differenz bei knapp 100%. Guzmán sperrte sich gegen eine brüske Abwertung, um die Inflation nicht aus den Fugen geraten zu lassen. Und Batakis hat angekündigt, diese Politik fortzusetzen. Allerdings erwarten viele auf den Märkten, dass diese Strategie kein langes Leben haben wird, auch wegen der dramatischen Lage der Staatsfinanzen.

Ende Juni hatte Minister Guzmán massive Schwierigkeiten bei der Suche nach Käufern von Staatsanleihen in Peso. Erst zu einem Zinssatz von 60% konnte er einen Roll-over für fällige Papiere realisieren. Im Vertrag mit dem IWF hat sich Argentinien verpflichtet, künftig nicht mehr als 1% des Bruttoinlandsprodukts durch Emissionen der Zentralbank zu finanzieren. Aber wenn nun selbst die bislang weniger komplizierte Finanzierung in Peso massiv erschwert werden sollte, muss die neue Ministerin sich auf extrem schwere Zeiten einstellen.

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