Im InterviewPeter Wittig

„Biden wird der letzte große Transatlantiker unter den US-Präsidenten sein“

Peter Wittig, früher deutscher Botschafter in Washington, sieht in den USA die Gefahr eines wachsenden Protektionismus. Sollte der Republikaner Donald Trump Präsident werden, dann könnten sämtliche Einfuhren in die USA mit Zöllen überzogen werden, warnt Wittig im Interview der Börsen-Zeitung. 

„Biden wird der letzte große Transatlantiker unter den US-Präsidenten sein“

Im Interview: Peter Wittig

„Biden wird der letzte große Transatlantiker sein“

Trump-Präsidentschaft mit Folgen für die Nato und die Handelsbeziehungen – Entwicklung der Inflation könnte US-Wahl entscheiden

Peter Wittig, früher deutscher Botschafter in Washington, sieht in den USA die Gefahr eines wachsenden Protektionismus. Sollte der Republikaner Donald Trump Präsident werden, dann könnten sämtliche Einfuhren in die USA mit Zöllen überzogen werden, warnt Wittig im Interview der Börsen-Zeitung. 

det Washington

Das Interview führte Peter De Thier.

Herr Botschafter, wie bewerten Sie die Entwicklung der transatlantischen Beziehungen in den 3 Jahren unter Präsident Joe Biden?

Biden hat die transatlantischen Beziehungen nach 4 Jahren Trump wieder auf Vordermann gebracht. Sicherheitspolitisch hätte es nicht besser laufen können. Als Russland die Ukraine überfiel, stand die westliche Allianz zusammen. Biden war in dieser Lage ein Glücksfall für Europa. Als Transatlantiker alter Schule weiß er den Wert verlässlicher Allianzen zu schätzen. Aber wir Europäer sollten wissen: Biden wird der letzte große Transatlantiker unter den US-Präsidenten sein. Die, die nach ihm kommen, werden sich der pazifischen Welt zuwenden.

Gilt diese positive Bilanz auch für die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen?

Nein, leider nicht. Hier ist Protektionismus Trumpf. Schutz der heimischen Arbeitsplätze, Abschottung gegenüber China, Geringschätzung der Welthandelsorganisation (WTO) – das ist jetzt der gemeinsame Nenner von Republikanern und Demokraten. Die USA als Bannerträger des Freihandels, dieses Konzept gehört der Vergangenheit an. Für die Wirtschaften Europas ist das eine große Herausforderung.

Wie schätzen Sie die weiteren Aussichten für das US-Wahljahr ein? 

Der „Super Tuesday“ hat ungewöhnlich früh für klare Verhältnisse gesorgt: Es wird das „Rückspiel Biden-Trump“ geben. Aber er hat auch die Verwundbarkeit beider Kandidaten aufgezeigt. Bei den Republikanern wollten die Wähler Nikki Haleys Trump nicht haben: vor allem junge, gut ausgebildete Menschen, besonders auch Frauen aus den urbanen Zentren. Die muss Trump nun für sich gewinnen. Und Biden zeigte Schwächen bei den jungen Wählern – ihm hängt sein Alter wie ein Mühlstein um den Hals. Eine Besonderheit sind die arabischstämmigen Amerikaner – eine Kernklientel der Demokraten –, die ihm seine proisraelische Haltung im Gaza-Krieg verübeln.

Peter Wittig war von 2014 bis 2018 deutscher Botschafter in Washington und hat den Wahlsieg von Donald Trump sowie seine ersten zwei Amtsjahre aus nächster Nähe miterlebt. Vorher war er deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York (2009 bis 2014), von 2018 bis 2020 dann Bundeskanzlerin Angela Merkels Top-Diplomat in London. Heute ist Wittig Senior Global Advisor der Schaeffler Gruppe und berät auch andere Unternehmen in geopolitischen Fragen.
Quelle: Privat

Wagen Sie denn eine Prognose?

Prognosen 8 Monate vor dem Wahltermin sind weder verlässlich noch aussagekräftig, eine Voraussage heute wäre nicht belastbar. Dazu ist die US-Politik zu volatil. Wäre morgen die Wahl, dann würde Trump gewinnen, aber sie findet erst im November statt. In jedem Fall wird es wieder ein knappes Rennen werden. Einige zehntausend Stimmen in 6 oder 7 der sogenannten „Swing States“ könnten wieder den Ausschlag geben. Natürlich sind auch die gleichzeitig stattfindenden Wahlen im Kongress von größter Bedeutung. Auch hier wird es knapp werden. Nur wenn der künftige Präsident beide Kammern holt, kann er „durchregieren“, sonst gibt es wieder ein „divided government“ – eine gespaltene Regierung. Das schränkt die Gestaltungsmacht des Präsidenten ein, birgt aber auch die Gefahr einer Politik-Blockade.

91 Anklagepunkte gegen Trump, dazu diverse Zivilverfahren, die größtenteils juristisch fundiert sind. Wie erklären Sie sich, dass sich Republikaner nicht gegen diesen Mann auflehnen?

Die mangelnde Courage der republikanischen Politiker hängt damit zusammen, dass Trump diese Partei unterdes komplett kontrolliert. Er hat die Macht, insbesondere bei den Vorwahlen zum Kongress, über das Wohl jedes Republikaners mitzuentscheiden. In ihrer Umarmung von Trump hat sich die republikanische Partei an ihn gefesselt. Viele moderate Republikaner verlassen deswegen die Politik, weil sie wissen, dass sie bei den nächsten Vorwahlen einem von Trump unterstützten Gegenkandidaten weichen müssten.

Ist die hartnäckige Inflation der Grund, warum Biden in den Umfragen noch hinten liegt?

Weder der Krieg in der Ukraine noch in Gaza werden die US-Wahl entscheiden. Der berühmte Spruch eines Wahlkämpfers „It‘s the Economy, Stupid“ trifft auch heute noch zu. Aus europäischer Sicht ist die US-Wirtschaft erstaunlich robust. Die niedrige Arbeitslosenquote, das Stellenwachstum und das Wirtschaftswachstum werden in Europa bewundert. Für viele Amerikaner ist aber wegen der hohen Preise der Lebensstandard „gefühlt“ gesunken. Das beeinträchtigt die Stimmung unter den Wählern.

Welche Bedeutung wird der Ausgang des Duells Biden-Trump für die Zukunft der US-Demokratie haben?

Die amerikanische Politik ist in unheilvoller Weise so polarisiert wie lange nicht mehr. Zur Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung braucht es viel Zeit und das richtige Führungspersonal. Der November 2024 kann zu einem Lackmustest für die US-Demokratie werden, nämlich dann, wenn das Ergebnis von einer Seite erneut nicht anerkannt wird, so wie das bei Trump 2020 der Fall war. Dann müssen die Verfassungsinstitutionen ihre Stärke beweisen. Das ist bisher im Großen und Ganzen gelungen. Wenn aber die US-Demokratie strauchelt, hätte das fatale Auswirkungen auf die ganze Welt, besonders auch für Europa.

Könnte es so weit kommen, dass der 47. Präsident in den USA ein autoritäres System errichtet?

Für mich ist klar: Unabhängige Medien, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Opposition im Kongress, Kontrolle der Justiz – das alles lässt sich in den USA nicht einfach an die autoritäre Kandare legen. Die Freiheitskräfte in dieser ältesten konstitutionellen Demokratie der Welt ließen das nicht zu.

Was würde ein Sieg Trumps für die Nato bedeuten? Würden die USA austreten, und welche Folgen hätte das für die Nato-Ostflanke?

Der US-Kongress hat Ende 2023 noch ein Gesetz verabschiedet, das dem Präsidenten den Austritt aus der Nato ohne Zustimmung des Kongresses verbietet. Doch Trump könnte anders ans Ziel kommen: wenn er verbal die Beistandspflicht des Art. 5 des Nato-Vertrages faktisch aufheben und Truppen aus Europa abziehen würde. „Schlafende Nato“ heißt das im Jargon: Das wäre das schönste Geschenk für Putin. Gekoppelt mit einem Stopp der Ukraine- Unterstützung wäre dieses Szenario die Beerdigung aller Hoffnungen auf eine (Teil)-Befreiung der Ukraine – und eine Einladung an Putins Russland, weiter in den Osten Europas vorzudringen.

Würden unter Trump die Zölle (Stahl, Aluminium) in Kraft treten, die Biden für zwei Jahre suspendiert hat?

Die Stahl- und Aluminiumzölle sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Denn Trump hat ja für den Fall einer zweiten Amtszeit schon den Tenor klar vorgegeben: Er würde alle Importe mit Zöllen in Höhe von 10% belegen und Waren aus China sogar mit Abgaben von 60% überziehen. Trumps Handelsberater Robert Lighthizer würde noch weitergehen. Er will die Zölle so lange erhöhen, bis die USA mit ihren Handelspartnern eine ausgeglichene Handelsbilanz hat. Darauf muss sich die Europäische Union einstellen. 

Was geschieht, wenn Lighthizer sich unter einer Trump-Administration mit diesem Ansinnen durchsetzt?

Die EU ist eine Handelsweltmacht. Handelskriege liegen zwar nicht im europäischen Interesse, aber die EU verfügt mittlerweile über Abwehrinstrumente gegen ökonomische Zwangsmaßnahmen der großen Machtblöcke, die sie notfalls scharfstellen muss. Ich will noch hinzufügen: Zumindest kurzfristig würde ein Wahlsieg Trumps die US-Wirtschaft weiter befeuern. Die Märkte würden positiv auf seine Deregulierungs- und Steuersenkungs-Agenda reagieren. Dass Trump besser für die Wirtschaft sei, glaubt ohnehin eine beträchtliche Mehrheit der Amerikaner. Das erklärt zum Teil seinen Zuspruch. Als Standort für ausländische Investoren blieben die USA sehr attraktiv – zulasten Europas. 

Hat der Gesetzesentwurf, der 60 Mrd. Dollar an Hilfe für die Ukraine vorsieht, noch Chancen?

Unter den republikanischen Kongressabgeordneten, vor allen Dingen den Senatoren, gibt es immer noch zahlreiche Ukraine-Unterstützer. Doch sie lassen sich von Trump abschrecken. Ich glaube aber nicht, dass die finanzielle US-Hilfe für die Ukraine von heute auf morgen eingestellt wird. Allerdings wird sie weniger werden und stärker konditioniert sein. Es macht sich auch eine gewisse „Ukraine-Müdigkeit “ breit. Sie könnte auf Europa übergreifen. Das schwächt die Ukraine und ermutigt Putin. Er sieht die Zeit auf seiner Seite. Umso resoluter muss Europa für die Ukraine und die Sicherheit Europas eintreten.

Wie bewerten Sie Bidens Reaktion auf den Krieg in Nahost und seine Vorgehensweise gegenüber Netanjahu? Gibt es Optionen, die er noch nicht ausgeschöpft hat?

Unmittelbar nach dem barbarischen Terrorangriff der Hamas auf Israel hat die Biden-Administration das Richtige getan. Beistand für den ins Mark getroffenen Alliierten Israel, militärische Präsenz zur Abschreckung weiterer Angriffe, intensive diplomatische Kontakte mit allen arabischen Staaten der Region und den Palästinensern. Je mehr sich der Gaza-Krieg zu einer humanitären Katastrophe auswuchs, desto problematischer wurde Bidens Balanceakt. Netanjahu folgt ihm nicht mehr, zu Hause muss Biden einen hohen politischen Preis zahlen. Die US-Hilfsaktionen zu Luft und zu Wasser kommen zu spät. Dennoch: Die USA wird bis auf weiteres die einzige Ordnungsmacht sein, die im Nahem Osten Einfluss und Gewicht hat, die Zukunft nach dem Gaza-Krieg zu gestalten – die „unverzichtbare Nation“.

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